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Duo No-Man
Zehn kurze Variationen

Bevor Steven Wilson zum Standartenträger des modernen Progressive Rock wurde, hatte er mit Sänger Tim Bowness erste Erfolge als Avantgarde-Duo No-Man, das die Grenzen elektronischer Musik erweiterte. Nun haben No-Man wieder ein Album produziert - und sind deutlich experimenteller und noch offener geworden.

Von Kai Löffler | 01.12.2019
    Zwei Männer stehen vor einer weißen Wand und blicken in die Kamera
    "Love You To Bits" ist das erste No-Man-Studioalbum seit elf Jahren (Carl Glover)
    Musik: "I Love You To Bits"
    Sind wirklich schon elf Jahre vergangen seit "Schoolyard Ghosts", dem letzten Studioalbum von No-Man? Vielleicht ging die Zeit ja so schnell rum, weil sowohl Steven Wilson als auch Tim Bowness gefühlt ohne Pause beschäftigt waren: mit Soloalben, Gastauftritten bei anderen Musikern und, im Fall von Wilson, unzähligen neu abgemischten Alben von unter anderem Yes, King Crimson, XTC und Tears for Fears. Jetzt jedenfalls war das Duo wieder im Studio und hat mit "I Love You To Bits" ein neues und unerwartetes Album veröffentlicht.
    Musik: "I love you to Bits" (Bit 1)
    Das Wort Album ist vielleicht keine gute Beschreibung. "I Love You to Bits", das angeblich seit fast zehn Jahren in Arbeit war, besteht aus ebensovielen Tracks. Die sind allerdings Variationen des gleichen Themas, präsentiert als Suite in zwei Kapiteln: "I Love You to Bits" und "I Love You to Pieces". EP wäre also eine treffendere Beschreibung, oder, wenn man gemein sein möchte, Maxi-Single.
    Musik: "I love you to Bits" (Bit 5)
    Während diese Suite auf eine Laufzeit von gerade mal 37 Minuten kommt, ziehen Bowness und Wilson alle kreativen Register. Wilson selbst hat "I Love you to Bits" als eine "Disco-Oper" bezeichnet, und auch wenn die Beschreibung nicht hundertprozentig ins Schwarze trifft, kann man auf jeden Fall von elektronischer Musik mit einem ambitionierten Konzept sprechen.
    Musik: "I love you to Bits" (Bit 4)
    Auf dem letzten Album "Schoolyard Ghosts" sind noch viele akustische Klangelemente zum Einsatz gekommen; unter anderem Klavier und akustische Gitarre. Hier fällt dagegen schon beim ersten Hören auf, dass "I Love You to Bits" vor allem an den minimalistisch-elektronischen Sound der frühen No-Man-Jahre anknüpft.
    Musik: "I love you to Bits" (Bit 2)
    Aber auch wenn das stellenweise an Alben wie "Flowermouth" erinnert, ist No-Man 2019 deutlich experimenteller und musikalisch offener geworden; das Songwriting ist zwar einfach gestrickt und kommt immer wieder auf das gleiche Thema zurück; die verspielten musikalischen Texturen dagegen erinnern zeitweise an Kraftwerk, Scott Walker, DJ Shadow, Giorgio Moroder und die Nine Inch Nails - um nur einige zu nennen.
    Musik: "I love you to Pieces" (Piece 2)
    Tatsächlich offenbart das Album bei mehrmaligem Hören unerwartete Tiefe, indem es all diese Versatzstücke zu einer stimmigen, Jahrezehnte überspannenden Chronik der elektronischen Musik verbindet - von Lo-Fi bis Orchestral - die von Tim Bowness' warmer, prägnanter Stimme zusammengehalten wird.
    Musik: "I love you to Pieces" (Piece 1)
    Man könnte No-Man Etikettenschwindel vorwerfen. Zehn kurze Variationen über ein Thema sind kein komplettes Album, zumindest nicht im herkömmlichen Sinne. "I Love You to Bits" ist aber eins der reifsten und komplexesten Werke von No-Man. Wilson und Bowness spinnen über das einfache Songgerüst ein eindrucksvolles Netz aus ineinandergreifenden Stimmungen. Qualitativ gibt es am Album also nichts auszusetzen, es hätte nur gerne etwas mehr sein dürfen.