Beatrix Novy: Nein, das ist keine peinliche Komikersendung aus dem Privatfernsehen, es ist Theater. Mit blöden Witzen versucht ein Mann, den Tod zu verdrängen, aber der sitzt schon an seinem Küchentisch. Soweit grob das Szenario eines Stücks von George Tabori, dem vor fünf Jahren verstorbenen großen Theatermacher. Die tiefschwarze Komödie "Abendschau", die hatte er schon 1979 aufführen wollen, es wurde daraus nichts und so bekamen 33 Jahre später die diesjährigen Ruhrfestspiele eine Tabori-Uraufführung.
Unser Kritiker, der im Publikum saß, ist Stefan Keim. Dieses Stück handelt vom Tod, es verschwand damals in der Versenkung, während der Proben war ein Schauspieler gestorben. Vielleicht, Herr Keim, war das der Zusammenhang?
Stefan Keim: Ja, vielleicht war George Tabori dann ein bisschen abergläubig, wie das Theaterleute ja oft sind, und hat dann die Finger davon gelassen. Auf jeden Fall hat Frank Hoffmann, der Intendant der Ruhrfestspiele und Regisseur dieser Uraufführung, dann das Stück im Nachlass gefunden, festgestellt, das ist eigentlich ein fertig geschriebener Theaterabend und hat den jetzt bei den Ruhrfestspielen auf die Bühne gebracht. Wir haben da das Personal einer typischen amerikanischen Sitcom: Einen heruntergekommenen Entertainer, dessen furchtbare Witze nicht mehr zünden, seine Frau, die gegen das Altern kämpft und davon träumt, in Anmut zu altern, wir haben einen Sohn, der überhaupt keinen Kontakt zum Leben hat und ständig irgendwelche kranken Tiere oder gar Monster mit nach Hause bringt, und einen sprechenden Hund, der Schach spielen kann. Und der Sohn bringt plötzlich eben kein krankes Tier mit, sondern den Tod höchstpersönlich, und der Tod personifiziert – das kennt man ja zum Beispiel auch schon aus "Mein Kampf" von George Tabori, acht Jahre später entstanden, die Frau tot -, hier hat er die unterschiedlichsten grotesken Ausformungen, als alter Mann zum Beispiel, als Arzt, oder auch als Hollywood-Tycoon.
Novy: Ist das ein Stück, das heute noch – es ist ja 79 geschrieben – Sie so überzeugt hat, dass Sie gesagt haben, ja, das musste man jetzt aufführen, in dieser Form?
Keim: Es ist keins von Taboris philosophischen Stücken, sondern eine sehr direkte groteske Komödie, und insofern trifft es eigentlich so einen heutigen Zeitgeist immer noch ziemlich gut. Ich musste an Al Bundy denken oder an ähnliche Soaps oder Sitcoms, die wir auch immer noch im Privatfernsehen vor allen Dingen ja zu sehen bekommen. Und es hat schon darüber hinausgehend den typischen Tabori-Touch. Frank Hoffmann hat Folgendes gemacht: Er hat nicht diesen weisen Humor von Tabori bedient, sondern hat es ziemlich derb und grell und grotesk auch inszeniert. Das funktioniert einigermaßen. Aber er hat das Glück, einen grandiosen Hauptdarsteller zu haben, nämlich Wolfram Koch, und Wolfram Koch bringt eine völlig neue Spielweise für so eine Tabori-Rolle auf die Bühne. Er zieht diese Rolle an sich heran, an seine riesige groteske Körperkomik, die diesen Schauspieler ja auszeichnet, gleichzeitig mit einem hellwachen Geist. Und wie er dann diesen Vater, diesen abgewrackten Entertainer spielt, das ist eine wirklich grandiose Gratwanderung zwischen Slapstick und Horror und dann doch wieder ganz nah am Geist von George Tabori. Also wir haben hier kein Meisterwerk entdeckt, aber auch keins von seinen schwächeren Stücken, schon ein sehr spielbarer Text.
Novy: Dann kommen wir jetzt von "Abendschau" zu der anderen Uraufführung, über die wir sprechen wollen, im Titel gar nicht so weit weg von dem, was Sie gerade geschildert haben: "Zerschossene Träume" – eine Uraufführung, die von Wolfram Lotz und Martin Laberenz eingerichtet ist. Das sind zwei ziemlich verschiedene Regisseure. Der eine gilt oder galt als Nachwuchshoffnung der deutschen Dramatik, allerdings die Uraufführungen seiner ersten Stücke wurden doch häufig verrissen. Nun hat er sich mit Laberenz zusammengetan, einem Regisseur, dessen Ästhetik an René Pollesch erinnert. Wer prägt denn diesen Theaterabend nun?
Keim: Ich habe den Eindruck, Martin Laberenz war dominant. Interessanterweise gibt es ja sogar inhaltlich ein paar Vergleichsmöglichkeiten zwischen Tabori und Wolfram Lotz/Martin Laberenz. Beide versuchen, sehr harte, sehr düstere Themen, auch sehr philosophische Themen auf die Bühne zu bringen, aber mit Leichtigkeit und Humor. Und gleich am Anfang sehen wir eine Frau auf der Bühne stehen, in einem langen Kleid, und die behauptet, sie sei Thilo Sarrazin. Sie ist aber eigentlich nur Trägerin dieses Namens, denn sie erzählt dann eine ganz andere Biografie von einem Menschen, der in der Kindheit gedemütigt wurde von seinen Schulkollegen und deswegen ein Buch über sexuelle Desorientierung schreibt. Und das ist dann das Thema dieses ganzen Abends: Es geht um die Auflösung von Geschlechtern. Also es ist Diskurstheater, Debattentheater, aber riesig in die Höhe geschraubt, mit einer gewaltigen Spielfreude von einem ganz aufgedrehten Ensemble des Schauspiels Leipzig präsentiert, wo das Ganze dann weiter zu sehen sein wird, mit viel Videoeinsatz. Das erinnert sehr oft an René Pollesch, das erinnert an Frank Castorf, aber es hat eine Frische und es ist ein Abend, der hoch komplex ist und dabei riesig Spaß macht.
Novy: Stefan Keim, ganz angetan von zwei Uraufführungen bei den Ruhrfestspielen in Recklinghausen.
Unser Kritiker, der im Publikum saß, ist Stefan Keim. Dieses Stück handelt vom Tod, es verschwand damals in der Versenkung, während der Proben war ein Schauspieler gestorben. Vielleicht, Herr Keim, war das der Zusammenhang?
Stefan Keim: Ja, vielleicht war George Tabori dann ein bisschen abergläubig, wie das Theaterleute ja oft sind, und hat dann die Finger davon gelassen. Auf jeden Fall hat Frank Hoffmann, der Intendant der Ruhrfestspiele und Regisseur dieser Uraufführung, dann das Stück im Nachlass gefunden, festgestellt, das ist eigentlich ein fertig geschriebener Theaterabend und hat den jetzt bei den Ruhrfestspielen auf die Bühne gebracht. Wir haben da das Personal einer typischen amerikanischen Sitcom: Einen heruntergekommenen Entertainer, dessen furchtbare Witze nicht mehr zünden, seine Frau, die gegen das Altern kämpft und davon träumt, in Anmut zu altern, wir haben einen Sohn, der überhaupt keinen Kontakt zum Leben hat und ständig irgendwelche kranken Tiere oder gar Monster mit nach Hause bringt, und einen sprechenden Hund, der Schach spielen kann. Und der Sohn bringt plötzlich eben kein krankes Tier mit, sondern den Tod höchstpersönlich, und der Tod personifiziert – das kennt man ja zum Beispiel auch schon aus "Mein Kampf" von George Tabori, acht Jahre später entstanden, die Frau tot -, hier hat er die unterschiedlichsten grotesken Ausformungen, als alter Mann zum Beispiel, als Arzt, oder auch als Hollywood-Tycoon.
Novy: Ist das ein Stück, das heute noch – es ist ja 79 geschrieben – Sie so überzeugt hat, dass Sie gesagt haben, ja, das musste man jetzt aufführen, in dieser Form?
Keim: Es ist keins von Taboris philosophischen Stücken, sondern eine sehr direkte groteske Komödie, und insofern trifft es eigentlich so einen heutigen Zeitgeist immer noch ziemlich gut. Ich musste an Al Bundy denken oder an ähnliche Soaps oder Sitcoms, die wir auch immer noch im Privatfernsehen vor allen Dingen ja zu sehen bekommen. Und es hat schon darüber hinausgehend den typischen Tabori-Touch. Frank Hoffmann hat Folgendes gemacht: Er hat nicht diesen weisen Humor von Tabori bedient, sondern hat es ziemlich derb und grell und grotesk auch inszeniert. Das funktioniert einigermaßen. Aber er hat das Glück, einen grandiosen Hauptdarsteller zu haben, nämlich Wolfram Koch, und Wolfram Koch bringt eine völlig neue Spielweise für so eine Tabori-Rolle auf die Bühne. Er zieht diese Rolle an sich heran, an seine riesige groteske Körperkomik, die diesen Schauspieler ja auszeichnet, gleichzeitig mit einem hellwachen Geist. Und wie er dann diesen Vater, diesen abgewrackten Entertainer spielt, das ist eine wirklich grandiose Gratwanderung zwischen Slapstick und Horror und dann doch wieder ganz nah am Geist von George Tabori. Also wir haben hier kein Meisterwerk entdeckt, aber auch keins von seinen schwächeren Stücken, schon ein sehr spielbarer Text.
Novy: Dann kommen wir jetzt von "Abendschau" zu der anderen Uraufführung, über die wir sprechen wollen, im Titel gar nicht so weit weg von dem, was Sie gerade geschildert haben: "Zerschossene Träume" – eine Uraufführung, die von Wolfram Lotz und Martin Laberenz eingerichtet ist. Das sind zwei ziemlich verschiedene Regisseure. Der eine gilt oder galt als Nachwuchshoffnung der deutschen Dramatik, allerdings die Uraufführungen seiner ersten Stücke wurden doch häufig verrissen. Nun hat er sich mit Laberenz zusammengetan, einem Regisseur, dessen Ästhetik an René Pollesch erinnert. Wer prägt denn diesen Theaterabend nun?
Keim: Ich habe den Eindruck, Martin Laberenz war dominant. Interessanterweise gibt es ja sogar inhaltlich ein paar Vergleichsmöglichkeiten zwischen Tabori und Wolfram Lotz/Martin Laberenz. Beide versuchen, sehr harte, sehr düstere Themen, auch sehr philosophische Themen auf die Bühne zu bringen, aber mit Leichtigkeit und Humor. Und gleich am Anfang sehen wir eine Frau auf der Bühne stehen, in einem langen Kleid, und die behauptet, sie sei Thilo Sarrazin. Sie ist aber eigentlich nur Trägerin dieses Namens, denn sie erzählt dann eine ganz andere Biografie von einem Menschen, der in der Kindheit gedemütigt wurde von seinen Schulkollegen und deswegen ein Buch über sexuelle Desorientierung schreibt. Und das ist dann das Thema dieses ganzen Abends: Es geht um die Auflösung von Geschlechtern. Also es ist Diskurstheater, Debattentheater, aber riesig in die Höhe geschraubt, mit einer gewaltigen Spielfreude von einem ganz aufgedrehten Ensemble des Schauspiels Leipzig präsentiert, wo das Ganze dann weiter zu sehen sein wird, mit viel Videoeinsatz. Das erinnert sehr oft an René Pollesch, das erinnert an Frank Castorf, aber es hat eine Frische und es ist ein Abend, der hoch komplex ist und dabei riesig Spaß macht.
Novy: Stefan Keim, ganz angetan von zwei Uraufführungen bei den Ruhrfestspielen in Recklinghausen.