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Dumpingpreise im Flugverkehr
"Jeder bietet sehr günstig an auf Kosten der Löhne"

Flughäfen gründeten Tochtergesellschaften, um nicht mehr nach Tarif zahlen zu müssen - ein Teufelskreis, sagte Christiane Behle von ver.di im Dlf. Wer nicht mitziehe, falle raus. Es sei Zeit für Branchentarifverträge, um so die Löhne ein Stück weit dem Wettbewerb zu entziehen.

Christine Behle im Gespräch mit Mario Dobovisek |
    Flugzeuge der Airlines Ryanair, Easyjet und Air Berlin am Flughafen London Stansted
    Mal eben billig nach Malle oder ins europäische Ausland fliegen. Schnäppchenjäger kommen häufig auf ihre Kosten. Aber irgendwer muss die Zeche zahlen, kritisiert die Gewerkschaft ver.di. (Imago)
    Mario Dobovisek: Für zehn Euro nach London, für 20 nach Mailand, für 30 nach Palma. Die Flugpreise stürzen im Überlebenskampf der Airlines bis auf den Boden, sodass so manche Fluggesellschaft sogar draufzahlen muss, denn im Zehn-Euroticket sind bereits Flughafengebühren und Steuern enthalten, wobei allein die staatliche Luftverkehrsabgabe auf der Kurzstrecke bereits mit 7,38 Euro zu Buche schlägt. Fliegen ist günstiger geworden, manche sagen, demokratischer. Jeder könne sich inzwischen einen Flug leisten, damit wachse Europa näher zusammen. Wir erleben aber auch, dass am Boden und in der Luft gespart wird, sodass gerade in der Ferienzeit viele Heimkehrer länger am Gepäckband stehen oder auf die Treppe warten, als sie überhaupt im Flugzeug gesessen haben, zuletzt in Hamburg geschehen: Drei Stunden hat es dort gedauert, um unter anderem einen Flug aus Mailand abzufertigen, berichtet der Spiegel. Und auch Nutzer des Flughafens in Berlin-Tegel können ein Lied davon singen, seit Air Berlin den Anbieter für die Bodendienste gewechselt hat, den Handling Agent, wie es in der Luftfahrtbranche heißt. Viele Flüge verspäteten sich oder fielen sogar ganz aus.
    Am Telefon begrüße ich Christine Behle. Sie ist Vorstandsmitglied der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di und dort für den Verkehr zuständig, also auch für die Luftfahrt. Guten Morgen, Frau Behle!
    Christine Behle: Guten Morgen!
    Dobovisek: Wie viel haben Sie denn das letzte Mal für einen privaten Flug bezahlt? Können Sie sich noch erinnern?
    Behle: Ich fliege dienstlich, aber ich glaube, mein letzter privater Flug war nach Köln, und ich meine, ich habe für hin und zurück rund 200 Euro bezahlt. Liegt aber auch daran, dass ich Wert darauf lege, mit tarifgebundenen Airlines zu fliegen, und nicht mit anderen Airlines, die keinen Tarifvertrag haben.
    "19,90 Euro - nicht mal Gebühren und Steuern mit abgedeckt"
    Dobovisek: Ist auch inzwischen schwierig zu finden sozusagen. Fragen wir andersherum: Wie viel muss denn ein Ticket zum Beispiel zwischen Berlin und Köln, um diese Relation noch mal aufzugreifen, kosten, um wirklich angemessen zu sein? 50, 100, 200 Euro?
    Behle: Das ist schwer zu sagen, weil es sind ja unterschiedliche Komponenten. Wenn man einen Flugpreis bezahlt, dann besteht der ja aus verschiedenen Komponenten. Sie haben das gerade selbst gesagt, wir haben Abfertigungsgebühren, wir haben Steuern, wir haben Sicherheitsgebühren, die alle aufgeschlagen werden. Dann ist aber noch kein Cent für irgendwelche Lohnkosten der Piloten, der Flugbegleiter oder der Leistung am Boden gefallen. Und dann gibt es natürlich auch noch die Erwartung eines Unternehmens, ein bisschen daran zu verdienen. Das sind ja die Komponenten, die so einen Flugpreis ausmachen. Deswegen, ich sag mal, für 19,90 Euro, wie ich schon oft gesehen habe, für den gleichen Flug, ist das nicht zu verdienen. Da sind nicht mal die Gebühren und die Steuern mit abgedeckt.
    "Kein Geld da für anständige Löhne"
    Dobovisek: Wenn wir solche 20-Eurotickets sehen, dann sitzen im gleichen Flieger ja auch immer Passagiere, die später und teurer gebucht haben, vielleicht für 100, 200 Euro, und die auf wenige Plätze begrenzten Sparpreise sind sozusagen nur Werbeaktionen der Airlines. Ist es also nur die halbe Wahrheit, wenn diese Billigtickets möglicherweise Jobs gefährden?
    Behle: Nein, das sehe ich nicht so. Natürlich gibt es so was wie Restplätze, die dann günstig oder durch Aktionen günstig auf den Markt gehen. Aber das ist ein ganz kleiner Teil. Das ist auch nicht unser Problem. Unser Problem ist, wenn Sie heute mit Ryan Air, Sie können diese Strecke fliegen, wenn Sie mit denen fliegen, dann sind die Preise immer so niedrig, dass sie unterhalb dieser Gebühren liegen. Und dann ist doch klar, dass für die Preise, für Löhne, für anständige Löhne von Flugbegleitern oder auch am Boden kein Geld da ist.
    "Halbierte Preise - dann gibt es irgendjemand, der bezahlt hat"
    Dobovisek: Der Durchschnittspreis für einen Inlandsflug in Deutschland liegt bei rund 80 Euro, sagen Branchenkenner. Ist das noch angemessen?
    Behle: Ich meine, nicht. Ich meine nicht, dass das angemessen ist. Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich möchte nicht, dass die Flugpreise jetzt ins Unermessliche steigen, wie wir es vor vielen Jahren hatten. Aber wenn man mal die Preise, die Preisentwicklung vergleicht mit Anfang 2000, und da hatten wir ja schon eine Marktliberalisierung und mehrere Marktteilnehmer. Heute haben die sich halbiert, die Preise. Und das ist ein richtiges Problem, weil irgendjemand muss es ja bezahlen. Wenn doch Ticketpreise, wenn die ganzen Gebühren, aber auch, wenn Treibstoff, der nicht wirklich billiger geworden ist, dann gibt es doch irgendjemand, der bezahlt hat oder wo eingeschränkt wird.
    "Die Gehälter sind um 30 Prozent gesunken"
    Dobovisek: Dann tun wir doch mal Butter bei die Fische: Wer zahlt die Zeche?
    Behle: Die Zeche zahlen vor allen Dingen die Beschäftigten. Im Cockpit, in der Kabine, aber auch am Boden. Weil deren Gehälter sind im gleichen Zeitraum um die 30 Prozent gesunken, teilweise noch mehr. Wir haben irre Modelle mittlerweile, von Arbeitgebern ersonnen, die noch mehr Preismöglichkeiten eröffnen und die den Druck auf die Beschäftigten noch mal erhöht haben, wie Scheinselbstständigkeit, aber auch Leiharbeitsfirmen. Also im Prinzip bezahlen die Beschäftigten die Zeche dafür, dass die Ticketpreise so niedrig sind.
    "Für gleich qualifizierte Tätigkeiten ganz andere Löhne"
    Dobovisek: Jetzt ruckelt es ja gerade an mehreren Flughäfen gewaltig, gerade hier in Deutschland. Die Flughafenbetreiber sagen, es fehle an Personal, besonders in der Ferienzeit. Da klingt für mich eher nach schlechter Planung als nach schlechter Bezahlung.
    Behle: Das Problem ist, dass es sich jetzt häuft. Wir haben ja nicht immer in der Ferienzeit die Situation gehabt, aber wir haben jetzt das Problem, dass die Löhne so niedrig geworden sind und dass es immer mehr andere Möglichkeiten gibt. Wenn Sie mal hier nach Berlin gucken, dann ist es so, dass viele Beschäftigte, die früher am Flughafen noch einigermaßen anständige Löhne bekommen haben, für gleich qualifizierte Tätigkeiten ganz andere Löhne bekommen als am Flughafen.
    Lohn, der "Qualifikation gerecht wird und auch der Belastung"
    Dobovisek: Was ist denn für Sie ein anständiger Lohn?
    Behle: Das ist einer, der oberhalb des Mindestlohns liegt und der auch der Qualifikation gerecht wird und auch der Belastung. Die Qualifikation ist das eine, aber auch der Belastung. Da sind wir bei Löhnen von um die – ich sag mal, zwischen Mindestlohn, wir haben ja eine ziemliche Bandbreite, zwischen Mindestlohn und elf, zwölf Euro, noch weit davon entfernt. Wenn Sie sehen, jemand im Bodenverkehrsdienst, was der leisten muss mit Schichtdienst, mit Belastungen, die da sind, auch gesundheitlichen Belastungen, die da mit unglaublichem Arbeitsdruck – da sind wir weit davon entfernt, dass das ein anständiger Lohn ist, mit dem man auch wirklich sein Leben gestalten kann.
    "Wir haben in allen Bereichen Lohnsenkungen"
    Dobovisek: Ist das dann vielleicht eher ein Verteilungsproblem, wenn zum Beispiel bei der Lufthansa Piloten in der höchsten Stufe mit Zulagen auf über 200.000 Euro im Jahr kommen?
    Behle: Da machen wir uns das zu einfach. Das ist meiner Meinung nach kein Verteilungsproblem, und ich möchte auch gar nicht die Beschäftigungsgruppen hier gegeneinander ausspielen. Wir haben in allen Bereichen, nicht nur beim Bodenpersonal, Lohnsenkungen. Wir haben die auch bei den Piloten, wir haben die auch bei den Flugbegleitern. Auch da ist die Situation ähnlich. Lohnverlust in den letzten Jahren.
    Lufthansa-Piloten gehören zu den "Altbeschäftigtengruppen"
    Dobovisek: Bei den Piloten sprechen viele Beobachter auch von einer längst nötigen und überfälligen Korrektur.
    Behle: Das mag sein. Das will ich jetzt gar nicht – da will ich wirklich keine Stellung zu nehmen. Man muss schon sehen, was sind das denn für Belastungen? Vielleicht sage ich es doch noch mal besser: Was sind das denn für Belastungen, die Piloten haben. Was die Frage, ich sag mal, nicht nur Verantwortung ist das eine, aber auch die Belastungen durch die ganze Fliegerei, die da ist. Und da ist es natürlich auch angemessen, da einen anständigen Lohn für zu kriegen. Das kriegt man in anderen Bereichen auch. Aber die Einkommenssituation – wir haben ja Lufthansa, das ist ja immer das abschreckende Beispiel, das überall gezeigt wird, Lufthansa-Piloten verdienen so viel. Erstens sind es Altbeschäftigte, die noch zu anderen Zeiten eingestellt worden sind. Wir haben heutzutage ganz andere Lohnsituationen, und auch bei anderen Airlines. Die Welt ist da lange nicht mehr so schön, wie es heute noch bei bestimmten Altbeschäftigtengruppen gemalt wird.
    "Wenn man nicht mitzieht, fällt man raus"
    Dobovisek: Dann kommen wir noch mal gemeinsam vom Cockpit und über die Kabine zurück zum Boden. Air Berlin hat im März in Berlin die Abfertiger gewechselt, seitdem hakt es immer wieder kräftig. Beauftragt ist jetzt eine Tochter des Flughafens München, der dem Freistaat Bayern, dem Bund und auch der Stadt München gehört, also hundertprozentig staatlich ist. Ihr Angebot war günstiger als das der Konkurrenz. Ähnlich sieht es auch in Hamburg aus. Beteiligt sich der Staat sozusagen damit am Lohndumping auf den Flughäfen?
    Behle: Nein, tut er nicht. Falsch herum: Der Staat beteiligt sich natürlich auch, indem die ganzen Flughäfen mittlerweile Tochtergesellschaften gegründet haben, in denen auch abgesenkte Löhne gezahlt werden, nicht mehr Tarifrecht im Öffentlichen Dienst. Und natürlich tun sie ein Stück dazu. Man darf sie nicht aus der Verantwortung nehmen. Das ist aber ein Stück weit auch der Versuch, nicht ganz vom Markt zu verschwinden, deswegen will ich es ein kleines bisschen relativieren. Würden die Airports das nicht tun, dann würden halt andere die Aufträge bekommen, die noch niedriger sind. Also es ist ein Stück weit wie so ein Teufelskreis. Jeder bietet sehr günstig an auf Kosten der Löhne, und wenn man nicht mitzieht, fällt man raus. Das ist ein Problem, und deswegen sagen wir ja auch, wir müssen da so eine Untergrenze einziehen, indem wir zumindest mal für den Bereich der Bodenverkehrsdienste einen Branchentarifvertrag einführen, der dann für alle gilt und der wirklich sagt, wir entziehen tatsächlich die Löhne ein Stück weit dem Wettbewerb.
    Dobovisek: Das nehmen wir mit, Frau Behle, Christine Behle aus dem Bundesvorstand von ver.di. Vielen Dank für das Interview!
    Behle: Sehr gern!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.