Ballettdirektor Martin Schläpfer kombinierte drei denkbar verschiedene künstlerische Ansätze zu diesem als b.24 zählenden Abend tänzerischer Uraufführungen. Von Philip Glass, Dimitri Schostakowitsch und Arnold Schönberg stammten die jeweiligen Kompositionen, musikalische Welten und politische Systeme trennen bereits diese drei. Umso überraschender, wie exakt und emphatisch zugleich die Duisburger Philharmoniker unter Wen-Pin Chien diese ästhetischen Distanzen überwanden und klangen, als seien sie komplett in der modernen und zeitgenössischen Musik zuhause.
Vor allem Arnold Schönbergs "Konzert für Streichquartett und Orchester B-Dur nach Georg Friedrich Händels Concerto grosso opus 6 Nr. 7 B-Dur" stellt mit seinen wilden ästhetischen Sprüngen und mutwillig synkopierten Extravaganzen nicht erst für Tänzer eine rhythmische Herausforderung dar. Es kann in einem einzigen Moment wankender Konzentration und ungenauer Spielweise auseinanderfallen wie ein zu laut angesprochenes Kartenhaus durch die Atemluft. Amanda Millers Choreografie balancierte heiter über diesen musikalischen Abgrund, als seien die Tänzer ganz sicher getragen von den Musikern, die Schritte schwebend in poetischer Spannung gehalten durch die aus dem Graben aufsteigenden Töne. Und es funktionierte auch.
Zwanzig Tänzer arbeiten an dem Porträt einer Gesellschaft
In Claus Stumps farbenfroh kolorierten Tutus vor einer gemalten Betonwand tanzend, arbeiteten die zwanzig Tänzer an dem Porträt einer Gesellschaft, die um ihr temporäres Aufeinanderangewiesensein weiss und es geniesst, sich körperlich vertrauen zu können, ohne damit weitere Verpflichtungen einzugehen. Wie von geheimnisvoller Hand bewegt, schweben riesige Stillleben fantastischer Blüten herein und wieder heraus oder das Giebel-Fries eines Musentempels. Die schönsten klassischen und post-balanchinesken tanzsprachlichen Wendungen schenkt Miller ihren Tänzern zu freier wie improvisiert wirkender Verwendung. Jede Drehung des Kopfes, jede Streckung des Fusses ist historisch informiert und so mit Bedeutung und Tradition erfüllt, dass man sicher und glücklich mit der Vergangenheit verbunden fühlt statt entwurzelt wie so oft in der Kunst. Verblüffenderweise besteht aber Millers Kunst nicht allein in diesen raren exquisiten Kenntnissen, sondern in der Grosszügigkeit, mit der sie den Tänzern in diesem Idiom völlige individuelle Erfüllung ermöglicht. "Voices borrowed", geliehene Stimmen, so der Titel des Stücks, meint das Erklingenlassen anderer künstlerischer Stimmen, den Dialog mit den Geistern der Kunstgeschichte, Schönbergs mit Händel, Millers mit Balanchine, um nur diese zu nennen.
In düsteres Licht getauchte Studie der Einsamkeit
Diesem kostbaren Gewebe vorangestellt war ein Stück von Marco Goecke, "Lonesome George" sowie die Choreographie "Illusion" von Young-Soon Hue. Goeckes erneut in Udo Haberlands phantastisch düsteres Licht getauchte Studie der Einsamkeit faszinierte wie immer durch die abgehackt aneinandergesetzten, durch manisches Fuchteln unterbrochenen, nie wirklich verständlichen Tanzgesten. Man möchte der Choreografie die Hand auf die Schulter legen, damit sie sich beruhigt, ein absurdes und unbehagliches Gefühl.
Auf eine Weise waren auch Young-Soon Hues episodische Tänze von Einsamkeit geprägt, aber ihre romantische, mitunter pathetische Sprache wirkte im Vergleich mit den anderen gestrig. Gut, dass der Abend mit Amanda Millers überwältigend schönen und geistreichen Tänzen endete, denn über ihnen konnte man das verstörend Disparate des Abends völlig vergessen.