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Dumpinglöhne bei Paketzustellern
Arbeitsmarktexperte: Strengere Kontrollen statt neues Gesetz

Arbeitsmarktexperte Karl Brenke hat den Plan von SPD-Arbeitsminister Hubertus Heil kritisiert, Lohndumping von Paketdiensten mit einem neuen Gesetz zu stoppen. Stattdessen müsste schärfer kontrolliert werden. Ein großes Problem in der Branche sei auch die Scheinselbständigkeit, sagte Brenke im Dlf.

Karl Brenke im Gespräch mit Jasper Barenberg |
Ein Paketbote sortiert Pakete
Laut der Gewerkschaft Verdi verdienen Paketboten weit unter dem gesetztlichen Mindestlohn von 9,19 Euro pro Stunde (imago)
Jasper Barenberg: Lange Arbeitstage, schwere Lasten, niedrige Löhne – seit Wochen sind die oft widrigen Arbeitsbedingungen vor allem in der Zustellerbranche in der Diskussion. SPD-Arbeitsminister Hubertus Heil will Paketdienste jetzt stärker in die Verantwortung nehmen. Sie sollen künftig für die Arbeitsbedingungen ihrer Subunternehmer haften - per Gesetz. Doch CDU-Wirtschaftsminister Peter Altmaier hält recht wenig von den bisherigen Vorschlägen.
Am Telefon ist nun Karl Brenke, der Arbeitsmarktexperte des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung. Schönen guten Tag, Herr Brenke.
Karl Brenke: Guten Tag.
Erheblicher Handlungsbedarf beim Thema Scheinselbstständigkeit
Barenberg: Ich lese von der Gewerkschaft Verdi, dass tatsächlich viele Paketboten nur 4,50 Euro bis 6,00 Euro in der Stunde verdienen, und das bei Arbeitszeiten von oft bis zu 16 Stunden am Tag. Nun haben wir ein Arbeitszeitgesetz, wir haben einen gesetzlichen Mindestlohn von zurzeit 9,19 Euro. Wie kann das sein?
Brenke: Na ja. Das ist klar: Es wird natürlich versucht, den Mindestlohn zu umgehen. Das war von vornherein klar, dass man dann sehr trickreich sein wird. Eine Möglichkeit ist, über solche Ketten, Auftraggeber, Subunternehmer und dann noch mal Subunternehmer, die Preise und damit auch die Löhne zu drücken, so dass letztendlich der Mindestlohn nicht gezahlt wird. Natürlich ist es auch ein Problem, dass offensichtlich die Einhaltung des Mindestlohnes nicht hinreichend geprüft wird. Das heißt, man braucht an dieser Stelle wahrscheinlich auch mehr Personal beim Zoll. Und da ist hier der Bundesfinanzminister gefordert, denn der Zoll ist ja eine nachgeordnete Behörde des Bundesfinanzministeriums, übrigens auch in Hand der SPD, genau wie das Arbeitsministerium, von dem ja diese Kritik kommt.
Barenberg: Bleiben wir vielleicht noch einen Augenblick auf der Seite der Unternehmer und ihrer Verantwortung. Ich verstehe das richtig? Wenn ein Paketdienst heute einen Auftrag vergibt und dieser Auftragnehmer die Verteilung der Pakete übernimmt, dann muss dieser Auftraggeber zunächst einmal nicht kontrollieren, ob der Mindestlohn eingehalten wird, ob die Arbeitszeiten eingehalten werden?
Brenke: Das ist so. Das ist gegenwärtig offensichtlich nicht das Recht und das soll geändert werden an dieser Stelle. Wobei das große Problem sehe ich gar nicht mal so sehr in diesen Kettenverträgen zwischen Betrieben, die Arbeitnehmer beschäftigen. Sondern das große Problem ist vielmehr das, dass ein Paketdienst meist ein andere Firma beauftragt, und diese Firma besteht im Grunde genommen aus einer Person oder zwei Personen Unternehmen, die selbständig sind und hier wir das große Problem haben, dass der Mindestlohn durch Scheinselbständigkeit umgangen wird. Weil diese Subfirmen als Selbständige gar nicht dem Mindestlohn unterliegen. Hier ist meines Erachtens ein ganz erheblicher Handlungsbedarf.
"Offensichtlich wird zu wenig kontrolliert"
Barenberg: Das würde auch erklären, was ich Sie als nächstes fragen wollte, denn die Paketdienste ihrerseits sagen ja, dass sie sich oft vertraglich zusichern lassen, dass der gesetzliche Mindestlohn gezahlt wird, dass die Arbeitszeiten einzuhalten sind. Das entspricht dem, was Sie gerade gesagt haben, dass an der Stelle gar nicht unbedingt das größte Problem liegt.
Brenke: Genau. Ein Paketdienstleister kann sich das zusichern lassen, aber Papier ist natürlich bekanntlich geduldig.
Barenberg: Aber dann haben wir doch den Zoll, wie Sie sagen, der den Auftrag hat, das zu kontrollieren. Wird zu wenig kontrolliert?
Brenke: Offensichtlich wird zu wenig kontrolliert und da ist natürlich jetzt die Politik in der Pflicht. Wenn die Politik Gesetze wie das Mindestlohngesetz erlässt, dann muss sie dafür auch sorgen, dass diese Gesetze eingehalten werden und eingehalten werden in der Fläche, und nicht nur, dass hin und wieder Stichproben gemacht werden, die dann zu den Ergebnissen kommen – Sie haben das ja anfänglich schon zitiert – wie in Hessen, dass sehr viel an Missständen festgestellt wird. Sondern hier muss regelmäßig und mehr kontrolliert werden. Das geht auch nur mit mehr Personal beim Zoll.
Barenberg: In der Tat haben Zoll und Polizei vor allem im Frühjahr schon mit Kontrollen begonnen. Einige Fälle liegen jetzt bei der Staatsanwaltschaft. Aber wäre das nicht der logische erste Schritt, um dieses Problem zu beheben, dass man sagt, es muss durchgängige strenge Kontrollen geben, mehr Personal für Kontrollen. Dann werden die Regeln am Ende auch eingehalten, die der Mindestlohn uns allen auferlegt?
Brenke: Es wird immer schwarze Schafe geben. Aber man muss natürlich darauf achten, dass die Regeln soweit wie möglich eingehalten werden. Das heißt, dass strenger kontrolliert wird. Und was auch kontrolliert werden muss, das ist meines Erachtens mindestens ein genauso großes Problem: Scheinselbständigkeit. Denn viele Paketdienstleister geben ihre Aufträge an Selbständige weiter, und diese Selbständigen arbeiten dann zu Honoraren, die weit unter dem Mindestlohn liegen.
"Ein Gesetz würde ich nicht unbedingt für notwendig erachten"
Barenberg: Würden Sie denn auch so weit gehen zu sagen, ein Gesetz ist jetzt erst mal gar nicht notwendig, sondern erst mal lasst uns darum kümmern, dass die Gesetze, die wir haben, eingehalten werden?
Brenke: Genau. Ein Gesetz würde ich nicht unbedingt für notwendig erachten, sondern man sollte jetzt die Kontrollen verschärfen mit mehr Personal. Und dann kann man, wenn es immer noch nicht hinreichend erfolgreich war, noch mal über eine Gesetzesänderung diskutieren.
Barenberg: Dann wären wir bei der Branche der Bauwirtschaft beispielsweise oder der Fleischindustrie, wo wir heute ja schon die Situation haben, dass es quasi Extra-Regelungen für diese beiden Bereiche gibt, um diese Gesetze durchzusetzen.
Brenke: Na klar, warum sollen wir das nicht machen? Wenn es in bestimmten Bereichen bestimmte besondere Bedingungen gibt, dann muss man auch gesetzlich auf diese besonderen Bedingungen reagieren und diese Branchen so anpassen, dass sie in einer Weise agieren, die den Intentionen des Mindestlohngesetzes entsprechen.
Paketdienstleister wollen durch Lohndrückerei Kosten sparen
Barenberg: Hat denn der Wirtschaftsminister, hat Peter Altmaier ein Argument auf seiner Seite, würden Sie sagen, wenn er darauf hinweist, dass, sollte es ein solches Gesetz geben, der Auftraggeber gar keine Möglichkeit hat, selber zu kontrollieren, ob alle notwendigen Regeln eingehalten werden? Das sei ein bürokratisch viel zu großer Aufwand. Hat er da einen Punkt?
Brenke: Na ja, sicher hat er auf der einen Seite einen Punkt. Es wird natürlich schwer sein für einen großen Paketdienstleister zu kontrollieren, ob so ein kleines Unternehmen tatsächlich alle Regeln einhält. Aber auf der anderen Seite muss man natürlich auch sehen: Warum vergeben die großen Paketdienstleister Aufträge an Subunternehmen und die wiederum an Subunternehmen? Natürlich, um Kosten zu sparen, um die Preise zu drücken. Und das geht in der Branche natürlich nur im Wesentlichen durch Lohndrückerei. Von daher sollte man nicht so naiv sein und glauben, dass hinter diesen Prozessen, dass Aufträge an Subunternehmen vergeben werden, nichts anderes als Lohndrückerei steht. Das ist nämlich der Fall.
Barenberg: Wenn Sie von Naivität sprechen, müssen wir das auch auf uns alle, auf die Kunden beziehen und sagen, eines sollte gewiss und sicher sein, wir werden in Zukunft mehr, nämlich fair zahlen müssen dafür, dass wir alle erwarten, dass die Dinge zu uns nachhause geliefert werden?
Brenke: Das glaube ich auch. Der Preisdruck in der Branche ist gewaltig. Die Löhne sind nicht besonders hoch. Ich beispielsweise gebe bei den Paketboten immer einen Euro Trinkgeld, weil ich weiß, dass die relativ schlecht verdienen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.