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Dürrenmatt als Oper

Der Generalintendant in Erfurt, Guy Montavon, ist Schweizer und offensichtlich Patriot. Jedenfalls sorgte er mit einem großen Kompositionsauftrag dafür, dass ein gutes Stück eines seiner illustersten Landsleute in Erinnerung gerufen wird: "Der Richter und sein Henker". Ein Kriminalroman aus den besten Jahren des Dramatikers Dürrenmatt - mithin ein literarisches Werk, das sich extrem schlecht als Vorlage für die epische Forme des zeitgenössischen Musiktheaters eignet.

Von Frieder Reininghaus |
    Franz Hummel und seine bei der Textvorlage assistierende Frau suchten aus der Not eine Tugend zu machen. "Die bei Dürrenmatt deutlich mitschwingende Albtraumwelt", meinte der Komponist, sei "Zwillingsschwester der alltäglichen Schizophrenie und ihrer Verwerfungen". Die "Antilogik" mache "den eigentlichen Reiz des Stoffes aus: Eine absurde Tragikomödie lauert hinter dem Mobiliar und lacht ihr sardonisches Lachen."

    Die "Tragikomödie" entfaltet sich - quasi una fantasia - in Form einer lose gewobenen Szenenfolge mit einigen Figuren aus Dürrenmatts Roman (die maliziöse Methodik dieses Textes hätte sich auch mit aller Gewalt nicht musikbühnentauglich machen lassen). Sandra Hummel gesellte so gut wie allen handelnden Personen einen "Schatten" zu - wohl um die "Schizophrenie und ihre Verwerfungen" auf für Blinde sichtbar zu machen.

    Die Doppelung veranlaßte Rosamund Gilmore zu einer sehr unruhigen Inszenierung. Für sie hatte Carl Friedrich Oberle einen Vielzweckraum bereit gestellt, in dem sich links außen der Schreibtisch von Kommissär Bärlach befindet und ganz rechts der Kaffeehaustisch, von dem aus Dürrenmatt leibhaftig das von ihm angestoßene Geschehen kommentiert. An den Tischchen und Sitzgruppen vor dem Bergpanorama wird auf den Fortgang der Ermittlungen gewartet. Da trauert Anna um ihren Verlobten, leidet Bärlach an seinen Magenschmerzen und überlebt einen Mordanschlag. Und dort setzt sich höchst kraftvoll und vital auch Robert Wörle als der Widerling Gastmann in Szene.

    Aufs neue brachte Franz Hummel eine Partitur zu Papier, die sich einen Deut um historische Reinheitsgebote schert. Er springt von Stil zu Stil und mixt munter drauflos - mit feinem Gespür für groteske Wirkungen, nostalgische Gefühlspotentiale und ironische Brechungen. Von feiner Delikatesse ist Gastmanns von Solovioline und konzertanter Flöte auf offener Bühne begleitete Arie vom besseren kunstsinnigen Leben. Auch das Solothurner Polizistenlied erweist sich als Highlight - wie der an Brecht/Weill erinnernde Himalaya-Song:

    Wahrscheinlich spricht Hummels zielstrebiger Polizeileutnant Tschanz Dutzenden von jüngeren Theatergängern aus dem Herzen, wenn der sich über seinen Vorgesetzten Bärlach ausläßt: "Er ist der Chef/ Ich nur Atlatus/ Ich hab Talent/ Er hat den Status". Nicht nur mit solchen Episoden wird Hummels musiktheatralisches Gespinst vorsätzlich dem Musical angenähert.

    Kommissär Bärlach, den ja eigentlich inzwischen der Magenkrebstod ereilt haben müßte, lebt weiter. Nicht nur in Gestalt eines Widergängers, des gleichfalls im Voralpenland verhafteten 'Brenner' von Wolf Haas, sondern auch als Held einer Oper. Die hätte vielleicht, weil die Motive seiner Richterwerdung und die Dramaturgie der Exekution allzu schemenhaft blieben, einfach einen anderen Titel erhalten müssen: "Bärlachs Alp- und Alpenträume".