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Aufarbeitung sexualisierter Gewalt
Journalistin Schültke: "Noch viel zu tun"

Eine Hamburger Anwaltskanzlei hat Vorwürfe sexualisierter Gewalt gegen den ehemaligen DTB-Vizepräsidenten Dirk Hordorff untersucht. Dass sie tatsächlich stattgefunden haben, ist in einem Fall laut Bericht „überwiegend wahrscheinlich“, in einem anderen „höchstwahrscheinlich“. Journalistin Andrea Schültke, hat im Team NDR, Sportschau und SZ recherchiert.

Andrea Schültke im Gespräch mit Christian von Stülpnagel | 03.06.2023
Dem ehemaligen Vizepräsidenten des Deutschen Tennisbundes, Dirk Hordorff, wird sexualisierte Gewalt und Machtmissbrauch vorgeworfen.
Dem ehemaligen Vizepräsidenten des Deutschen Tennisbundes, Dirk Hordorff, wird sexualisierte Gewalt und Machtmissbrauch vorgeworfen. (imago images / Hasenkopf / imago sportfotodienst via www.imago-images.de)
Das Thema sexualisierte Gewalt und Machtmissbrauch hat auch den Deutschen Tennis Bund erreicht. Der ehemalige Spieler Maximilian Abel hatte dem damaligen Vizepräsidenten des DTB, Dirk Hordorff, sexualisiere Gewalt und Machtmissbrauch vorgeworfen. Um die Vorwürfe zu prüfen, hat der DTB einen Untersuchungsbericht in Auftrag gegeben, der allerdings nicht veröffentlicht wird. Als Grund nennt der DTB unter anderem Datenschutz und Persönlichkeitsrechte.
Der Bericht „ist 86 Seiten lang und dazu gibt es noch ein Glaubhaftigkeitsgutachten. Das hat eine Psychologin über Abel erstellt“, sagte Journalistin Andrea Schültke im Dlf. Schültke war im Team von NDR, Sportschau und Süddeutscher Zeitung an den Recherchen zum Fall Hordorff beteiligt. „Abel hat der Weitergabe seiner Unterlagen zugestimmt. Alle anderen Befragten angeblich auch, sodass die Aussagen in diesen Untersuchungsbericht eingeflossen sind.“

Vorwurf "überwiegend wahrscheinlich"

Abels Vorwurf gegenüber Hordorff wiegt schwer: „Er hat gesagt, er habe mit Dirk Hordorff auf ein Hotelzimmer gehen müssen, sich dort entkleiden und in Hundeposition auf das Bett sich begeben müssen. Und dann habe Herr Hordorff seinen Gürtel aus der Hose genommen und Maximilian Abel, so behauptet er, 20 Mal mit dem Gürtel auf das nackte Gesäß geschlagen“, schilderte Schültke.
Diesen Vorwurf habe die Hamburger Anwaltskanzlei FHM als „überwiegend wahrscheinlich“ eingestuft, so Schültke.
Dirk Hordorff bestreitet alle Vorwürfe und bezeichnet diese auf Anfrage von NDR, Sportscha und SZ als „schlicht unzutreffend“. Den ex-Spieler Maximilian Abel bezeichnet Hordorff als „unglaubhaft“ , wirft ihm Erpressung vor.
Auch der Vorwurf des indischen Tennisprofis Sriram Balaji, der sich angeblich nackt ausziehen sollte, damit Hordorff seine Muskeln befühlen könne, halte die Kanzlei für „höchst wahrscheinlich“, dass sie sich so zugetragen haben“, sagte Schültke.
Dirk Hordorff bestreitet auch diesen Vorwurf: Zeugen könnten dies widerlegen.

Abel erhält keine Einsicht in Untersuchungsbericht

Interessant sei jedoch, dass Abel selbst keine Einsicht in den Bericht bekommen habe, sagte Schültke. "Abel hat von diesen 86-seitigen Untersuchungsbericht lediglich eine vierseitige Zusammenfassung bekommen. Das ist natürlich ungleich verteilt. Und in dieser Zusammenfassung gibt die Kanzlei das Ergebnis der Untersuchung auch ein wenig anders wieder als in ihrem tatsächlichen Bericht. Abel erfährt nämlich aus der Zusammenfassung: Die Vorwürfe, die er erhebt, können nicht widerlegt, aber auch nicht bewiesen werden. Und in den 86 Seiten kommt die Kanzlei ja schon zu einer anderen Auffassung."
Compliance-Experten würden die ungleiche Verteilung der Einsicht der Unterlagen bemängeln, sagte Schültke. "Die sagen, das sei nicht üblich. Und auch die Tatsache, dass der Deutsche Tennisbund den Bericht unter Verschluss hält, können Compliance-Experten nicht nachvollziehen, weil sie sagen, es gibt auch unter Wahrung des Persönlichkeitsrechtes und des Datenschutzes Möglichkeiten, solche Berichte zu veröffentlichen. Und im Sinne der Transparenz sollte das auch unbedingt passieren."
Nach dem Bericht der Anwaltskanzlei hat der Deutsche Tennisbund eine Ombudsstelle eingerichtet und eine Aufarbeitungskommission ins Leben gerufen.

Sport in Deutschland bei Aufarbeitung "noch ganz am Anfang"

Nicht nur im Tennis gab es in der Vergangenheit Fälle von Machtmissbrauch und sexualisierter Gewalt. Auch beim Deutschen Schwimmverband, dem Deutschen Handballbund und in der Turnabteilung des HSV Weimar hatte es sexuelle Übergriffe gegeben. "Bei der Aufarbeitung von diesen Fällen ist der Sport in Deutschland noch ganz, ganz am Anfang", sagte Schültke.
Diese Aufarbeitungskommission im Tennis sei nun die vierte ihrer Art im deutschen Sport. Das sei „natürlich viel zu wenig“, meinte Schültke.
"Das ist Neuland, was alle da betreten. Und das ist etwas, was sich durchsetzen muss. Und das kommt auch immer erst dann, wenn es Fälle gibt, wenn Betroffene an die Öffentlichkeit gehen und Vorwürfe erheben. Erst dann kommen die Vereine und Verbände dazu und stellen fest: Oh ja, wenn wir das Problem grundlegend angehen wollen, dann müssen wir erst mal in unsere Vergangenheit blicken, um dann daraus Lehren und Erkenntnisse für die Zukunft entwickeln zu können. Und das ist jetzt erst bei vier Sportverbänden oder Vereinen passiert. Das heißt, es gibt noch unfassbar viel zu tun bei diesem Thema."
Transparenzhinweis: Nach Hinweisen der Gesprächspartnerin wurde dieser Artikel am 04. Juni 2023 um 11 Uhr aktualisiert.