Der kroatische Schriftsteller Edo Popovic, geboren 1957, hat sich seit den 80er-Jahren in drei Inkarnationen einen auch international klingenden Namen gemacht. Zunächst als Star des jungen, wilden literarischen Undergrounds von Zagreb. Dann als ebenso furchtloser wie gefürchteter Kriegsreporter und schließlich als Stimme der Verlierer der gesellschaftlichen Umbrüche in Kroatien nach dem Ende des Sozialismus und Jugoslawiens. In Romanen wie "Mitternachtsboogie", "Ausfahrt Zagreb-Süd" oder "Tattoogeschichten" besang Popovic immer wieder das Leben urbaner Verlierer, Ausgestoßener, rat- und rastloser Aussteiger. Schon die Titel verraten, dass Popovic ein Verehrer amerikanischer Realisten wie Charles Bukowski oder Hubert Selby ist. Zu seinen deutschen Lieblingsautoren gehören Jörg Fauser, Peter Paul Zahl und Clemens Meyer.
Wer all das weiß, der weiß, dass Popovic großes Talent für drastische Situationen hat und politisch weit links steht. Trotzdem kommt die wuchtige Direktheit überraschend, mit der sein neuer Roman "Der Aufstand der Ungenießbaren" attackiert, was man wohl die herrschenden Verhältnisse nennen muss. Mindestens genauso überraschend, wie die Auswege, die Popovic anbietet. Doch der Reihe nach.
Wir schreiben das Jahr 2020, Kroatien ist kein Staat mehr, sondern eine Holding:
Kroatien ist nur noch ein Fleck auf der Landkarte, ein parzelliertes und verwüstetes Stückchen der sich drehenden Erdkugel. Eine vertrocknete Schale der Drachenfrucht. Die adriatische Küste, die Inseln und Istrien sind im Besitz von Offshore-Firmen und Banken, und sieben Städte, die von Mauern umgeben sind - Zagreb, Osijek, Dubrovnik, Split, Zadar, Rijeka und Pula - sind zu einer Holding vereinigt, die von Steuern, Handel und Maklergeschäften lebt. Alle anderen Güter, zu denen die eingezäunten und gut bewachten Trinkwasserquellen, die Kraftwerke, Flughäfen, Autobahnen, die fruchtbaren Gebiete in Slawonien und die Wälder in Gorski Kotar gehören, sind im Besitz von Großbetrieben. Das Gebiet außerhalb der Mauern und Zäune wird die Zone genannt.
Die Teilung des Landes in Zone und Holding entstand nach und nach, seit den 90er-Jahren. Zunächst durften auch Arme und Ausgestoßene noch in den Zentren der Stadt wohnen. Es gab sogar eine Zeit, in der sich einige Arme und Ausgestoßene zu einer utopischen sozialistischen Gemeinschaft verbanden. Man nannte sie die "Dunklen Kapuzen".
Sie verdienten nichts, sie bezahlten keine Steuern, sie verbrauchten nichts, sie waren völlig ungenießbar - vom Standpunkt der Regierung aus betrachtet. Schlecht konstruierte Uhren. Es war nur eine Frage der Zeit, wann die Regierung einen Weg finden würde, sie zu beseitigen.
Irgendwann um das Jahr 2013 herum hatte die Regierung den Weg gefunden: Die Mauern um die 7 Städte wurden einfach geschlossen, wie die anderen lebten und ob sie überlebten, interessierte nun einfach niemanden mehr. Wer nicht konsumiert, kann genauso gut tot sein. In diesem Moment radikalisiert sich ein Teil der Dunklen Kapuzen. Zu den so genannten "Ungenießbaren" gehören der Icherzähler Vanca und eine geheimnisvolle "Fraktalfrau". Sie sabotieren die Holding, wo sie nur können, sie finanzieren sich durch Diebstähle und illegale Geschäfte, sie wollen frei und ungebunden leben. Irgendwann schließt sich ihnen ein wütender junger Mann namens "Gärtner" an. Ein kroatischer Andreas Baader, der nicht begreifen kann, was an gewaltlosem Widerstand toll sein soll.
Wir werden ihn hundertprozentig ökologisch abmurksen, auch heute noch kann ich die Begeisterung in Gärtners Stimme hören, das wird die erste Öko-Exekution./
Die Ungenießbaren beginnen, Banker, Industrielle und andere Profiteure der neuen Weltordnung zu entführen und zu exekutieren. Nicht ohne ihnen vorher ihre Schlechtigkeit theatralisch vor Augen zu führen. Tagelang müssen sich die Entführten von Geldscheinen, Münzsuppen und Financial Times Salat ernähren.
Edo Popovic erzählt die Geschichte der Ungenießbaren von 1991 bis 2020 in zwanzig kurzen Kapiteln. Weil die Handlung zwischen den Jahren ebenso hin und herspringt wie zwischen Zagreb, Wien, dem mythischen Velebit Gebirge und Madrid, braucht der Leser eine Weile um die Verbindungen zwischen den verschiedenen Figuren zu kapieren. Viel schneller versteht man, dass Popovic wenig an konkreten Ereignissen und Fakten gelegen ist, es geht nicht um eine historisch plausible Abenteuergeschichte aus dem antikapitalistischen Widerstand des 21. Jahrhunderts, sondern um seine parabelhafte Verdichtung. Aus Popovic' kurzen Roman erfährt man nicht, wie Molotowcocktails gebaut werden, man ist nicht beim Druck von Flugblättern, revolutionären Diskussionen oder Kommandoaktionen dabei. Auch die Beschreibung der Verhältnisse, gegen die Fraktalfrau, Gärtner, Vanca und die anderen kämpfen oder gekämpft haben, ist eher poetisch präzise als politisch.
Schlaue Köpfe haben seit Urzeiten und überall auf der Welt gewusst, wie man aus allem Geld macht. Die Formel ist schon immer einfach gewesen.
Ein hölzernes Kreuz+Leiden+Ein Spektakel = Geld
Patriotismus+Abschlachten+Ein Spektakel = Geld
Liebe+Leiden+Ein Spektakel = Geld
Schmutzige Wäsche+Leiden+Ein Spektakel = Geld
Die heutige Formel lautet: Verbrechen+Perversion+Ein Spektakel = Geld
Das ist zwar alles richtig, Popovic hat Guy Debord gelesen. Es ist aber auch wenig hilfreich. Es befeuert Wut und Zorn, hilft aber kaum bei der Suche nach Alternativen. Das ist legitim. Aber ist vielleicht doch irgendwo ein Ausweg? Gibt es vielleicht doch eine Antwort auf IWF, Goldman Sachs und Deutsche Bank? Politische Alternativen hat Popovic, wenig erstaunlich, nicht anzubieten. Es gibt keine Gewerkschaften in Popovic Buch, es gibt keine aufrechten Sozialdemokraten, es gibt auch niemanden, der es für nötig hält, schriftlich oder mündlich zu agitieren. Allen ist ohnehin alles klar. Es gibt die Holding und alle die von ihr profitieren. Und es gibt die anderen, die Opfer. Eine Umgestaltung der Holding, ihre Zivilisierung oder Entschärfung ist unmöglich. Auch der Terror der Ungenießbaren ist keine Lösung ist, sie selbst wissen das im Grunde am Besten. Was geht ist Aussteigen: Schon ganz zu Beginn des Buches erfahren wir, dass die Fraktalfrau das Mumonkan liest, eine Sammlung von Sinnsprüchen des Zen-Buddhismus. Später liefert Popovic eine ausführliche Liste seiner literarischen Götter von Cervantes und Boccaccio über Dostojewski und Genet bis zum slowenischen Meister Vitomil Zupan. Ganz zum Schluss führt er uns in ein Museum für den spanischen Dichter Machado. Und dann ist da noch die Natur:
Wo ich gerade beim Zufußgehen bin, wir gingen häufig in die Berge, auf der Suche nach der Vegetation, Fraktalfrau und ich. Fraktalfrau betrachtete Wurzeln, Blätter, Stauden, Blüten und Früchte, die man trinken und essen kann, roh, gekocht, gedünstet, gebraten, ganz egal, als Vegetation. Schade um die Schönheit, pflegte sie zu sagen, wenn sie vor einem blühenden Nieswurz stand, der auf das Nervensystem des Menschen eine Wirkung hat, für die Händler und Politiker monatelange heftige Kampagnen benötigen.
Die Alternative zu schlechter Politik, so scheint Popovic zu sagen, ist nicht gute Politik. Die Alternativen heißen Zen-Buddhismus, Naturversenkung und Poesie. Ist der Zagreber Chefrabauke Edo Popovic auf seine alten Tage vielleicht sentimental geworden? Seine Beschreibung unserer Realität zwischen Holding und Zone jedenfalls ist akkurat: Anfang November meldet der Londoner Guardian, die Stadtverwaltung der britischen Hauptstadt habe begonnen, Arme und Obdachlose, die bei der Wohnungssuche auf städtische Hilfe angewiesen sind, an den Stadtrand und in weit entfernte Gemeinden umzusiedeln. London muss sauber bleiben.
Edo Popovic: "Der Aufstand der Ungenießbaren".
Aus dem Kroatischen von Alida Bremer.
Luchterhand Verlag, München, 190 Seiten, 17,99 Euro.
Wer all das weiß, der weiß, dass Popovic großes Talent für drastische Situationen hat und politisch weit links steht. Trotzdem kommt die wuchtige Direktheit überraschend, mit der sein neuer Roman "Der Aufstand der Ungenießbaren" attackiert, was man wohl die herrschenden Verhältnisse nennen muss. Mindestens genauso überraschend, wie die Auswege, die Popovic anbietet. Doch der Reihe nach.
Wir schreiben das Jahr 2020, Kroatien ist kein Staat mehr, sondern eine Holding:
Kroatien ist nur noch ein Fleck auf der Landkarte, ein parzelliertes und verwüstetes Stückchen der sich drehenden Erdkugel. Eine vertrocknete Schale der Drachenfrucht. Die adriatische Küste, die Inseln und Istrien sind im Besitz von Offshore-Firmen und Banken, und sieben Städte, die von Mauern umgeben sind - Zagreb, Osijek, Dubrovnik, Split, Zadar, Rijeka und Pula - sind zu einer Holding vereinigt, die von Steuern, Handel und Maklergeschäften lebt. Alle anderen Güter, zu denen die eingezäunten und gut bewachten Trinkwasserquellen, die Kraftwerke, Flughäfen, Autobahnen, die fruchtbaren Gebiete in Slawonien und die Wälder in Gorski Kotar gehören, sind im Besitz von Großbetrieben. Das Gebiet außerhalb der Mauern und Zäune wird die Zone genannt.
Die Teilung des Landes in Zone und Holding entstand nach und nach, seit den 90er-Jahren. Zunächst durften auch Arme und Ausgestoßene noch in den Zentren der Stadt wohnen. Es gab sogar eine Zeit, in der sich einige Arme und Ausgestoßene zu einer utopischen sozialistischen Gemeinschaft verbanden. Man nannte sie die "Dunklen Kapuzen".
Sie verdienten nichts, sie bezahlten keine Steuern, sie verbrauchten nichts, sie waren völlig ungenießbar - vom Standpunkt der Regierung aus betrachtet. Schlecht konstruierte Uhren. Es war nur eine Frage der Zeit, wann die Regierung einen Weg finden würde, sie zu beseitigen.
Irgendwann um das Jahr 2013 herum hatte die Regierung den Weg gefunden: Die Mauern um die 7 Städte wurden einfach geschlossen, wie die anderen lebten und ob sie überlebten, interessierte nun einfach niemanden mehr. Wer nicht konsumiert, kann genauso gut tot sein. In diesem Moment radikalisiert sich ein Teil der Dunklen Kapuzen. Zu den so genannten "Ungenießbaren" gehören der Icherzähler Vanca und eine geheimnisvolle "Fraktalfrau". Sie sabotieren die Holding, wo sie nur können, sie finanzieren sich durch Diebstähle und illegale Geschäfte, sie wollen frei und ungebunden leben. Irgendwann schließt sich ihnen ein wütender junger Mann namens "Gärtner" an. Ein kroatischer Andreas Baader, der nicht begreifen kann, was an gewaltlosem Widerstand toll sein soll.
Wir werden ihn hundertprozentig ökologisch abmurksen, auch heute noch kann ich die Begeisterung in Gärtners Stimme hören, das wird die erste Öko-Exekution./
Die Ungenießbaren beginnen, Banker, Industrielle und andere Profiteure der neuen Weltordnung zu entführen und zu exekutieren. Nicht ohne ihnen vorher ihre Schlechtigkeit theatralisch vor Augen zu führen. Tagelang müssen sich die Entführten von Geldscheinen, Münzsuppen und Financial Times Salat ernähren.
Edo Popovic erzählt die Geschichte der Ungenießbaren von 1991 bis 2020 in zwanzig kurzen Kapiteln. Weil die Handlung zwischen den Jahren ebenso hin und herspringt wie zwischen Zagreb, Wien, dem mythischen Velebit Gebirge und Madrid, braucht der Leser eine Weile um die Verbindungen zwischen den verschiedenen Figuren zu kapieren. Viel schneller versteht man, dass Popovic wenig an konkreten Ereignissen und Fakten gelegen ist, es geht nicht um eine historisch plausible Abenteuergeschichte aus dem antikapitalistischen Widerstand des 21. Jahrhunderts, sondern um seine parabelhafte Verdichtung. Aus Popovic' kurzen Roman erfährt man nicht, wie Molotowcocktails gebaut werden, man ist nicht beim Druck von Flugblättern, revolutionären Diskussionen oder Kommandoaktionen dabei. Auch die Beschreibung der Verhältnisse, gegen die Fraktalfrau, Gärtner, Vanca und die anderen kämpfen oder gekämpft haben, ist eher poetisch präzise als politisch.
Schlaue Köpfe haben seit Urzeiten und überall auf der Welt gewusst, wie man aus allem Geld macht. Die Formel ist schon immer einfach gewesen.
Ein hölzernes Kreuz+Leiden+Ein Spektakel = Geld
Patriotismus+Abschlachten+Ein Spektakel = Geld
Liebe+Leiden+Ein Spektakel = Geld
Schmutzige Wäsche+Leiden+Ein Spektakel = Geld
Die heutige Formel lautet: Verbrechen+Perversion+Ein Spektakel = Geld
Das ist zwar alles richtig, Popovic hat Guy Debord gelesen. Es ist aber auch wenig hilfreich. Es befeuert Wut und Zorn, hilft aber kaum bei der Suche nach Alternativen. Das ist legitim. Aber ist vielleicht doch irgendwo ein Ausweg? Gibt es vielleicht doch eine Antwort auf IWF, Goldman Sachs und Deutsche Bank? Politische Alternativen hat Popovic, wenig erstaunlich, nicht anzubieten. Es gibt keine Gewerkschaften in Popovic Buch, es gibt keine aufrechten Sozialdemokraten, es gibt auch niemanden, der es für nötig hält, schriftlich oder mündlich zu agitieren. Allen ist ohnehin alles klar. Es gibt die Holding und alle die von ihr profitieren. Und es gibt die anderen, die Opfer. Eine Umgestaltung der Holding, ihre Zivilisierung oder Entschärfung ist unmöglich. Auch der Terror der Ungenießbaren ist keine Lösung ist, sie selbst wissen das im Grunde am Besten. Was geht ist Aussteigen: Schon ganz zu Beginn des Buches erfahren wir, dass die Fraktalfrau das Mumonkan liest, eine Sammlung von Sinnsprüchen des Zen-Buddhismus. Später liefert Popovic eine ausführliche Liste seiner literarischen Götter von Cervantes und Boccaccio über Dostojewski und Genet bis zum slowenischen Meister Vitomil Zupan. Ganz zum Schluss führt er uns in ein Museum für den spanischen Dichter Machado. Und dann ist da noch die Natur:
Wo ich gerade beim Zufußgehen bin, wir gingen häufig in die Berge, auf der Suche nach der Vegetation, Fraktalfrau und ich. Fraktalfrau betrachtete Wurzeln, Blätter, Stauden, Blüten und Früchte, die man trinken und essen kann, roh, gekocht, gedünstet, gebraten, ganz egal, als Vegetation. Schade um die Schönheit, pflegte sie zu sagen, wenn sie vor einem blühenden Nieswurz stand, der auf das Nervensystem des Menschen eine Wirkung hat, für die Händler und Politiker monatelange heftige Kampagnen benötigen.
Die Alternative zu schlechter Politik, so scheint Popovic zu sagen, ist nicht gute Politik. Die Alternativen heißen Zen-Buddhismus, Naturversenkung und Poesie. Ist der Zagreber Chefrabauke Edo Popovic auf seine alten Tage vielleicht sentimental geworden? Seine Beschreibung unserer Realität zwischen Holding und Zone jedenfalls ist akkurat: Anfang November meldet der Londoner Guardian, die Stadtverwaltung der britischen Hauptstadt habe begonnen, Arme und Obdachlose, die bei der Wohnungssuche auf städtische Hilfe angewiesen sind, an den Stadtrand und in weit entfernte Gemeinden umzusiedeln. London muss sauber bleiben.
Edo Popovic: "Der Aufstand der Ungenießbaren".
Aus dem Kroatischen von Alida Bremer.
Luchterhand Verlag, München, 190 Seiten, 17,99 Euro.