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Dunkel ohne Materie?

Astronomie.- Um - zumindest indirekt - dem Geheimnis der Dunklen Materie auf die Spur zu kommen, richten Astronomen ihre Blicke auf leuchtende Sterne und Galaxien. Neue Beobachtungen wecken nun allerdings Zweifel am beliebtesten Modell für den Aufbau und die Verteilung der Dunklen Materie.

Von Dirk Lorenzen |
    Christian Moni-Bidin und sein Team haben untersucht, wie sich 400 Rote Riesensterne in der weiträumigen Umgebung der Sonne bewegen. Aus dem Lauf der Sterne lässt sich berechnen, von wie viel Materie die Sterne angezogen werden. Das Ergebnis hat den jungen Astronomen von der Universität im chilenischen Concepcion sehr überrascht:

    ""Wir kommen auf eine Materiemenge, die genau der sichtbaren Materie entspricht – also Sternen, Gas und Staub. Unsere Messungen lassen keinen Raum für größere Mengen an Dunkler Materie."

    Die Astronomen haben Sterne im Umkreis von gut 12.000 Lichtjahren untersucht. Nach gängigen Modellen sollte in diesem Bereich der Milchstraße mindestens soviel Dunkle wie sichtbare Materie vorkommen. Doch davon kann nun keine Rede mehr sein. Ein simpler Messfehler ist so gut wie ausgeschlossen. Zunächst hatte das Forscherteam selbst alle möglichen Fehlerquellen genau geprüft. Dann griff sogar der Gutachter des "Astrophysical Journal", in dem der Fachartikel jetzt erscheint, zu ungewöhnlichen Maßnahmen:

    "Der Gutachter hat am Anfang klar gesagt, dass er uns nicht glaubt. Dann hat er mit sehr viel Mühe versucht, einen Fehler zu finden: Er hat die Daten komplett selbst analysiert, er hat die Methode genau überprüft und so weiter. Wir sind ihm wirklich sehr dankbar. Am Ende hat er unser Ergebnis akzeptiert, denn er konnte keinen Fehler finden."

    Somit gibt es zumindest in der Umgebung der Sonne keine Dunkle Materie. Doch die Beobachtungen stellen nicht die Existenz der Dunklen Materie insgesamt in Frage. Der Aufbau und die Bewegung der Galaxien lassen sich nach wie vor nur verstehen, wenn es im Kosmos große Mengen an Materie gibt, die zwar anzieht, aber nicht leuchtet.

    "Wir wissen noch nicht genau, was unsere Beobachtungen bedeuten: Vielleicht ist die Dunkle Materie einfach anders verteilt als bisher angenommen – oder sie ist anders aufgebaut. Es ist noch zu früh zu sagen, ob wir unsere Theorien sehr tiefgreifend ändern müssen."

    Zumindest scheint das beliebteste Modell der Dunklen Materie hinfällig zu sein. Denn danach müsste es in der Umgebung der Sonne viele unbekannte Elementarteilchen geben. Nach denen suchen viele Teilchenphysiker mit aufwendigen Experimenten – offenbar jagen sie einem Phantom nach. Die Messungen der Astronomen in Chile deuten darauf hin, dass die Dunkle Materie ganz anders verteilt ist als bisher angenommen und eher aus geradezu geisterhaften Teilchen wie Neutrinos besteht. Christian Moni-Bidin setzt darauf, der Dunklen Materie bald noch viel genauer auf die Spur zu kommen:

    "Der Gaia-Satellit wird die Bewegung und den Abstand von Millionen Sternen in der Sonnenumgebung vermessen. Mit den Daten dieser europäischen Mission werden wir noch viel präzisere Aussagen über die Dunkle Materie in der Milchstraße machen können. Doch wir brauchen etwas Geduld: Die Daten liegen erst in vier bis fünf Jahren vor."

    Spätestens dann sollte sich zeigen, wie die Dunkle Materie aufgebaut und verteilt ist – womöglich müssen sich die Astronomen dann wieder einmal von einer über lange Zeit lieb gewonnenen Theorie verabschieden.