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Dunkle Materie, ein Phantom?

Kosmologie. - Seit fast 100 Jahren beherrscht Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie den Kosmos. Immer wieder haben Beobachtungen das Konzept bestätigt. Als Astronomen entdeckten, dass die Bewegungen der Galaxien nicht mit den leuchtenden Massen zu erklären war, zweifelten sie deshalb nicht am geltenden Schwerkraftgesetz, sondern an dem was sie sahen. Sie folgerten: Im Universum muss es mehr als die bekannte Materie geben, und führten den Begriff der "Dunklen Materie" ein, nach der seitdem intensiv gefahndet wird. Die große Mehrheit der Fachwelt ist von diesem Konzept überzeugt, nur einige wenige Astronomen halten es für unsinnig. Dieses kleine Grüppchen bekommt nun unerwartet Rückenwind, denn Beobachtungen in sogenannten Zwerggalaxien passen erstaunlich gut zu ihrer Mond-Theorie.

Von Dirk Lorenzen |
    Seit gut dreißig Jahren arbeiten die meisten Astronomen mit der Theorie der kalten Dunklen Materie. Sie gilt als Standardmodell des Universum und erklärt bestens, wie nach dem Urknall im Weltall große Wände aus zahllosen Galaxien entstanden sind, die gewaltige Leerräume umgeben. Doch ausgerechnet bei Zwerggalaxien, den kleinsten Galaxien im Weltraum, liegen Beobachtungen und Theorie der Dunklen Materie weit auseinander. Stacy McGaugh, Astronom an der Case Western Reserve Universität in Cleveland in den USA, einst überzeugter Anhänger der Dunklen Materie, verfolgt daher einen anderen Ansatz:

    "Anstatt die Existenz Dunkler Materie vorauszusetzen, gehen wir davon aus, dass sich die Sterne und Galaxien anders bewegen, weil sich das Gravitationsgesetz ändert. Nach der Modifizierten Newtonschen Dynamik, kurz Mond, wirkt die Anziehungskraft anders, wenn sie sehr schwach ist. Die große Andromeda-Galaxie hat etwa dreißig winzige Begleitgalaxien, die nur einige hunderttausend statt Milliarden von Sternen haben. Bei diesen Zwerggalaxien sollte sich unsere Theorie gut testen lassen."

    Nach dem Standardmodell sollte eine Riesengalaxie wie Andromeda Tausende von Zwerggalaxien im Schlepptau haben – doch die Astronomen haben bisher nur einige Dutzend Exemplare entdeckt. Vor wenigen Monaten haben die Forscher zudem bemerkt, dass sich die meisten dieser Zwerge nicht gleichmäßig um Andromeda verteilen, sondern eine große Scheibe bilden. Im Modell der Dunklen Materie lässt sich dies nur mit größter Mühe erklären. Und auch bei der Bewegung der Sterne gibt es eklatante Widersprüche zwischen Modell und Beobachtung.

    "In der Mond-Theorie gibt es keine Dunkle Materie. Man hat nur das, was man leuchten sieht. Wir haben mit diesem Ansatz die Bewegung der Sterne in den Andromeda-Zwerggalaxien vorhergesagt. Inzwischen liegen Beobachtungsdaten für 25 dieser Galaxien vor – sie passen fast perfekt zu unseren Prognosen."

    Die Zwerggalaxien bringen das Standardmodell der Dunklen Materie gehörig ins Wanken, nicht aber zum Einsturz. Womöglich liegen die Diskrepanzen zwischen Modell und Beobachtung nur daran, dass bisher nicht genau genug verstanden ist, wie in den kleinen Galaxien Sterne entstehen und welche chemischen Prozesse dort ablaufen. Vielen Astronomen gilt der Mond-Ansatz als zu konstruiert. Es gibt keinen fundamentalen physikalischen Grund, weswegen sich die Schwerkraft bei ganz geringen Beschleunigungen plötzlich ändern sollte – allerdings gibt es auch keinen, der dagegen spräche. Zudem fußt auch das Standardmodell der Kosmologen, etwa bei der Inflation, einem kurzzeitigen, extrem schnellen Aufblähen des Universums, auf einem Ansatz, der ebenfalls recht willkürlich vom Himmel fällt. Stacy McGaugh behauptet nicht, mit der andersartigen Schwerkraft lasse sich auch das Weltall als Ganzes beschreiben – er hält einen Versuch aber für vielversprechend.

    "Es kann kaum Zufall sein, dass wir so gute Vorhersagen bei den Zwerggalaxien machen. Ein neues Weltmodell müsste die Allgemeine Relativitätstheorie und Mond unter einen Hut bringen. Heraus käme hoffentlich ein Modell, das auch den großräumigen Aufbau des Kosmos erklärt. Daran versuchen sich einige, aber viele halten es für absurd, dass die Dunkle Materie nicht existieren soll. Für die Arbeit an einer andersartigen Schwerkraft bekommt man kaum Forschungsmittel. Wir stehen noch ganz am Anfang und es ist schwer zu sagen, was dabei herauskommt."