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Durchbruch bei Brexit-Gesprächen?
"Das wird noch viel Gehirnschmalz erfordern"

Trotz der jüngsten Erfolge bei den Brexit-Verhandlungen: Viele Punkte seien noch ungeklärt, sagte Bernd Lange, Vorsitzender des Handelsausschusses im EU-Parlament, im Dlf. So brauche es etwa dringend ein Kontrollsystem, das den Handel über die Grenze in Nordirland regele.

Bernd Lange im Gespräch mit Philipp May |
    Der Präsident der Europäischen Kommission, Jean-Claude Juncker, begrüßt die britische Premierministerin Theresa May vor einem Gespräch in der EU-Zentrale am 04.12.2017 in Brüssel.
    Die britische Premierministerin May und EU-Kommissionspräsident Juncker in Brüssel. (AP / dpa-Bildfunk / Virginia Mayo )
    Philipp May: Am Telefon ist jetzt Bernd Lange von der SPD, Vorsitzender des Handelsausschusses im EU-Parlament. Schönen guten Tag.
    Bernd Lange: Ja, guten Tag.
    May: Verstehen Sie das, was da ausgehandelt worden ist?
    Lange: Es war ja die Verabredung, dass hinreichend Fortschritt erzielt werden muss, um die zweite Phase zu beginnen, und das, glaube ich, ist erreicht worden. Was die Bürgerrechte anbetrifft, was die finanziellen Verpflichtungen anbetrifft und was Nordirland anbetrifft, ist zumindest garantiert worden, dass das Friedensabkommen von 1998 erhalten bleibt. Und dann sind da so ein paar Formulierungen drin: Die Umsetzung soll dann quasi durch das Handelsabkommen in der Phase zwei sichergestellt werden. Da ist sicherlich das am wenigsten konkret und das wird noch viel Gehirnschmalz erfordern.
    May: Keine feste Grenze zwischen Irland und Nordirland. Also de facto keine EU-Außengrenze nach dem Brexit. Kann das funktionieren?
    Lange: Na ja. Man muss gucken, wo die Zollgrenze dann sein wird, ob das zum Beispiel im Hafen von Belfast sein würde oder in den schottischen Häfen sein wird. Es ist völlig undenkbar, wenn wir wirklich eine normale Drittstaat-Regelung haben, auch wenn wir Zoll gleich null haben, werden wir Grenzkontrollen haben, werden wir Ursprungsregeln überprüfen, müssen wir Standards überprüfen, ob das zum Beispiel dem Verbraucherschutz entspricht. Insofern wird es notwendigerweise Kontrollsysteme geben müssen. Man kann das natürlich ein bisschen digitalisieren heutzutage, aber das wird dann in Nordirland sich zu vollziehen haben – nicht als Grenze, weil das ist gerade mit dem Abkommen ausgeschlossen worden.
    Britische Genhühnchen in Irland
    May: Aber Stand jetzt kann es ja dann passieren – Sie sind ja im Handelsausschuss: Genhühnchen aus Großbritannien könnten nach Irland exportiert werden, und wenn es da keine Grenze gibt, von dort problemlos weiter nach Deutschland.
    Lange: Ja. Deswegen sage ich, man muss ein Kontrollsystem haben.
    May: Aber das wollen sie ja nicht, die Briten.
    Lange: Ja, denn dann kann es keinen Deal geben. Das ist genau das Problem. Wir wissen ja auch gar nicht, wie Großbritannien sich weiterentwickeln wird, zum Beispiel die Genhühnchen, oder die lassen Dumping-Produkte aus China rein oder so – alles möglich. Deswegen müssen wir ein Kontrollsystem haben. Ob das jetzt in Belfast ist oder an der schottischen Küste, darüber kann man sicherlich diskutieren. Aber ohne ein Kontrollsystem ist es völlig absurd, und diese Dinge, die muss jetzt Großbritannien regeln, weil die Verpflichtung, Friedensabkommen muss erhalten bleiben, freier Grenzübergang muss erhalten bleiben, die hat Großbritannien heute abgegeben.
    May: Kann das funktionieren mit den nordirischen Nationalisten de facto in der Regierung?
    Lange: Das ist sowieso ja eine sehr fragile Regierung zurzeit. Auch innerhalb der konservativen Partei gibt es so viele unterschiedliche Strömungen. Wenn Sie da mit unterschiedlichen Ministern reden, kriegen Sie unterschiedliche Positionen. Ich gehe davon aus, dass Frau May und die Regierung sich nicht lange halten werden.
    Ist die Einigkeit wieder dahin?
    May: In Irland ist ja die Erleichterung jetzt groß. Die brauchen natürlich gute Handelsbeziehungen mit Großbritannien. Der irische Außenminister hat schon gesagt, man werde Großbritanniens größter Verbündeter jetzt sein in der zweiten Phase der Brexit-Gespräche. Das ist ja klar. Ist die Einigkeit, die die EU während der Verhandlungen bisher ausgezeichnet hat, wieder dahin, oder steht sie auf der Kippe?
    Lange: Nein, das sehe ich nicht. Ich komme aus Niedersachsen und Niedersachsen hat auch starke Interessen, dass wir nicht zu große wirtschaftliche Verwerfungen haben. – Nein, es geht jetzt darum, wirklich ein vernünftiges Handelsabkommen auszuhandeln. Im Beitrag vorhin war ja das Kanada-Abkommen als eine Blaupause angedeutet. Die Voraussetzungen waren natürlich ein bisschen anders. Da haben sich zwei Handelspartner aufeinander zubewegt. Und jetzt haben wir eine Situation, die eine Trennung beschreiben muss. Aber letztendlich von der Struktur her sind Elemente natürlich enthalten, die wir dann auch zu verhandeln haben.
    May: Wie könnte denn ein zukünftiges Handelsabkommen aussehen? Vor allen Dingen in welcher Zeit könnte das ausgehandelt werden?
    Lange: Das ist natürlich auch eine spannende Frage, weil wie gesagt, Kanada hat sieben Jahre gedauert. Dadurch haben wir natürlich auch einen Lernprozess. Insofern wird das sicherlich schneller gehen.
    May: Sie schaffen das in zwei Jahren jetzt?
    Lange: Ja, weil zum Beispiel über die Frage technische Standards brauchen wir nicht verhandeln, weil die gibt es, die sind gleich. Das geht schneller. Aber die Frage Zölle, das wird sicherlich eine spannende Geschichte sein. Ich kann mir vorstellen, dass die Briten ihren Agrarsektor stärker schützen wollen, die Frage, wie geht es zukünftig weiter, wie kann man Arbeitnehmerrechte sichern. Da sind schon ein paar Knackpunkte enthalten. Aber es ist nicht ausgeschlossen, dass man das in zwei Jahren hinkriegen kann.
    Der ganz, ganz softe Brexit
    May: Kann es möglicherweise sein, dass diese Übergangsphase, die ja mehr oder weniger der ganz, ganz softe Brexit ist, dass die sich dann irgendwann institutionalisiert?
    Lange: Nein, das sehe ich überhaupt nicht. Wir haben eine ganz klare Verhandlungsposition und wir haben jetzt auch im Parlament die zweite Phase vorbereitet. Nein, wenn die britische Regierung auf einem Brexit mit allen Konsequenzen besteht, dann werden wir das auch exekutieren und nicht irgendwie durch die Hintertür diese Entscheidung nicht Wirklichkeit werden zu lassen. Wir haben zum Beispiel 44 Handelsabkommen international. Da ist Großbritannien mit drin. Da geht Großbritannien raus und wird dann sicherlich auch mit anderen Partnern versuchen, gute Deals hinzukriegen, und das hat wieder Einfluss auf unsere Beziehungen. Da muss man Klarheit hinkriegen.
    Forderungen nach einem harten Brexit
    May: Dass es am Ende einen Brexit gibt, der eigentlich nur auf dem Papier steht, der in Wirklichkeit aber gar keiner ist, weil alle merken, es geht eigentlich gar nicht, das schließen Sie aus?
    Lange: Das schließe ich aus. Dann muss man wirklich die Konsequenz in Großbritannien ziehen, und das wiederum schließe ich nicht aus, dass da doch noch mal Bewegung kommt und man sagt, wir überlegen uns das noch mal.
    May: Und ein harter Brexit? Alles auf null, wenn man sich nicht einigen kann?
    Lange: Wenn man sich die britische Presse zurzeit durchliest, sind viele, die genau das fordern, weil diese Vorstellung, die EU würde Großbritannien determinieren und übers Ohr hauen, wird da weiter gemalt. Und wenn sich da so eine populistische Strömung wirklich manifestiert, dann ist das Risiko in der Tat da, dass am 29. März ein harter Brexit ist. Das heißt, es gibt dann ein normales Wirtschaftsverhältnis ohne Handelsvertrag, zehn Prozent Zoll auf Automobile, vier Prozent Zoll auf Zubehörteile, starke Grenzkontrollen und und und. Das würde natürlich ökonomisch, aber auch politisch massive Schäden auf beiden Seiten mit sich bringen.
    May: … sagt Bernd Lange von der SPD, Vorsitzender des Handelsausschusses im EU-Parlament. Herr Lange, vielen Dank für das Gespräch.
    Lange: Gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.