Archiv


Durchbruch in der Beutekunstfrage?

Die Bremer Kunsthalle stand in den letzten Jahren immer wieder im Mittelpunkt spektakulärer Rückkehr-Meldungen von Beutekunst aus Russland: Nicht nur zähe Verhandlungen sondern auch die Einschaltung von Interpol und Zollbehörden waren nötig, um eine Handvoll Zeichnungen, darunter das berühmte "Frauenbad" von Dürer, vom schwarzen Markt in New York zu holen. Die so geretteten Zeichnungen lagen dann bis kurz vor dem 11. September im World-Trade-Center, bevor sie im Sommer 2001 den Bremer Vertretern zurückerstattet wurden. Zuvor waren – nach zehnjährigem Tauziehen mit der russischen Seite - 101 kostbare Druckgrafiken, Zeichnungen und Aquarelle von der Moskwa an die Weser zurückgekommen, auch darunter ein wertvolles Landschafts-Aquarell von Dürer. Dass nun wieder ein – dazu noch besonders schönes - Werk des Nürnberger Meisters, das nahezu 60 Jahre verschollen war, nach Bremen zurückkehren konnte, ist nicht nur Zufall.

Von Rainer Berthold Schossig |
    Auch dieses Gemälde – eine kleine Altartafel, die den heiligen Johannes darstellt - gehörte zu jenen Hunderten von hochkarätigen Kunstwerken, die gegen Kriegsende wegen der zunehmenden alliierten Bombengefahr aus Bremen nach Osten ausgelagert wurden. Als der Auslagerungsort, das Schloss Karnzow in der Mark Brandenburg, von der Roten Armee eingenommen worden war, wurden die Keller mit dem Kunstgut geplündert. Vieles ging verloren oder wurde unwiederbringlich zerstört, anderes wurde geplündert, einiges systematisch gezielt, anscheinend von Fachleuten, nach Moskau abtransportiert. Darunter über 300 Werke, die der Finder Victor Baldin schon vor Jahren an Deutschland zurückgeben wollte, was allerdings durch die Blockade eines Duma-Beschlusses bisher verhindert wurde. Schon zu Zeiten des Kalten Krieges waren immer wieder einzelne Werke aus Bremer Besitz auf dem "Grauen Markt" im Ostblock aufgetaucht.

    Die Altartafel "Der heilige Johannes", die heute Abend in feierlicher Zeremonie durch den estnischen Ministerpräsidenten Juhan Parts persönlich in Bremen zurückgegeben wird, hat eine abenteuerliche, bis heute nicht ganz aufgeklärte Odyssee hinter sich. Nachdem es jahrzehntelang auf der Bremer Verlustliste stand, wurde das Bild vor 12 Jahren in einem russischen Dokumentarfilm über ein Moskauer Restaurierungszentrum gesichtet und auch sogleich von deutscher Seite reklamiert wurde, verschwand es spurlos. Erst im vergangenen Sommer tauchte es wieder auf, und zwar im Depot des Tallinner Kunstmuseums, der ehemaligen Sommerresidenz Zar Peters des Großen. Hier hatte es zehn Jahre unerkannt gelagert, bevor es von holländischen Experten identifiziert werden konnte. Die estnischen Zollbehörden hatten das Bild bei einer unbekannten Privatperson beschlagnahmt, die es klammheimlich nach Russland schmuggeln wollte.

    Nun ging alles sehr schnell, nicht zuletzt dank der spontanen Hilfsbereitschaft der Museumsleitung und dem Entgegenkommen der Behörden in Tallin. Vor dem Hintergrund, dass das baltische Musterländchen auf die EU-Mitgliedschaft zusteuerte, ist es freilich kaum verwunderlich, dass man in Estland nicht soviel Brimborium um die Rückgabe von deutscher Beutekunst machte wie im benachbarten Russland, wo man deutsches Trophäengüter, gleichgültig aus welcher Quelle, bis heute als Beweise für den sowjetischen Sieg im Großen Vaterländischen Krieg betrachtet.

    An der Echtheit des Werkes besteht übrigens kein Zweifel, denn mit dem "Heiligen Johannes" von Dürer kann ein besonders prominentes Stück aus der Bremer Fahndungsliste gestrichen werden. Handelt es sich doch um ein Zwillingsbild der – unmittelbar nach 1945 zurückgekommenen – Altartafel des "Heiligen Onufrius". Beide Werke kamen schon Anfang des 19. Jahrhunderts in eine Bremer Privatsammlung und sind seit über 150 Jahren im Besitz des Kunstvereins. Ab heute sind die beiden bärtigen Heiligen – sehnige Dulder in grüner Natur vor felsigem Hintergrund - endlich wieder vereint. Eine versöhnliche Geste, der sich auch der Bundeskanzler nicht verschließen mochte. Er kommt extra nach Bremen zur prominenten Staffage der festlichen Übergabe des Spätheimkehrers Johannes. Zusammen mit anderen prominenten Eremiten werden die beiden lang getrennten Bruderbilder bis Anfang Juli in der Kunsthalle gezeigt. Nun hofft man in Bremen, dass auch der seit langem zwischen Deutschland und Russland umstrittene Baldin-Schatz mit seinen vielen weiteren Dürer-Werken bald aus Moskau und St. Petersburg zurückkehren darf. An der Zeit wäre es!