Die große Faust-Ausstellung wie ein Theaterstück zu inszenieren – das ist der Anspruch der Münchner Kunsthalle. Und das heißt, dass die Dramaturgie und das Design der einzelnen Räume mindestens so wichtig sind wie die Exponate selber. Der eigens engagierte Bühnenbildner Philipp Fürhofer hat das großartig gemacht. Zu Beginn ein Prospekt des Weimarer Goethe-Hauses am Frauenplan und eine Mephisto-Puppe aus dem 18. Jahrhundert – Goethe hatte den Stoff zunächst als Marionettentheater kennengelernt. Dann tritt man durch einen rot-samtenen Theatervorhang, und das Spiel, die Ausstellung beginnt. Kurator Roger Diederen:
"Es war uns wichtig, mit dieser Ausstellung zu behaupten, dass der Fauststoff von höchster Aktualität ist. Dass das nicht ein verstaubter Text ist, dass diese Charaktere, Faust, Gretchen, Mephisto, was mit unserem Alltag zu tun haben."
Aber: die Ausstellung müsste eigentlich "Mephisto" heißen. Im ersten Raum eine lebensgroße Mephisto-Skulptur des russischen Bildhauers Mark Antokolski von 1883: Die Figur sitzt athletisch, in griechischer Nacktheit und in Denkerpose auf einem Fels – er, der Verführer, der Ambivalente, der Böse, der Clown, er macht diese Ausstellung, er denkt sie sich aus. Antokolski nimmt ersichtlich Bezug auf Rodins Denker, der kurz zuvor entstand. Gleichzeitig ähnelt der Gesichtsausdruck der Figur dem verschlagenen Antlitz eines Mephisto-Darstellers, wie ihn Eduard von Grützner 1872 malte.
Mephisto im Mittelpunkt
Die Epochen werden völlig durcheinandergewürfelt, die Gattungen durchmischt. Grützners Teufel aus dem 19. Jahrhundert wird konterkariert von Robert Mapplethorpe, der sich selbst als gehörnten homosexuellen Verführer sah, der wiederum spiegelt sich in einem abstrakten Bild von Sigmar Polke. Nach der berühmten Gründgens-Nachkriegs-Inszenierung mit Will Quadflieg als Faust, deren Verfilmung Generationen von Schülern erdulden mussten, geht es zurück zu Murnaus diabolischem Stummfilm aus den 20er-Jahren und vorwärts zu István Szabós "Mephisto" von 1981 nach Klaus Mann. Man zeigt die Szene, in der der bereits geschminkte Mephisto, also Klaus Maria Brandauer als Hendrik Höfgen in die Loge des Ministerpräsidenten Hermann Göring bestellt wird. Der Schauspieler reicht dem Nazi die Hand, auch dies ein Pakt mit dem Teufel.
Das Drama, sagt uns die Ausstellung, ist auch heute noch hochpolitisch, in Fausts verzweifeltem Forscherdrang, seiner Midlife-Crisis und der sexuellen Ausnutzung des frommen Gretchens – das sich ja auch durch Schmuck und Geschmeide verführen lässt. In München bebildert man das mit der allegorischen "Eitelkeit" des englischen Präraffaeliten Frank Cowper, aber auch mit Karl Lagerfeld, der Claudia Schiffer fotografiert.
Gretchen und #MeToo
"Gretchen wusste sehr wohl, dass der Faust nichts taugt. Aber sie geht doch mit ihm mit. Solche Szenen erleben wir auch tagtäglich. Und das wollten wir in den Vordergrund rücken."
Manche Aktualisierungen sind angreifbar. Aber insgesamt stiftet dieses Cross-Over doch erfrischende Bezüge. Die Faust-Darstellungen des 19. Jahrhunderts wirken immer etwas bieder und biedermeierlich. Dafür sind die Ausstellungsräume toll inszeniert: Fausts Studierstube ist ganz düster gehalten, mit chemischen Formeln an der Wand – dort hängen dann auch Fausts Albträume, wie sie der Romantiker Carl Gustav Carus sah. Die Gretchen-Räume dagegen sind, selbstredend, unschuldig weiß.
Vor allem wird dann der Musik das Feld bereitet: von Gounods Juwelen-Arie geht es in einen pompös inszenierten, opernhaften Saal, der "Fausts Verdammnis" bei Hector Berlioz gewidmet ist. Die Walpurgisnacht wird bestückt mit den Hexen des Luis Ricardo Falero, der 1878 Frauenleiber malte, die noch heute in jedes Pin-up-Magazin passen würden. Widerspruch kommt aber von der Gegenwartskunst: Anselm Kiefers schrundiges Bild verweist auf Paul Celan und Auschwitz – dein goldenes Haar, Margarete. Diese Ausstellung ist ein großartiges Ereignis, das uns ins Dunkle lockt, aber auch wieder in die Helligkeit der Moderne entlässt.