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Duisburg-Marxloh
Den Ruf nicht noch schlechter machen

Rentner Uwe Heinrich wohnt seit fast 40 Jahren in der Nachbarschaft von Duisburg-Marxloh und engagiert sich dort ehrenamtlich. Erstaunt verfolgt er die negative Berichterstattung über Marxloh und weist darauf hin: "Dieser kulturell so vielfältige Stadtteil hat auch seinen Charme."

Von Moritz Küpper |
    Der Duisburger Uwe Heinrich
    Der Duisburger Uwe Heinrich zeigt sein Marxloh (Deutschlandradio/Moritz Küpper)
    "Das ist jetzt Marxloh, ja Gott, wie heißt das jetzt hier? Marktplatz Johannesmarkt ist das hier, nicht?" Uwe Heinrich ist gerade aus dem Auto gestiegen. Rund zehn Minuten hat die Fahrt von seinem Haus in Duisburg-Neumühl, dem benachbarten Stadtteil, nach eben Duisburg-Marxloh gedauert.
    Der 73-Jährige, ein großgewachsener, sportlicher Mann mit Glatze, Brille und einem freundlichen Gemüt, steht nun mitten auf dem Platz, Vögel zwitschern, in der anderen Ecken schrauben drei Männer an einem Auto herum, blicken skeptisch herüber. "Also, wenn Sie mich direkt fragen, es ärgert mich, dass hier dieser Stadtteil, der direkt neben meinem jetzigen Wohnort liegt, dass der so runtergemacht wird."
    "Nogoarea in Marxloh" stand in Betreffzeile der E-Mail, die Heinrich vor gut einem Monat an den Deutschlandfunk schrieb. Er wundere sich, schrieb Heinrich damals, dass im Deutschlandfunk der – so hieß es da wörtlich – Problemstadtteil zu einer No-Go-Area abqualifiziert werde. Als treuer Hörer würde er sich freuen, wenn auch einmal positiv über Marxloh berichtet würde. Deswegen der Besuch – und ein Rundgang durch den Stadtteil.
    "Ja, es ist sehr dreckig"
    Heinrich geht los, er will zum Kindergarten, in dem er seit einiger Zeit als Vorlese-Pate engagiert ist, und biegt in eine kleine Seitenstraße ein: "Ich meine, das ist hier normale Verunreinigung der Straße, die aber nicht schlimmer als in anderen Stadtteilen, nicht?"
    An der Häuserwand lehnt eine alte, abgewetzte Matratze, auf dem Bürgersteig fliegen Plastiktüten, Flaschen und Essensreste herum. Fast jeder Schritt erfordert einen Bodenblick. Heinrich schaut etwas hilflos: "Aber die Straße hier ist schon sehr dreckig, ne?"
    Duisburger Uwe Heinrich
    Duisburger Uwe Heinrich ärgert sich, dass Marxloh "so runtergemacht wird“ (Deutschlandradio/Moritz Küpper)
    "Ja, es ist sehr dreckig. Da kann ich nichts gegen sagen. Aber es ist nicht dreckiger als in anderen Stadtteilen. Und ich meine ja, dass Duisburg – das habe ich von Ferne so erlebt, war gleich Schimanski-Stadt, nicht. Also, ich meine ja das gerade – wir gehen mal hier rum – diese rüde Art vom Schimanski und auch die Kulisse, die immer gezeigt wurde, zum schlechten Ruf von Duisburg maßgeblich beteiligt ist."
    Mittlerweile, so scheint und stört es eben auch Heinrich, ist Marxloh eine Marke geworden, eine Negativ-Marke: Im laufenden NRW-Landtagswahlkampf schreibt die Alternative für Deutschland einzig den Stadtteil-Namen auf ihre Wahlplakate, darunter: NRW gehe Stück für Stück verloren. Es ist dieses Bild, das Heinrich stört.
    Engagiert und hilfsbereit
    "Das ist mein Kindergarten. Dahinter dem Zaun. Aber hier ist direkt auch wieder Parkanlage." Glücklich zeigt ins Grüne. Seit einiger Zeit ist Heinrich hier engagiert: "Ich lese manchmal vor und wenn die Kinder lieber spielen wollen, dann mache ich mit denen Gesellschaftsspiele." Heinrich geht ein wenig vom Zaun weg, er hatte der Kindergärtnerin versprochen, nicht zu stören.
    "Ich kannte Marxloh dadurch, dass einerseits meine Zahnärztin hier habe, nicht, aber so hautnah habe ich das jetzt erst durch die Kindergarten- und Schul-Tätigkeit kennengelernt."
    Vorlesepate im Kindergarten, Musikunterricht in der Schule, Flüchtlingshelfer, dazu noch ein Engagement im Sportverein: Seine Zeit als Rentner versucht Heinrich zu nutzen. Er ist viel umgezogen, hat seit 1980 aber seinen Erstwohnsitz in Duisburg. In seinem beruflichen Leben war der Diplom-Ingenieur unter anderem im Vertrieb tätig:
    "Wenn man in ganz Deutschland rum kommt, dann gibt es viele, viele Stellen, wo man genauso Angst haben könnte. Und deswegen sagen also: Man muss einen Ruf nicht noch schlechter machen, als er ist. Dadurch, dass man immer wiederholt. Denn es ist ja teilweise so – psychologisch auch gesehen. Man ist froh, dass es eben Städte gibt, die noch schlechter sind, als die, in der man selber wohnt."
    "Direkte Bewohner von Marxloh kenne ich wenig"
    Als ehemaliger Vertriebler weiß Heinrich um die Kraft des ersten Eindrucks: Kurz zuvor, beim ersten Treffen im Haus, lag eine frische weiße Decke auf dem Tisch, Nüsschen und Schokoladen-Stückchen waren drapiert, ein Kaffee aufgebrüht. Heinrich will die Probleme von Marxloh – Armutszuwanderer aus Südosteuropa hausen in dem Viertel unter teils menschenunwürdigen Zuständen, vor ein paar Wochen erst wurde ein 14-Jähriger erstochen – nicht leugnen.
    Ihm geht es aber um die andere Seite, um die positiven Facetten: "Auch hier gibt einen gewissen Mittelstand, nicht? Dass der hier auch vorhanden ist. Nur: dass es ständig dann bei jeder Sache so Marxloh als der Inbegriff der schmutzigsten und schlechtesten und gefährlichsten Stadt von ganz Deutschland hingestellt wird. Und aus dem Grund hatte ich mich eigentlich an Sie gewendet."
    Duisburger Uwe Heinrich an einer befahrenen Seite
    Duisburger Uwe Heinrich: "Die Straße hier ist schon sehr dreckig" (Deutschlandradio/Moritz Küpper)
    Sagt es – und tritt beinah in Hundescheiße. Und es ist – auch im übergeordneten Sinne – eine Gratwanderung, mit Heinrich durch Marxloh zu spazieren. Denn einerseits engagiert er sich vor Ort, beklagt, dass zu viel über und zu wenig mit den Menschen in Marxloh gesprochen wird, andererseits sagt er: "Direkte Bewohner von Marxloh kenne ich eigentlich wenig, außer eben meiner Zahnärztin, die ja auch auf der Weseler Straße da praktiziert."
    Das ist eine der Hauptstraßen – auf der Heinrich nun angekommen ist. "Hier sind also türkische Reisebüros und die ganzen Sachen. Sie mögen das jetzt anders bewerten, aber ich finde, es ist an sich kein großer Unterschied zu anderen Einkaufsstraßen zu sehen."
    Anwalt des Stadtteils?
    Mehrfach schon hat er Briefe und E-Mails an Medienhäuser geschickt, auf die – letztendlich auch objektiv nachvollziehbar – einseitige, negative Berichterstattung hingewiesen. Vom stimmungsvollen St. Martins-Umzug beispielsweise, habe noch nicht mal was im lokalen Wochenblatt gestanden: "Das ist ein St. Martinszug von mehreren hundert Metern Länge, drei Musikkapellen, aus Schulen und von überall her. Die sind hier quer durchgegangen und das da nicht irgendein Bericht in irgendeiner Zeitung oder Fernsehen gekommen ist…"
    Das Dilemma, auch für Berichterstatter, ist: So etwas ist vielerorts Alltag, fällt daher medial hinten runter. Ob Heinrich sich selbst als einen Anwalt des Stadtteils sehen würde? "Ich bemühe mich nur, da ein bisschen mit anzuschieben, nicht?"
    Knapp zwei Stunden dauert der Besuch bei Uwe Heinrich letztendlich. Er ist ein Mann, der viel Energie hat, an das Gute glaubt und anpackt: "Würden Sie nach Duisburg-Marxloh ziehen?" – "Da müsste man mir über ein adäquates Grundstück und adäquates Haus anbieten. Also, das ist jetzt eine hypothetische Frage, denn: Ich ziehe nicht mehr um in meinem Alter." Zu alt zu helfen ist er aber nicht.