Damit sei die Zeit für den Wahlkampf zu kurz gewesen, viele Russen seien noch im Urlaub, sagte Michailova. Auch sei das Wahlsystem geändert worden. Eine Hälfte der Abgeordneten werde über Parteilisten gewählt, die andere direkt.
Galina Michailova geht davon aus, dass es für die Opposition schwieriger wird, im Parlament Fraktionen zu bilden. Sie rief die Bürger auf, sich an der Duma-Wahl zu beteiligen. "All diejenigen, die zu Hause auf dem Sofa sitzen bleiben, schenken ihre Stimme der Regierungspartei 'Geeintes Russland'", so Michailova.
Skeptisch äußerte sie sich zu der Frage, ob die Abstimmung fair verlaufen werde. Zwar gebe es eine neue Leiterin für die Wahlkommission. Bei der letzten Parlamentswahl habe es aber selbst in der Hauptstadt Moskau Unregelmäßigkeiten gegeben. Zugleich verwies Michailova auf die schlechte ökonomische Lage in dem Land. "Die Mehrheit versucht nur zu Überleben." Es sei kaum möglich, sich für die Opposition einzusetzen. Auch sei es gefährlicher geworden, auf den Straßen zu demonstrieren. Es drohten hohe Strafen oder die Verhaftung.
Das komplette Interview zum Nachlesen:
Sarah Zerback: Und darüber möchte ich jetzt sprechen mit Galina Michailova, sie ist Oppositionspolitikerin in der linksliberalen Jabloko-Partei und wir erreichen sie in Moskau. Guten Morgen, Frau Michailova!
Galina Michailova: Guten Morgen!
Zerback: Ihr Parteikollege Dmitrij Gudkow, der schreibt auf seiner Facebook-Seite: Wollen Sie, dass sich etwas ändert? Nehmen Sie an den Wahlen teil! Teilen Sie seinen Optimismus?
Michailova: Ja. Optimistisch muss man immer sein, wenn man in Russland zu der Opposition gehört. Natürlich hoffen wir, dass so viele Leute wie möglich zu den Wahllokalen gehen, weil die Leute, die zu Hause auf dem Sofa sitzen bleiben, die schenken ihre Stimmen der Regierungspartei Vereintes Russland. Aber es wird ja so gemacht und die Wahlen sind so, dass im Grunde die Leute nicht sehr viel Möglichkeit bekommen, zum Wahllokal zu gehen, weil, erstens sind die Regeln verändert verglichen mit dem Jahr 2011, weil wir jetzt wieder ein neues System, ein "neues altes" - in Anführungszeichen- System haben. Also, die Hälfte des Parlaments wird über die Parteilisten gewählt wie früher, die zweite Hälfte direkt gewählt. Nicht so wie in Deutschland, weil in Deutschland die Stimmen aufeinander da aufgezählt werden und verglichen miteinander werden, bei uns ist es geteilt. Also, dann wird es anders gezählt, sodass die Direktmandate nicht helfen können einer Partei, eine Fraktion zu bekommen. Und ich sage ...
Zerback: Aber wenn ich da mal nachfragen darf, warum verhindert das denn, dass die Russen eben, wie Sie sagen, auf dem Sofa sitzen bleiben? Es wird ja damit gerechnet, dass weniger als die Hälfte der Menschen nicht wählen ...
Michailova: Weil, jetzt ist die Zeit nicht passend. Früher haben wir im Dezember gewählt und jetzt im September. Viele sind noch nicht aus dem Urlaub gekommen, weil eben vor Kurzem unsere Beziehungen zur Türkei besser geworden sind und die Leute die Möglichkeit bekommen haben, in die Türkei zu fliegen, um da im Meer baden zu können. Früher hatten wir schlechte Beziehungen, das war nicht möglich. Und zweitens die Zeit, um die Leute zu werben, zu kurz geworden ist.
Zerback: Und dass das jetzt geändert wurde, vermuten Sie dahinter eine Strategie der Regierung?
Michailova: Natürlich, aber natürlich! Weil die Situationen viel schlechter geworden sind, haben wir jetzt eine ökonomische Krise und den Rentnern wurde erklärt, ihre Renten wurden nicht erhöht, in Verbindung mit der Inflation, wie es früher gemacht wurde. Also, die Preise sind höher und insgesamt ist die Situation schlechter geworden. Also dann, jeder vermutet, dass Vereintes Russland weniger Stimmen bekommt. Und daher ist es auch möglich, dass die Leute, die Putin unterstützen, auch direkt gewählt werden können.
Zerback: Gleichzeitig hören wir ja aber, dass die Zustimmungswerte für Putin ja ungebrochen hoch sind. Es sind über 80 Prozent.
Michailova: Ja, deswegen ...
Zerback: Warum gelingt es denn da nicht, den politischen Wandel abzuleiten, wenn Russland doch, wie Sie sagen, in einer solchen Krise steckt?
Michailova: Die Mehrheit versucht nur, zu überleben
Michailova: Wissen Sie, können Sie in einem Regime, wo ständig im Fernsehen gelogen wird, dass die Leute, die wirklich nur das Ziel haben, zu überleben, ständig im Internet surfen, um die Wahrheit zu erfahren, auch in fremden Sendern, Radio oder Fernsehen hören? Nein, das ist unvorstellbar. Die Mehrheit versucht nur, zu überleben. Und deswegen ist es kaum möglich, dass die Leute wirklich oppositionell werden, erstens. Und zweitens ist die Situation in Bezug auf die Proteste auch viel gefährlicher geworden.
Zerback: Inwiefern?
Michailova: Wenn du auf die Straße gehst, dann ist es gut möglich, dass du hohe Strafe bekommst oder verhaftet wirst. Aber trotzdem ist es möglich, dass insbesondere in Moskau, in den Großstädten Leute direkt auch die Oppositionellen wählen. Deshalb ist es nicht hoffnungslos. Hoffnung besteht immer noch!
Zerback: Gleichzeitig hören wir doch aber auch von den Zeichen der Transparenz, die Präsident Putin jetzt in dieser Wahl aussenden möchte. Er hat da den umstrittenen korrupten Wahlleiter der letzten Wahl ja zum Beispiel abberufen und ihn ersetzt durch die Menschenrechtsbeauftragte, die jetzt die neue Chefin der Wahlkommission ist, es gibt ein neues Wahlgesetz, in dem die Sperrklausel gesenkt wurde, eben von sieben auf fünf Prozent. Sind das nicht gute Vorzeichen für eine faire Wahl, in der die Opposition noch eine Chance hat?
Michailova: Jein. Ja und nein, weil, natürlich kann man von heute auf morgen alles nicht ändern. Ella Pamfilowa, die jetzt die Wahlkommission leitet, ist zwar eine Ehrliche und sie ist total engagiert. Und sie versucht, alles gut zu machen, was gut zu machen ist, aber das ist sehr schwierig, weil diese Maschinerie, die in der Region seit Jahren aufgebaut worden ist, die kann man von heute auf morgen nicht ändern. Und die Leute fürchten, dass sie ihren Platz verlieren, wenn Vereintes Russland nicht die gewünschte Zahl bekommt. Es gibt sogar in Moskau Unregelmäßigkeiten, obwohl Moskau natürlich für alle da ziemlich offen ist. Da haben wir auch eine große Delegation von der OSCE. Ich habe auch mich mit den Leuten getroffen. Aber sogar hier gibt es Unregelmäßigkeiten. Wenn Sie sich vorstellen, wie es im Kaukasus vorgeht ... Also, unsere Hoffnung ist, dass die Leute aufstehen und gehen und die Hoffnung nicht verlieren, weil, viele, mit denen ich gesprochen habe auf der Straße – ich arbeite praktisch auf der Straße jeden Tag und spreche ungefähr 50, 60 Leute an –, und so ungefähr ein Drittel sagt, wir glauben an nichts, wir gehen nicht wählen.
Zerback: Jetzt kommt ja erschwerend hinzu, dass die Opposition zersplittert ist. Sie selbst, die Jabloko-Partei, kann sich nicht mit der anderen Oppositionspartei, mit der Parnas auf eine gemeinsame Linie einigen, dabei wären sie ja gemeinsam viel stärker. Wie schätzen Sie denn die Chance ein für Ihre Partei?
Michailova: Unsere Partei ist eine vereinigte Partei. Auf unserer Liste stehen auch die Leute, die nicht zu der Partei gehören. Fast 50 Prozent. Das ist die Frage von Parnas ... Und sie haben jetzt auch eine andere Linie, sie haben unter drei Personen, die die Liste führen, auch einen Populisten und Nationalisten. Für unsere Partei sind die Werte sehr wichtig. Wir wollen nicht mit den Nationalisten, Populisten uns vereinigen, dann verlieren wir unser Gesicht. Und das Gesicht der Partei ist unter diesen Umständen sehr, sehr wichtig.
Zerback: Sagt Galina Michailova, russische Oppositionspolitikerin der Jabloko-Partei. Vielen Dank für das Gespräch heute Morgen hier bei uns im Deutschlandfunk!
Michailova: Bitte schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.