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Durchaus anpassungsfähig

Ökologie. - Für die Biodiversität unseres Planeten werden in der Regel düstere Prognosen abgegeben. Doch in der heutigen Ausgabe des Wissenschaftsmagazins "Science" stimmen einige Wissenschaftler auch weniger pessimistische Töne an. Viele Tiere und Pflanzen könnten durchaus mit dem rapiden Wandel zurecht kommen, vorausgesetzt der Mensch lasse ihnen dafür den Raum.

Von Dagmar Röhrlich | 02.08.2013
    Wie stark wird sich der schnelle Klimawandel, der sich für das 21. Jahrhundert abzeichnet, auf die Biodiversität auswirken? Löst er ein Massenaussterben aus? Oder gelingt den meisten Tier- und Pflanzenarten die Anpassung? Bei der Suche nach Antworten ist Craig Moritz von der Australian National University in Canberra auf eine Diskrepanz gestoßen:

    "In der wissenschaftlichen Literatur gibt es zwei Lager. Während Modellrechnungen meist katastrophale Einbrüche prognostizieren und ein düsteres Bild der Zukunft zeichnen, sagen die Fossilienfunde etwas anders: Da erwiesen sich die Arten selbst in Zeiten schnellen Klimawandels als robust und anpassungsfähig. Allerdings gab es regelrechte Umwälzungen in der Zusammensetzung der lokalen Ökosysteme, und die meisten Arten schienen auf eine schnelle Erwärmung Klimawandel zu reagieren, indem sie in andere Gebiete auswichen."

    Diese Anpassungsfähigkeit passt nicht zu den Prognosen der Modellierer. Die sagen voraus, das durch den Klimawandel bis 2050 fast 40 Prozent aller Arten bedroht oder ausgestorben sein könnten. Die Wahrheit dürfte wohl irgendwo dazwischen liegen, so Moritz:

    "Wir betrachten das 20. Jahrhundert als Übergangszustand. Denn die massive Erwärmung in der letzten Phase hat zwar nicht das für die Zukunft vorhergesagte Ausmaß erreicht, aber an einigen Orten waren die Veränderungen bei Temperatur, Niederschlagsmustern oder El Nino schon groß."

    Und das wirkt sich auf Tier- und Pflanzenwelt aus. So verändern manche Vogelarten ihre Größe. Dabei sollten schnelle körperliche Anpassungen nur Arten mit kurzen Reproduktionszyklen und vielen Nachkommen gelingen - jedenfalls der Theorie zufolge. Craig Moritz:

    "Aber selbst bei nahe verwandten Arten derselben Region kann die Reaktion ganz unterschiedlich ausfallen: Die eine zieht sich in höher gelegene Regionen zurück und bleibt kleiner, während eine andere sich vor Ort anpasst und größer wird. Wir sehen auch Veränderungen in der Zusammensetzung der Ökosysteme: So gibt es weiterhin in einem bestimmten Gebiet Streifenhörnchen, aber einer anderen Art."

    Fossilien verraten, dass sich Tiere schon seit Jahrmillionen so auf eine schnelle Erwärmung einstellen. Das gilt auch für einen anderen Effekt: Ein Klimawandel verändert seit eh und je das Zusammenleben in den Ökosystemen, erklärt Jessica Blois von der University of California in Merced:

    "Eine aktuelle Untersuchung in der Arktis gezeigt, dass die Karibus früher genau dann kalbten, als es in der Tundra am meisten zu fressen gab. Dieser Zeitpunkt hat sich nach vorne verschoben, aber das Kalben hat nicht Schritt gehalten."

    Würden solche Veränderungen nicht einbezogen, übersähe man bei den Prognosen zu den Folgen des Klimawandels wichtige Puzzlesteine. Ob Modellrechnung oder Blick in die Vergangenheit: Beide Ansätze haben ihre Schwächen. So sind die Modellrechnungen noch zu grob, lassen vieles außen vor, und in der Vergangenheit fehlte meist der Einfluss des Menschen. Craig Moritz:

    "Die Menschen haben früher die Erde nicht regelrecht ausgesaugt und das Land für sich beschlagnahmt. Tiere konnten ausweichen. Heutzutage schneiden ihnen allerorten Häuser oder Autobahnen den Weg ab. In der Erdgeschichte hat das meist keine Rolle gespielt, aber in der Zukunft müssen wir damit zusätzlich zur Erwärmung rechnen. Meiner Meinung nach sind Ökosysteme viel anpassungsfähiger als es die schlichten Modellrechnungen vermuten lassen - aber nur, wenn wir durch geschicktes Landmanagement den Lebewesen Ausweichmöglichkeiten geben."

    Und wenn der Mensch seinen Einfluss zurücknimmt. Es sei entscheidend, die Kohlendioxidemissionen zu kappen, um die Erwärmung und deren Auswirkungen zu mindern, erklärt Craig Moritz:

    "Die Quintessenz aus den vorliegenden Daten ist, dass man weder zuversichtlich sein sollte was die Effekte des Klimawandels auf die Artenvielfalt angeht, noch ist die Lage so düster, wie es manchmal erscheint."