"Berliner Zeitung" und "Berliner Kurier" – noch prangen die Logos über dem Eingang zum Gebäude des Berliner Verlags am Alexanderplatz. Doch auf den Fluren wird nicht mehr über die Aufmacher auf der Seite 1 diskutiert oder über die Schlagzeilen von morgen. Als Letzte hat Betriebsratschefin Renate Gensch ihr Büro geräumt. Tränen?
"Ja, ganz viel. Also nicht nur bei mir. Auch bei vielen anderen Kollegen. Da sind ja Leute dabei, die sind noch viel länger da als ich. 37 Jahre, 40 Jahre."
Die Berliner Zeitung ist ein Blatt mit Tradition – die erste Zeitung, die nach dem Zweiten Weltkrieg im besetzten Deutschland neu gegründet wurde. Zu DDR-Zeiten erschien sie in einer täglichen Auflage von 345.000 Exemplaren, nach der Vereinigung waren es 200.000 – jetzt werden nur noch 76.000 Exemplare verkauft: minus sechs Prozent im ersten Quartal 2017. Eigentümer und Chefredakteure wechselten gefühlt im Jahresrhythmus: Gruner & Jahr, Holtzbrinck, Mecom – aktuell Dumont.
Harter Schnitt zum Jahreswechsel
Die Kernbelegschaft schrumpfte und schrumpfte, der ganz harte Schnitt kam dann zum Jahreswechsel: Der Dumont-Verlag gründete eine neue Gesellschaft, die Newsroom GmbH; alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mussten sich dort neu bewerben. Jörg Reichel von der Gewerkschaft ver.di nennt das Verhalten des Arbeitgebers Dumont schäbig:
"Schäbig deshalb, weil die Neugründung des 'Newsrooms' darauf baut, dass er denjenigen, die vorher die Zeitung gemacht haben, dass er denen gekündigt hat. Es sind Beschäftigte, die in der Regel 20, 25 Jahre die Zeitung gemacht haben und dann einfach aussortiert worden sind."
Durch die Abwicklung der alten und Gründung der neuen Gesellschaft hatte der Dumont-Verlag freie Hand.
85 von 160 Angestellten nach Hause geschickt
Nach Angaben der Gewerkschaft ver.di wurden 85 von 160 Angestellten nach Hause geschickt, 75 sind in die neue Gesellschaft gewechselt, dazu kommen Neueinstellungen vor allen Dingen im Online-Bereich. Der Dumont-Verlag hat in ein neues repräsentatives Gebäude in Kreuzberg investiert.
Jochen Arntz: "Ich finde, das ist ein sehr schönes Haus hier. Ich finde, das ist sehr licht, sehr hell, sehr durchlässig für alles, für Gedanken, für Texte, für Gespräche mit den Kollegen."
Jochen Arntz gibt sich optimistisch – als Chefredakteur der Berliner Zeitung muss er das auch. Online und Print arbeiteten jetzt zusammen, das beflügele gegenseitig, meint er.
"Wir haben die Berliner Zeitung, den Berliner Verlag jetzt hier neu aufgebaut, und das ist schon mal etwas. Und wir haben ein großes Vertrauen unseres Verlages, dass wir diese Titel und die Digitalangebote weiterentwickeln."
"Das war einfach ein Fehler"
Doch jetzt müssen Jochen Arntz und seine zwei Chefredakteurskollegen liefern. Den Sinkflug der Auflagen stoppen, die Marken nach vorne bringen, neue Digitalangebote entwickeln, die im besten Fall Geld einspielen. Mit weniger Redakteurinnen und Redakteuren eine bessere Zeitung machen, das geht jedenfalls nicht.
Blattkritik: Auf der Seite 1 eine exklusiv recherchierte Geschichte – dieser Punkt geht an den Chefredakteur. Doch wo ist der fundierte Artikel über die Fluggesellschaft Air Berlin, die am Tag zuvor auf die Staatsbürgschaft verzichtet hatte?
Jochen Arntz blättert in seiner Zeitung – es findet sich nur eine kleine Meldung. "Das ist gestern nicht so gut gelaufen, wie wir uns das gewünscht hätten mit Air Berlin. Das stimmt. Das war einfach ein Fehler."
Überstunden und Wochenenddienste
Der Druck auf die Redaktion ist weiter gewachsen, die Journalistinnen und Journalisten schreiben nun für die seriöse "Berliner Zeitung" und das Boulevard-Blatt "Berliner Kurier" gleichzeitig. Mitarbeiter berichten von unzähligen Überstunden und andauernden Wochenendeinsätzen. Einen Betriebsrat gibt es noch nicht.
Fragt man Chefredakteur und Gewerkschaft nach der Lage, die Antwort könnte nicht gegensätzlicher ausfallen. Jochen Arntz und zunächst Jörg Reichel von Verdi: "Die Arbeitsbedingungen sind im Moment eine Katastrophe. Im Moment fährt der Arbeitgeber die Beschäftigten auf Verschleiß." – "Also Leute verschleißen, das kann man gar nicht, das sollte man einfach nicht tun. Natürlich sind wir weniger Leute als vorher. Weil wir diese 'Berliner Zeitung' neu aufgebaut haben nach den Gegebenheiten, die ökonomisch einfach da sind in Berlin."
Jochen Arntz verneint eine zeitliche und wirtschaftliche Vorgabe seitens des Dumont-Verlags. Die "Berliner Zeitung" ist durch den Neustart erst einmal gerettet – ob langfristig auf dem Zeitungsmarkt der Hauptstadt Platz für sie ist, steht in den Sternen.