"Der Tschusch ist da", war 2016 die erste offiziell veröffentlichte Single von Esrap: Das Musikvideo in Schwarz-Weiß zeigt eine nächtliche Autofahrt, vorbei an Dönerläden, und Menschen auf einem türkischen Markt in Wien. Harte Raps mischen sich mit orientalischen Elementen, und der Refrain packt das österreichische Schimpfwort für Jugoslawen und Türken in eine selbstbewusste Phrase.
Esra und Enes Özmen formierten sich quasi im Kinderzimmer zum Rap-Duo. Als Esrap verbinden sie Ernst und Selbstironie. In ihren zahlreichen Videos im Netz parodieren sie Gangster-Posen, zeigen Spaß und Banalitäten. So reflektieren sie ihre Identität als 3. Generation der türkischen Community, zuhause im bunt gemischten Bezirk Wien-Ottakring. "Ausländer mit Vergnügen", heißt ein Track von Esrap aus dem Jahr 2011. In einem noch älteren Video sehen wir Esra als dominanten Burschen, und ihren Bruder als Frau mit Kopftuch. Mittlerweile trägt er eher Kappe, doch die Rollenverteilung ist klar:
"Die Esra ist auch im Alltag eher die – nicht Aggressive, aber die Dominantere, sie ist eine Respektsperson. Sie ist ja auch die ältere Schwester. Und das beeinflusst, dass ich halt singe und Esra rappt, das haben wir nicht bewusst gemacht, das hat sich ergeben."
Inspiriert von der türkischen Tradition
Enes' Gesangsstil ist inspiriert von einem türkischen Sänger, den die ganze Familie liebte: Müslüm Gürses, einem Vertreter des Arabeske-Genres.
Enes: "Das ist eine Musikart, wo es um Leiden geht, es geht um Leidenschaft, Liebe, Alltag, Trauer - Hauptsache Leiden."
Esra: "Ich sag' immer: In Arabeske haben wir gelitten, und in Rap haben wir herausgefunden, warum wir gelitten haben."
Beheimatet und glücklich in Ottakring, zugleich angefeindet als Ausländerin: Der Rap half, die Facetten der Identität zu sortieren, zumal sich der Heimatbezirk veränderte. Nebeneinander leben die Communities aus Ex-Jugoslawien und der Türkei, die Nachkommen der Gastarbeiter haben sich jeweils ihre Refugien geschaffen, rund um den Brunnenmarkt und die Ottakringer Straße.
Esra: "Nachdem die Cafes gekommen sind, sieht man viele Sachen nicht, die wir voll kennen. Es gibt um die Ecke ein türkisches Kaffeehaus, wo mein Vater abhängt, dann gibt’s halt die Moschee, die Märkte – es gibt viele Orte hier, wo wir groß geworden sind, die halt nicht mehr so sichtbar sind."
In den letzten Jahren kamen dazu Dachausbauten und komplett neue Wohnblocks, sowie schicke Lokale vor allem am Yppenplatz. Die einen schätzen die Multikulti-Atmosphäre, parallel sehen Rechtspopulisten darin eine Bedrohung und stellen Türken und Moslems immer offener unter Generalverdacht – sehr verwirrend, besonders für Jugendliche, die ihre Identität noch suchen.
Esra: "Ich hab Texte geschrieben, weil ich gelitten habe und nicht einmal gewusst, weswegen ich leide. Die Texte waren so deep und echt und Leid – aber etwas Starkes hab' ich gebraucht, glaub' ich. Und meine Stimme hat sich zu Rap entwickelt, weil ich gedacht habe, jetzt kann ich mal hart auf die Fresse was sagen. Aber ich hab‘ nicht gedacht, ich mach' Rap, weil Rap politisch ist."
Rap und Hip-Hop als Ventil – das vermitteln Esrap immer wieder auch in Workshops, die sie gern für Schulklassen anbieten. Vor dem Rappen geht es erst einmal darum, sich selbst persönlich in Texten auszudrücken.
Esra: "Das muss echt wahr sein, Realität sein – und da kommt man sehr schnell auf politische Gespräche. Was ist Identität, was heißt Integration, was ist Heimat, was ist Frau sein, was gibt’s für Sexualitäten, et cetera, et cetera."
Keine Angst vor der Konfrontation
Esrap wollen nicht nur als "Quoten-Türken", sondern auch als gute Musiker wahrgenommen werden. In diesem Sinne soll die heute erscheinende Single "Kabadayi/Die Tage werden besser" verstanden werden: "Kabadayi" bezeichnet hier "große Brüder" mit Sakko und weißem Schal, vor denen die Nachbarschaft Respekt hat – diese Rolle nimmt wiederum Esra ein. Sie macht den Mund auf und scheut die Konfrontation nicht – in den Songs und auf der Straße.
Esra: "Die Regierung, die gerade herrscht, ist einfach ein Bullshit – und dafür müssen wir auf die Straße, als Menschen, als Aktivisten, als Lebewesen ist es unsere Verantwortung, die Welt zu verschönern, und mit der Donnerstagsdemo machen wir jeden Donnerstag nicht nur ein paar, sondern mehrere Schritte vorwärts. Und das versprechen wir unserem Publikum, dass wir Wien zu was Besserem machen werden, und dass die Tage besser werden."
Songtext aus "Kabadayi/Die Tage werden besser": "Die Tage werden besser, wer wird übrig sein?"