Sandra Schulz: Entschuldigt hat sich Facebook-Gründer Mark Zuckerberg ja schon vor Wochen bei seiner Befragung vor dem US-Kongress, nach dem Skandal um massenhaft missbrauchte Daten von Facebook-Nutzern. Stundenlang hatte er da in Washington Rede und Antwort stehen müssen. Da waren die Bedingungen gestern im Europäischen Parlament ganz andere. Es war eine viel kürzere Fragerunde und es gab auch keinen direkten Austausch von Frage und Antwort, sondern Zuckerberg konnte recht allgemein auf die gesammelten Fragen antworten. EU-Parlamentspräsident Tajani, der das Gesprächsformat vorgeschlagen hat, der wertet den Abend als Erfolg, viele andere Teilnehmer aber nicht.
Am Telefon ist Thilo Weichert vom Netzwerk Datenschutzexpertise. Früher war er Datenschutzbeauftragter in Schleswig-Holstein. Schönen guten Tag.
Thilo Weichert: Ich grüße Sie!
Schulz: Wir haben jetzt viele kritische Stimmen schon gehört aus dem Europäischen Parlament. Was ist Ihre Einschätzung? Was ist gewonnen mit der Befragung von gestern Abend von Mark Zuckerberg zum Facebook-Skandal?
Weichert: Es ist überhaupt nichts gewonnen. Es war aber vielleicht trotzdem wichtig, dass die Anhörung stattgefunden hat, einfach, dass Europa Flagge gezeigt hat und Facebook auch signalisiert hat, dass das, was von Facebook an Geschäftsmodellen in der Vergangenheit praktiziert wurde, dass das schon in der Vergangenheit nicht akzeptiert werden kann und mit der Datenschutz-Grundverordnung erst recht nicht.
Es war insofern hoch enttäuschend, dass man ihm wirklich das Format einer richtigen Auseinandersetzung nicht ermöglicht hat. Insofern kann ich im Prinzip allen Kritiken zustimmen, außer der Aussage von Herrn Weber von der EVP, also einer CDU-Organisation, der meint, dass jetzt hier große Sanktionen gegenüber Facebook drohen würden. Das wäre schön, wenn es tatsächlich so wäre, aber es ist gerade die CDU, die verhindert, dass wirklich die Sanktionsmöglichkeiten umfassend genutzt werden können – nicht nur durch eine schlechte Ausstattung der Datenschutzbehörden, sondern auch durch ein Abmildern der europäisch vorgesehenen Sanktionsmöglichkeiten.
"Auch Symbole geben ein gewisses Signal"
Schulz: Herr Weichert, lassen Sie uns vielleicht im zweiten Schritt darauf kommen. – Wenn Sie jetzt sagen, diese Veranstaltung war schon gut und wichtig, verstehe ich Sie da richtig, dass Sie sich als Fan von Symbolveranstaltungen outen?
Weichert: Nein, im Gegenteil! Aber es ist nun mal leider in der Politik oft so, dass Symbole ja auch ein gewisses Signal geben. Letztlich geht es darum, dass wirklich Rechtsdurchsetzung stattfindet, und auch da hat Weber nicht recht. Wir leben nicht im Internet in einem rechtsfreien Raum. Es gibt sehr, sehr viele Regelungen und die müssen einfach umgesetzt werden. Aber das muss natürlich auch kommuniziert werden und dafür sind solche Symbolveranstaltungen manchmal gar nicht schädlich.
Schulz: Und diese Vorschriften, von denen Sie jetzt sprechen, die wir teilweise schon haben – mit der Datenschutz-Grundverordnung zündet am Freitag auch nur die nächste Stufe -, die sind ja schon in Kraft. Das ist aber Ihre Prognose, dass es dort an der Umsetzung hapern wird?
Weichert: Das wird sich zeigen. Ich habe die große Hoffnung, dass sehr schnell auch die Politik merkt, dass die Ausstattung der Aufsichtsbehörden absolut unzureichend ist, um wirklich dann gegen solche Riesenkonzerne wie Google, Facebook, Microsoft, Apple, Amazon, eBay und wie sie alle heißen vorzugehen. Da muss im Prinzip eine Ausstattung sowohl was das Knowhow als auch was das Personal angeht erfolgen, die vielleicht eher an Finanzbehörden reichen, und nicht jetzt eine Ausstattung, die eine minimalste Gewerbeaufsicht darstellt.
Gleichzeitig muss das auch weiterentwickelt werden. Das heißt, es muss zu einer Algorithmen-Kontrolle kommen, die dann auch eine Kontrollierung der Vorgänge bei Facebook nicht nur im Vordergrund, sondern auch im Hintergrund ermöglichen. Auch dazu haben wir bisher nicht ansatzweise das notwendige Instrumentarium.
"Die Beachtung dieser Gesetze wird von Facebook ignoriert"
Schulz: Aber wieso sagen Sie, das müsse kommen? Wir sind in einer Situation, in der es offensichtlich politisch überhaupt nicht durchsetzbar ist, dafür ein strenges oder strengeres Regularium durchzusetzen. Und wir haben die Situation, dass Millionen Nutzer genau wissen, worauf sie sich einlassen, dass sie Facebook die Daten – ich sage es jetzt mal ein bisschen ketzerisch – in den Rachen werfen und dabei gar kein Problem sehen.
Weichert: Die letzte Aussage, die kann ich so nicht mittragen. Die Leute haben eine Ahnung davon, dass Facebook oder auch Google oder auch andere Unternehmen sehr viel mit ihren Daten machen. Sie haben aber keine konkrete Kenntnis und das soll mit der Datenschutz-Grundverordnung zumindest teilweise beseitigt werden. Aber auch die Datenschutz-Grundverordnung ist im Prinzip nur ein Zwischenschritt. Es muss sehr viel mehr noch passieren. Insofern ist die Politik definitiv gefordert.
In Europa gibt es dazu sehr viel Bereitschaft. Frau Jourova, die zuständige Kommissarin, und auch andere vor ihr wie Viviane Reding haben da eigentlich schon das Richtige eingestellt. Aber das Problem ist, dass insbesondere die deutsche Bundesregierung, die natürlich sehr viel Einfluss in Brüssel hat, hier bremst mit der völlig falschen Ansage, dass Grundrechtsschutz die Geschäftsmodelle im Internet beeinträchtigen würde. Das ist hoch gefährlich für uns Verbraucherinnen und Verbraucher. Das ist aber auch hoch gefährlich für unsere demokratische Informationsordnung und Gesellschaftsordnung.
Schulz: Sie sagen das jetzt immer wieder, dass die meisten Nutzer sich davon nicht wirklich Vorstellungen machen können, was mit den Daten bei Facebook oder auch bei anderen Daten-Sammelorganisationen oder Unternehmen passiert.
Da frage ich mich: Wenn wir diese Diskussion um Facebook jetzt wirklich schon seit Jahren beobachten, wenn wir sehen, wie ein Mark Zuckerberg auftritt im Europäischen Parlament und die Frage einfach offen lässt, was er denn künftig tun will für den Datenschutz des Unternehmens, oder um den Datenschutz zu verbessern, wie kommen denn umgekehrt gefragt die Verbraucher darauf, dass ihre Daten bei Facebook in guten Händen sein könnten?
Weichert: Sie glauben das nicht. Wenn man Umfragen sich anschaut, dann ist das Vertrauen in Facebook absolut gering. Aber die Funktionalität des Angebots von Facebook ist sehr, sehr groß, und das führt dazu, dass selbst kritische Menschen dann Facebook bei Dingen nutzen, oder auch nutzen müssen, die sie eigentlich gerne datenschutzfreundlicher und datensparsamer auch haben wollten, aber wo dann die Kommunikationspartner nur diese Alternative der Kommunikation zur Verfügung stellen, oder wo es dann insgesamt keine anderen Möglichkeiten gibt.
Es gibt natürlich auch viele Menschen, denen der Datenschutz egal ist. Die sollen gerne Facebook nutzen. Aber ich bin trotzdem der Meinung, dass das im Rahmen der gesetzlichen Regelungen stattfinden muss. Die müssen durchgesetzt werden. Die Beachtung dieser Gesetze wird im Augenblick von Facebook ignoriert und das scheint, auch in Zukunft so zu sein. Das hat Zuckerberg sozusagen durch die Blume auch durchblicken lassen.
Schulz: Was ändert sich jetzt künftig ab Ende der Woche mit der neuen Datenschutz-Grundverordnung?
Weichert: Der Rechtsrahmen ist ein völlig neuer. Wir haben jetzt einheitliche Regeln in ganz Europa. Es ist eine eindeutige Zuordnung auch für solche internationalen Konzerne, was die Aufsicht angeht, die von den USA aus das Geschäft betreiben. Wir haben eine ganz neue Sanktionsmöglichkeit, die bis zu vier Prozent des globalen Jahresumsatzes geht. Das heißt, es besteht jetzt schon ein Instrumentarium, was die Chance eröffnet, hier Rechtskonformität herzustellen. Aber allein das Gesetz reicht nicht, sondern wir brauchen hier dann auch die notwendigen Verwaltungsinstrumente, und die fehlen noch.
Schulz: Und wenn das gesellschaftlich diesen hohen Stellenwert gar nicht unbedingt hat, was ja die Bedenkenlosigkeit vieler Nutzer zeigt, wie ist es dann zu rechtfertigen?
Weichert: Das ist zweifellos richtig, dass viele insbesondere hier in Deutschland die Regierungspolitik, den Stellenwert von Datenschutz, von digitalem Grundrechtsschutz so nicht erkannt haben, obwohl die ganze Zeit von Digitalisierung gefaselt wird. Daran muss gearbeitet werden. Das Bundesverfassungsgericht hat den Stellenwert erkannt. Der Europäische Gerichtshof hat den Stellenwert erkannt. Und wenn es gar nicht anders geht, dann muss per Gericht, per höchstem Gericht hier auch der Politik und muss den Verantwortlichen die Leviten gelesen werden und muss hier eine Korrektur stattfinden.
"Wir sind gerade im Anfang der Regulierung des digitalen Raumes"
Schulz: Welche Korrektur?
Weichert: Die muss in vielerlei Hinsicht gehen. Das beginnt bei der Ausstattung der Aufsichtsbehörden. Das geht dahin weiter, dass insbesondere Hersteller von Instrumenten, informationstechnischen Instrumenten, die im Netz, aber auch anderweitig genutzt werden, zum Beispiel zur Überwachung von Arbeitnehmern, dass die jetzt selbst in die Pflicht genommen werden und nicht nur die Anwender, so wie es derzeit der Fall ist.
Wir brauchen eine Algorithmen-Kontrolle, mit der Big Data Auswertung jetzt dann auch einer staatlichen Regulierung zugeführt werden. Wir sind gerade im Anfang der Regulierung des digitalen Raumes und dazu muss jetzt das Notwendige von Seiten der Gesellschaft diskutiert und von der Politik dann unternommen werden, dass wir auch in Zukunft demokratisch bleiben und nicht dann abdriften entweder in die Konsumschiene, die in den USA schon vorherrscht, oder in die Überwachungsschiene, wie sie in vielen Ländern, in Russland, in China oder im Iran praktiziert wird.
Schulz: Der Datenschutz-Experte Thilo Weichert heute Mittag im Gespräch mit dem Deutschlandfunk. Ganz herzlichen Dank.
Weichert: Ich habe auch zu danken.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.