"Russland ohne Putin" rufen sie. Über Monate erschallte dieser Ruf der Demonstranten im Zentrum von Moskau. Auch am 6. Mai 2012. Ein heißer Tag. Am nächsten Tag wird Wladimir Putin als Präsident Russlands vereidigt. Zigtausende Menschen ziehen die genehmigte Demonstrationsroute entlang zum Bolotnaja-Platz nicht weit vom Kreml.
An diesem 6. Mai halten Sicherheitskräfte den Zug kurz vor dem Ende auf. Sie lotsen junge Männer in Sportkleidung in die Menge. Die Lage eskaliert, hunderte Demonstranten werden anschließend festgenommen. Es ist ein Wendepunkt. Von jetzt an ebben die Proteste ab.
Maria Baronowa, heute 32, hat die Demonstration zum Bolotnaja-Platz damals mit organisiert. Sie wurde angeklagt, zu Massenunruhen angestiftet zu haben, verbrachte Tage und Wochen im Gerichtssaal, durfte das Land nicht mehr verlassen. Im Rahmen einer Amnestie wurde das Verfahren gegen sie fallen gelassen. Sie sagt, viele Menschen hätten Angst, deswegen gäbe es keine Proteste mehr.
"Ich verstehe nicht, warum Banker, Vizepräsidenten von großen Firmen Angst haben. Ich verstehe nicht, warum Menschen mit Geld Angst haben. Ich verstehe, dass junge Leute Angst haben."
Kaum noch politisches Engagement
Baronowa ist mutig. Sie kandidiert bei der Dumawahl am kommenden Sonntag, kämpft um ein Direktmandat im Zentrum Moskaus. Von den Massen, die nach der Dumawahl im Dezember 2011 auf die Straße gingen, engagiere sich kaum jemand mehr politisch, klagt sie.
"200.000 Leute haben sich anders entschieden. Sie haben entschieden, nicht für ihr Leben, nicht für Dinge im Land verantwortlich zu sein."
Einer der vielen, die sich zurückgezogen haben, ist Maxim Blant, Wirtschaftsanalyst.
"Ich habe auch überlegt, mich bei der Open Russia Stiftung zu bewerben und mich für Menschenrechte einzusetzen. Dann wurde aber das Büro durchsucht und da habe ich mir das doch anders überlegt."
Die Open Russia Stiftung wird von dem Milliardär Michail Chodorkowski aus dem Ausland finanziert und unterstützt auch einige unabhängige Kandidaten im Wahlkampf. Maxim Blant gehörte zu einem inneren Kreis von vielleicht 150 Aktivisten, die im Winter 2011/2012 Demonstrationen vorbereitet haben, Flugblätter entworfen haben, Sprechchöre einstudiert haben, als Ordner mitliefen.
"Jetzt gibt es schon eine gewisse Ermüdung und auch Abstinenz. Wir haben zwei Jahre auf Adrenalin gelebt, das geht aber auch nicht ewig. Vielleicht reicht es ja auch einfach, abzuwarten, vielleicht geht ja alles von selbst kaputt."
Angst vor dem langen Arm Putins
Der Unternehmer Andrej Gusarow hat Aktivisten wie Maxim Blant für ihren Mut immer bewundert. Er ging damals zu vielen Protestkundgebungen. Unternehmer Gusarow befürchtet, dass es seinem kleinen Unternehmen genauso ergeht wie vielen anderen Unternehmern, wenn sie sich allzu offensiv der Macht entgegenstellen.
"Die Macht wird aus mir einfach einen Steuerbetrüger machen, mich schlussendlich aufgrund eines angeblichen ökonomischen Verbrechens verurteilen, und ich werde niemandem meine Unschuld beweisen können. Ein paar Freunde werden wissen, weshalb ich im Gefängnis sitze. Aber das ist auch alles. Bin ich dazu bereit? Eher nicht. Ich bin schwach."
Trotzdem gibt er ein Interview.
"Mir scheint, ich kann in meinem Land mit meiner Meinung nichts beeinflussen. Aber es ist wichtig, dass die Deutschen verstehen, mit was für einem Regime sie es zu tun haben. Einem unfreien.
Wenn jemand denkt, Putin sei stark – der ist stark nur im Sinne eines Halbstarken, er ist stark durch die Machtstrukturen, die er lenkt, aber er selbst ist keine starke Persönlichkeit, nein, absolut nicht. Ja, 150 Millionen Leute stehen hinter ihm, das Militär, eine riesige Zahl von Geheimdiensten. Aber heißt das Stärke? Nein, das ist keine Stärke."