Tobias Armbrüster: Für die einen ist es der Tiefgang der deutschen Fernsehunterhaltung, für andere ein äußerst innovatives TV-Format, das nicht nur die Kandidaten, sondern auch die Zuschauer vorführt: Das Dschungelcamp. Zwei Wochen lang lief die achte Staffel von „Ich bin ein Star, holt mich hier raus“ auf RTL. Millionen von Deutschen haben 14 Tage lang dabei zugesehen, wie sich Prominente in Australien vor laufender Kamera Dinge antun wie Dschungelpilze aus gekochter Ziegenzunge essen, oder wie sie ein Bad nehmen in einem Meer aus Maden, Kakerlaken und Fischabfällen. Morgen geht diese Staffel zu Ende und am Telefon ist jetzt Bernd Gäbler, Medienwissenschaftler und ehemaliger Vorsitzender des Grimme-Instituts, einer also, der sich immer wieder Gedanken macht über niveauvolle Unterhaltung im deutschen Fernsehen. Inzwischen lehrt er an der Fachhochschule des Mittelstands in Bielefeld. Schönen guten Tag, Professor Gäbler.
Bernd Gäbler: Ja guten Tag, Herr Armbrüster!
Armbrüster: Herr Gäbler, haben Sie sich die Staffel angesehen?
Gäbler: Ja natürlich! Mal live und immer wieder auch als Aufzeichnung.
Armbrüster: Und gab es für Sie einen Höhepunkt?
Gäbler: Höhepunkt kann man nicht sagen, weil ja doch im Grunde genommen diese Staffel dadurch so erfolgreich ist, weil sie so stabil funktioniert. Wir schauen einfach auf die Interaktion irgendwelcher Menschen wie in so einer Nussschale. Es ist eine Art Menschen-Zoo, Laborsituation unter den Bedingungen permanenter Beobachtung. Das macht den Reiz aus und die Individuen interagieren. Aber inzwischen ist es eigentlich völlig gleichgültig, wer das genau ist. So stabil ist dieses Format.
"Wir haben unsere Referenzsysteme"
Armbrüster: Das müssen Sie erklären. Warum ist das so gleichgültig, wer da mit dabei ist?
Gäbler: Eigentlich ist nur wichtig, dass es eine Mischung gibt. Es sind bestimmte Rollenmuster vertreten: der grantige Alte, die junge, etwas verpeilte Blondine, eine, die sich immer auszieht, naive junge Leute, einer, der eine Art Gruppentherapeut ist, der zu allen lieb und hilfsbereit ist. Und wir haben unsere Referenzsysteme, mit denen wir die Situationen vergleichen, sagen wir mal einen Schulausflug oder Ihr Büro oder eine Familienfeier, vielleicht das Kasperletheater. So funktioniert das Ganze.
Gestern zum Beispiel war große Sensation: Die junge, verpeilte, blonde Larissa hat ihren Schnodder an der Jacke des alten Winfried Glatzeder, der aus einer ganz anderen Kultur kommt, ein Schauspieler, abgewischt. Das war unverschämt. Er hat sie daraufhin geschubst und dann wurde ellenlang diskutiert, was ist nun richtiges moralisches Verhalten. Eigentlich eine klassische Kita-Situation. Das erregt viele Leute und viele schauen da gerne zu.
Armbrüster: Herr Gäbler, so wie Sie das schildern, das klingt wirklich alles sehr trivial. Warum gucken das selbst Leute, bei denen auch Romane von Günter Grass oder Jonathan Franzen auf dem Nachttisch liegen?
Gäbler: Ich glaube, deswegen, weil wir es vergleichen mit Interaktionen, die wir kennen, und es ist so aufgebaut, dass wir immer mit Häme uns nach unten absichern können. Wir schauen darauf, auf diese Leute als C-Promis, als die Vergessenen, als die Verarmten. So sind auch die Moderationen angelegt. Und wir können gleichzeitig was ganz Neues beobachten, dass es eine richtige Industrie zur Verwertung dieser sogenannten C-Promis gibt. Das heißt, alle hoffen auf einen Kreislauf: Geld, Aufmerksamkeit, wieder Geld. Georg Franck nannte das die Ökonomie der Aufmerksamkeit. Ich glaube, die sehen wir dort in Aktion, dass allein dadurch, dass man irgendwie aufmerksam auf sich macht, man wieder reinkommen will in den Geldkreislauf und wieder Geld verdient.
"Natürlich ist es Voyeurismus"
Armbrüster: Aber ich glaube, viele Leute würden es einfach auch als Voyeurismus in perfekter Form bezeichnen.
Gäbler: Absolut! Natürlich ist es Voyeurismus. Das ist ja auch das Neue in den heutigen Zeiten. Früher hatten wir Angst, wenn jemand sagt, ich werde verfolgt. Heute ist das eine Auszeichnung. I’m followed, ich habe ganz viele Follower, das heißt, es gibt Aufmerksamkeit, da kann ich was draus machen. Der Bürgermeister von Klagenfurt ist ungeheuer stolz, dass diese Larissa Marolt da in diesem Camp ist, und sagt, das ist tolle Reklame für unsere Stadt. Der Server des elterlichen Hotels dieser Frau ist zusammengebrochen vor lauter Anfragen. Man sieht: die pure Präsenz in Medien macht etwas aus und ist verwertbar. Und wir sehen auch, auch weil wir beide ja darüber reden: Medien tun eine Sache ungeheuer gerne, das ist auch einfach und praktisch. Medien berichten über Medien und so kann auch das Boulevard-Medium, das was eigentlich trash ist, ungeheuere Kraft entfalten und ungeheuere gegenseitige Verstärkungseffekte erzielen.
Armbrüster: Aber jetzt mal ganz im Ernst, Herr Gäbler. Sollten wir nicht, wenn wir sagen, das ist Trash, das ist eigentlich trivial und hat nichts mit dem Leben zu tun, sollten wir nicht einfach abschalten oder zumindest nicht einschalten bei so was?
Gäbler: Das Triviale hat mit dem Leben zu tun, und wie gesagt: wir vergleichen mit dem Leben. Aber Sie haben völlig recht: Letztlich ist es, auch wenn es sehr gekonnt gemacht ist, wenn die Moderationen stimmen, wenn das Timing der Clips stimmt und so weiter, wenn der Aufwand enorm ist, letztlich ist es Trash und zeigt nichts anderes als den Sufismus des Boulevards. Was heißt das? Sie sind in der Lage, solche Medien, einfach völlig Unbedeutendes, wie steht Winfried Glatzeder zu Larissa Marolt, zu etwas Großem zu machen.
Armbrüster: Herr Gäbler, wir müssen hier aufhören. – Bernd Gäbler war das über den Erfolg der RTL-Staffel, der achten Staffel von „Ich bin ein Star, holt mich hier raus“. Morgen Abend geht es bei RTL zu Ende.
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