"Wir haben hier unsere Zeltstadt, die aus 20 Bewohner-Zelten besteht."
Sowas hat Reginald Berndt in seinen 35 Berufsjahren beim Roten Kreuz auch noch nicht erlebt - 20 weiße Zelte, die sonst weltweit für Katastrophen-Einsätze aufgebaut werden, stehen jetzt in Reih und Glied auf dem stillgelegten Ascheplatz der Sportfreunde Walsum 09 in Duisburg.
"So wir haben in jedem Zelt acht Betten, acht Stühle, zwei Tische, das ist die Standard-Variante."
Maximal 150 Flüchtlinge aus Syrien, Irak oder einem der vielen anderen internationalen Brennpunkte sollen hier leben, stündlich werden sie erwartet in diesen Tagen. Wer genau kommt, und wann - das erfährt Reginald Berndt erst ganz kurz vorher. In den Zelten hängt ein stechender Gummigeruch:
"Der Gummiboden hat den Vorteil, dass selbst wenn Feuchtigkeit hochkommt, man relativ lange nicht im Nassen steht, aber auch Feuchtigkeit, die von oben mit reingetragen wird, wieder nach unten absickert und abfließt."
Kein Plätzchen für Privatsphäre
Das Ganze sei nur eine Notlösung bis zum Wintereinbruch, höchstens für acht Wochen. Ein privater Sicherheitsdienst lässt keine Fremden aufs Gelände, doch zugleich gibt es in den 30 Quadratmeter großen Zelten kein Plätzchen für Privatsphäre.
"Die ist natürlich sehr eingeschränkt ja, aber eine Turnhalle, wo hundert Leute drin campieren müssen, ist auch nicht toll."
Rund um den Sportplatz wuchert Unkraut, und die Güterzüge donnern auch nachts vorbei. Der Experte vom Deutschen Roten Kreuz hat ein freundliches, gemütliches Wesen - Kritik an dieser Flüchtlingsunterbringung kommt Reginald Berndt daher nur vorsichtig über die Lippen.
"Also es passt nicht mit unseren Grundsätzen zusammen, das ist in der Tat ein Problem. Wir haben andere Vorstellungen von Unterbringung von Flüchtlingen."
Noch wissen die Helfer nicht, ob der Strom reichen wird, welche Traumata die Menschen mitbringen und wie schnell die Flüchtlingskinder aus der Zeltstadt in die Schule gehen können. Wolf Dieter Just vom Duisburger Flüchtlingsrat ist entsetzt über diese Zustände:
"Diese Menschen kommen zur Zeit aus Syrien, aus Irak. Sie haben oft Verwandte und Familie verloren, waren in Todesgefahr, und dann kommen sie hier in dieses reiche Land, und landen in einem Zeltlager, das ist menschenunwürdig."
Duisburg ist mit seinen Kapazitäten längst am Ende
Zumal Duisburg im Aufnahmeverfahren schon die dritte Station ist, die Erst- und Zweitunterbringung in Deutschland werden die künftigen Zeltbewohner schon hinter sich haben, wenn sie hier ankommen - inklusive Registrierung mit Fingerabdrücken und ärztlicher Untersuchung. All das ist zunächst Ländersache, danach übernehmen die Kommunen. Nur sei Duisburg mit seinen Kapazitäten längst am Ende, sagt Stadtdirektor Reinhold Spaniel, SPD:
"Das kann man nicht wegdiskutieren, und ich will ganz deutlich sagen, auf diese Unterbringungsform bin ich nicht stolz."
Sieben neue Übergangsheime für Flüchtlinge hat der Stadtrat im letzten Jahr beschlossen, aber nicht mal die Hälfte davon ist bezugsfertig. Der Stadtdirektor fühlt sich überrollt:
"Wer kannte denn Anfang des Jahres die Terrorgruppe IS im Irak?! Ja, jetzt kommen die ganzen Schlauberger, die alles immer schon gewusst haben."
Soll heißen: Er selbst weiß es ein wenig besser, vor allem wenn es um den Paragrafen-Dschungel im deutschen Baurecht geht. Lärmschutz, Brandschutz, Umweltschutz. Anträge, Aufträge, Gutachten - kurzum: So eine Flüchtlingsunterkunft oder der Umbau von leeren Schulgebäuden sei nicht eben mal so zu machen.
"Die Umsetzung braucht teilweise einige Monate, das geht nicht so schnell. Und da wir kapazitätsmäßig voll sind bis unter die Decke, brauchen wir diese Zelte. Wir haben etliche Brandherde in der Welt, was dazu führt, dass viele Menschen jetzt zu uns kommen."
CDU-Fraktionschef ist mürrisch
Auch Rainer Enzweiler, CDU-Fraktionschef im Duisburger Stadtrat, stapft über den feuchten Fußballplatz und ist mürrisch. Es sei ja schön, dass die Bundesregierung 20.000 Flüchtlinge nach Deutschland hole, aber die Kommunen lasse man anschließend im Stich:
"Wir haben gesagt: Bund und Land dürfen Kommunen wie Duisburg nicht hängen lassen. Wir haben im Augenblick eine Haushaltssperre. Bei dieser Sachlage wäre es gut, wenn auch mal der Bund und das Land über ihren Schatten springen würden, und Duisburg mit einer Soforthilfe unter die Arme greifen könnten."
Allein mit der Armutszuwanderung aus Osteuropa hat Duisburg schon alle Hände voll zu tun. Und dann ist da noch was, erzählt Ralf Krause vom Deutschen Roten Kreuz. Das hier sagt er ausdrücklich als Bürger:
"Duisburg ist natürlich auch ein bisschen schockiert noch von dem Unglück mit der Loveparade, wo auch viele städtische Ämter schwer in der Kritik waren. Und das heißt, gerade solche Ämter sind dann natürlich hypersensibel, was Brandschutz, was Fluchtwege und dergleichen angeht."
Krause gehört dennoch zu denen, die hier nicht den Kopf in den Sand stecken. Stolz führt er die Besucher zum Mitarbeiter-Zelt, in dem seine Kolleginnen vom DRK über Personalplänen und Telefonlisten brüten.
Kinderprogramm, Sportangebot, Sprachkurse, die Helfer haben sich viel vorgenommen, um den Flüchtlingen das Leben in der Zeltstadt ein bisschen angenehmer zu machen. Auch die Anwohner rundum wollen mithelfen, heute soll es um die Ecke im evangelischen Gemeindehaus in Walsum ein erstes Treffen geben. Ralf Krause wird derweil Essen und Getränke liefern. Und trotz der massiven Kritik an den Zelten - Krause freut sich, wenn die Flüchtlinge endlich da sind:
"Ach, wir lieben so was. Das gesamte Team ist im Grunde auf diese Situation eingestellt, dass wir flexibel reagieren müssen."