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Düsseldorfer Ausstellung
Surrealismus in Ägypten

Es lebe die entartete Kunst! So überschrieb das surrealistische Kollektiv Art et Liberté - zu Deutsch "Kunst und Freiheit" - 1938 sein Gründungsmanifest. Eine Düsseldorfer Ausstellung widmet sich der ägyptischen Künstlergruppe und damit einem vergessenen Kapitel der Kunstgeschichte.

Von Änne Seidel |
    Blick in die Düsseldorfer Ausstellung Art et Liberté
    Die steinernen Zeugnisse der Pharaonenzeit sind ein willkommenes Motiv für die Künstler von Art et Liberté. Ihnen widmet sich eine Ausstellung im Düsseldorfer K20. (Deutschlandradio / Änne Seidel)
    Jahrtausende haben die Pyramiden überdauert - nur um dann doch den Künstlern von Art et Liberté zum Opfer zu fallen. Ganz schön frech, wie die sich an den alten Steinen abarbeiten: Ein Schwarz-Weiß-Foto zeigt eine Pyramide, klein, schief und ziemlich kläglich steht sie im Bildhintergrund. Im Vordergrund liegt eine zierliche Frau auf dem Rücken, die Beine in den Himmel gestreckt. Es sieht aus, als ob sie die Pyramide - mal eben so - mit den Fußspitzen in den Erdboden drückt.
    Die steinernen Zeugnisse der Pharaonenzeit - ein willkommenes Motiv für die Künstler von Art et Liberté: In ihren ironischen Bildkompositionen stellen sie deren Status als ägyptische Nationalheiligtümer in Frage. Nationalismus und die nationalistische Instrumentalisierung der Kunst - dagegen begehrte das Kollektiv Art et Liberté schon mit seiner Gründung 1938 auf. Das Gründungsmanifest der Gruppe war eine direkte Reaktion auf die Ausstellung "Entartete Kunst" der Nationalsozialisten.
    Verquickung von Literatur und bildender Kunst
    "Die Meisterwerke der zeitgenössischen Kunst von Cézanne bis Picasso (…), die Ausdruck von Freiheit und höchster menschlicher Werte sind, werden beleidigt und verboten. Wir sind der Auffassung, dass es absurd und töricht ist, dem Willen einiger machtbesessener Individuen zu entsprechen, und die moderne Kunst zum Gegenstand religiöser, rassistischer und nationalistischer Vorurteile zu machen.",
    heißt es im Gründungsmanifest von Art et Liberté. Die Unterzeichner: Schriftsteller, Künstler, Journalisten, Rechtsanwälte. Unter ihnen der Diplomatensohn George Henein, der gute Verbindungen nach Paris und zum dortigen Chef-Surrealisten André Breton hatte. Die Parallelen zwischen beiden Gruppen sind offensichtlich: Die Verquickung von Literatur und bildender Kunst. Der Versuch, das Unterbewusste als kreativen Motor zu nutzen. Die stilistische Vielfalt der Gemälde, Zeichnungen und Fotografien.
    Allerdings: Viel stärker noch als die Pariser Surrealisten war das ägyptische Kollektiv politisch motiviert. Kuratorin Doris Krystof: "Die haben sich im Grunde ein bisschen den Surrealismus als Mantel übergezogen, sind aber eigentlich vor allem eine politisch-aktivistische Gruppe, die gegen den Faschismus, Nationalismus, auch gegen das sehr verknöcherte ägyptische Establishment, was ja unter der Herrschaft der Briten, in den 40er-Jahren sozusagen seine Königsherrschaft erlebt hat, also da gärt es ganz enorm in dieser Gesellschaft."
    Eine Gesellschaft, in der Armut und Prostitution allgegenwärtig waren. Den Prostituierten Kairos - ihnen widmeten die Künstler von Art et Liberté zahlreiche Gemälde: leidende Frauenkörper inmitten surrealistischer Landschaften, gefangen in Netzen, mit amputierten Armen oder von Nägeln durchbohrt. Da ist man dann plötzlich sehr weit weg von den Pariser Surrealisten, die Frauen in erster Linie als Modelle und Musen schätzten und sie als Sex-Objekte porträtierten. Bei Art et Liberté hingegen spielten Frauen auch als Künstlerinnen eine wichtige Rolle.
    Nach dem Zweiten Weltkrieg spaltete sich die Gruppe
    In der Ausstellung werden Vergleiche dieser Art allerdings nicht explizit gezogen. Eine bewusste Entscheidung, erklärt der libanesische Kunsthistoriker und Kurator Sam Bardaouil: "Diese Dichotomien - 'hier und da', 'Paris und Kairo', 'ihr hattet es zuerst, wir hatten es erst später' - diese Dichotomien wollen wir aufheben. Wir wollen den Surrealismus als globales Phänomen verstehen, wir wollen verstehen, wie dieses Phänomen zur selben Zeit an verschiedenen Orten verhandelt und reflektiert wurde, um so zu einem ganzheitlicheren Ansatz zu finden."
    Es ist in jedem Fall eine Bereicherung, was das Kuratoren-Team da in jahrelanger Recherche in Bibliotheken, Museen oder auf Dachböden zutage gefördert hat. Nicht nur, weil ihre Arbeit eine Lücke in der Kunstgeschichtsschreibung schließt. Sondern auch, weil sich anhand der Ausstellung Fragen diskutieren lassen, die in diesem documenta-Jahr aktueller sind denn je. Etwa die Frage nach den Risiken und Nebenwirkungen von politischer Kunst. Die Künstler von Art et Liberté traten für die Freiheit ein - aber folgten nicht auch sie einer - wenn auch politisch korrekten - Ideologie? Und läuft ein Künstler, der dies tut, nicht immer Gefahr, die eigene Freiheit irgendwann den politischen Zielen unterzuordnen?
    An eben dieser Frage schieden sich auch bei Art et Liberté die Geister: Nach dem Zweiten Weltkrieg verließen einige Künstler die Gruppe. Sie gründeten ein eigenes Kollektiv, um eine authentische ägyptische Kunst zu schaffen. Eine Kunst im Dienste eines neuen, diesmal ägyptischen Nationalismus.