Franz Braun fühlt sich wieder gesund. Jahrelang litt der 38jährige an einer schweren Erkrankung seiner Nieren. Er wurde arbeitsunfähig, musste regelmäßig durch Dialyse sein Blut reinigen lassen. Dann erhielt er vor fünf Jahren eine neue Niere - und damit auch ein neues Leben. Jedes Jahr werden mehrere Tausend Menschen in Deutschland, bei denen Niere, Leber oder Herz lebensbedrohlich geschädigt sind, fast gesund, weil sie ein Organ transplantiert bekommen. Meist stammen die Organe von Toten - doch viel zu wenige Menschen erklären sich zu Lebzeiten damit einverstanden, dass nach ihrem Tod Organe entnommen werden, beklagen die meisten Transplantationsmediziner. Nur 12 Prozent der Deutschen tragen einen Organspenderausweis bei sich. Auch viele Angehörige lehnen eine Organentnahme ab - 40 Prozent verneinen die entsprechende Anfrage der Ärzte.
Gleichzeitig warten alleine rund neuneinhalb Tausend Kranke auf eine Niere. Viele von ihnen sterben auf der Warteliste. Das Argument, dass Organspende Leben retten könne, besitze nicht genug Überzeugungskraft, beklagt der Transplantationsarzt Professor Cristoph Broelsch von der Uni-Klinik Essen. Er plädiert deshalb dafür, Organspender oder ihre Angehörigen zu belohnen - mit Geld:
Das geschieht vor dem Hintergrund, dass ein Organspender, der drei, vier oder fünf Organe spendet, der Sozialgemeinschaft in den nächsten fünf Jahren die schlichte Summe von etlichen 100 000 Euro einspart. Damit ist Organspende ein messbares ökonomisches Gut für eine Gesellschaft geworden. Noch immer keine Ware oder ein Tauschobjekt, aber es ist ein messbares Gut geworden. Und diesen Betrag im Hinterkopf haltend, denke ich, ist es legitim, ohne dass man an Organkauf oder sonst etwas denkt, Angehörigen bei der Zustimmung zur Organentnahme auch einen entsprechenden Betrag, 10 000 Euro - er muss signifikant sein - zu geben, damit auch die Beerdigung, Trauer etc. für den Verstorbenen entsprechend würdig ausfallen kann.
Eine immer größere Zahl von Organspenden kommt aber nicht von Toten, sondern von gesunden Menschen. Jede sechste Niere, die in Deutschland verpflanzt wird, kommt inzwischen vom Ehepartner, von einem Verwandten oder einem Menschen, der dem Patienten persönlich nahe steht. Auf diese Gruppen beschränkt das deutsche Transplantationsgesetz die so genannte Lebendspende von Organen. Franz Braun beispielsweise trägt eine Niere seiner Ehefrau im Körper. Ute Braun hat bislang keine Probleme damit, dass sie nur noch eine Niere hat:
Also ich fühl mich sehr gesund, habe keinerlei Bedenken, fühle mich genauso wie vorher - genauso nicht, sondern glücklicher. Uns allen besser geht.
Wer gesund ist, könne auf eine seiner Nieren gut verzichten, lautet die Lehrmeinung unter Transplantationsärzten. Walter Land, der das Ehepaar Braun an der Münchner Uniklinik Großhadern operiert hat, ist der Ansicht, dass es viele Freizeitbeschäftigungen gibt, die gefährlicher sind als eine Organspende:
Das Risiko, das ein Mensch eingeht, der eine Niere spenden will, ist nicht so groß wie ein Drachenflieger, der hier am Wochenende in den Alpen seinen Drachenflug macht.
Gerne zitiert der Arzt die Studie einer schwedischen Kollegin mit dem plakativen Titel "Nierenspender leben länger”. Menschen, die eine Niere abgeben, haben eine höhere Lebenserwartung als der Rest der Bevölkerung, heißt es in der Untersuchung. Diese Behauptung sei zwar nicht ganz seriös, meint Walter Land - aber die verblüffende Grundaussage sei richtig:
Die Erklärung ist ganz einleuchtend: Man wird nur medizinisch als ein Nierenspender akzeptiert, wenn man vollkommen gesund ist, andernfalls käme eine Lebendspende nicht in Frage. Und wenn man die Lebenserwartung dann vergleicht mit dem Rest der Bevölkerung, wo es Kranke gibt, muss ja die Lebenserwartung eines gesunden Spenders besser sein. Also, die Aussage bezieht sich eigentlich auf die Aussage, dass die Spende einer Niere nicht zu einer geringeren Lebenserwartung führt, das ist die eigentliche Botschaft.
Die Lebendspende von Nieren oder auch von Teilen der Leber gilt deshalb unter Transplantationsärzten als ein guter Weg, um den Mangel an Spenderorganen zu verringern. Außerdem zeigen alle Studien, dass die Organe von Lebendspendern im Körper der Empfänger besser arbeiten als Organe von Toten - denn Nieren oder Lebern von Gesunden sind sozusagen frischer. Deshalb wünscht sich der Essener Transplantationsarzt Christoph Broelsch nicht nur finanzielle Anreize für die Angehörigen von toten Organspendern. Er fordert auch Geldzahlungen an Lebendspender:
Um es ihm leichter zu machen, weiterzuleben, wenn es zu Schwierigkeiten kommen sollte, ist, denke ich, auch ein finanzieller Anreiz geboten. Auch entlang der selben Gedankenlinie, dass auch dieser Spender der Gesellschaft etliche zigtausend Euro spart, weil der Empfänger nicht mehr dialysiert werden muss, oder bei der Leberspende sogar weiterleben kann und sonst sterben würde.
Nur mit Geld lasse sich die zu geringe Zahl von Organspenden steigern. Und nur so lasse sich die Warteliste für Nieren oder Lebern verkürzen, glaubt Broelsch:
Ich kenne das System ja, und ich weiß, dass im Moment jegliche Art von Leistungssteigerungen in diesem System nicht mehr drin sind, auch gar nicht mehr gewollt sind und auch gar nicht mehr finanziert werden, dann kann ich nur denken, dass mit einem anderen Anreiz, der ökonomischer, der finanzieller Art ist, eine Abhilfe geschaffen werden kann.
Christoph Broelsch ist sich völlig im Klaren darüber, dass er mit seinen Forderungen in ein heikles Gebiet vorstößt. Er betont deshalb immer wieder, dass es ihm nicht um einen Handel mit Organen gehe. Dennoch gilt er in Deutschland als derjenige, der mit der größten Regelmäßigkeit immer wieder das gleiche Tabu aufzubrechen versucht: die Bezahlung von Organspenden.
Auf internationaler Ebene geht die Diskussion um Geldtransfers bei Organtransplantationen bereits viel weiter. Die britische Philosophie-Professorin Janet Radcliffe Richards will nicht nur finanzielle Anreize für Organspender. Sie hält es für logisch zwingend, dass der Handel mit Organen international freigegeben wird:
Wir haben ein ziemlich starkes Prinzip der Freiheit, das besagt: Wenn zwei Menschen etwas tun möchten, was ihrer Ansicht nach für beide vorteilhaft ist, und wenn das niemandem sonst schadet, dann gibt es die Vermutung, dass man es ihnen erlauben sollte. In diesem Fall wollen der Verkäufer und der Käufer die Transaktion - Warum sollten wir anderen dazwischengehen und sagen, sie sollten es nicht tun? Oder mit anderen Worten: Wenn wir ganz einfachen Prinzipien folgen - Prinzipien über das Retten von Leben, über das Einräumen von möglichst großer Freiheit, über das Erlauben von Aktionen mit beiderseitigem Nutzen, dann sollten unsere Moralprinzipien uns zu dem Schluss führen, dass es eine starke Argumentationskette gibt, wonach man den Verkauf von Organen erlauben sollte.
In der internationalen Diskussion um die Bezahlung von Organtransplantationen wird immer wieder ein Land genannt, das dem Westen in vielerlei Hinsicht nicht eben als vorbildlich gilt: der Iran. Das Land hat bereits seit 13 Jahren ein staatliches Programm, das die bezahlte Lebend-Transplantation von Nieren organisiert. Ein Gesunder, der eine seiner beiden Nieren abgibt, erhält den Gegenwert von rund 2000 US-Dollar. Im Iran entspreche das einem durchschnittlichen Jahresverdienst, erklärt Medizinprofessor Iradj Fazel. Das Geld bezahlt entweder der Empfänger, oder - falls der Patient soviel Geld nicht hat - eine staatliche Stiftung. Diese Stiftung kümmere sich auch darum, dass alles sauber abgewickelt wird:
Alle Nierenspender kennen den Empfänger und viele von ihnen werden Freunde, manchmal sehr gute Freunde. Es gibt keinen Markt. Niemand kann losgehen und eine Niere kaufen, und es gibt bestimmte keine gierigen Mittelsmänner, über die sich alle Sorgen machen. Was auch immer bezahlt wird, geht direkt an den Nierenspender. Kein Mittelsmann profitiert und auch nicht das Transplantations-Team.
Das staatliche Programm zur bezahlten Nierenspende kenne nur Gewinner, meint der Iraner: Wer eine Niere abgibt, erhalte eine Menge Geld; gleichzeitig habe man so den Mangel an Spenderorganen behoben, der im Rest der Welt den Ärzten Sorge macht:
Ein einzigartiger Aspekt bei diesem Programm ist, dass wir vielleicht das einzige Land auf der Welt sind, wo es keine Warteliste für eine Nieren-Transplantation gibt. Natürlich haben wir eine Warteliste für Leber oder Herz. Aber für die Niere gibt es keine Warteliste. Jeder kann eine Transplantation innerhalb von ein bis zwei Monaten erhalten, wenn er möchte.
Aber nicht nur im Iran ist der Organhandel bereits Realität. Auch in Israel sei der Kauf und Verkauf von Nieren und Lebern gang und gäbe, meint der Jerusalemer Transplantationsarzt Michael Friedlaender. Zwar sei es offiziell verboten, Nieren oder Lebern zu kaufen. Doch viele seiner Patienten würden in den Irak, in die Türkei oder nach Südafrika reisen, um ein Organ zu erhalten - und staatliche Stellen seien sich dessen vollkommen bewusst. Der Israeli Friedlaender plädiert deshalb für die Freigabe eines Organhandels - unter staatlicher Kontrolle:
Der Organhandel ist bereits da. Und wir können ihn nicht mit einem Gesetz wieder abschaffen. Ich würde vorschlagen, dass wir versuchen, Gesetze einzuführen, die allen Beteiligten eine Alternative innerhalb des Gesetzes bieten. So ein Programm würde die Organspender vor medizinischem und finanziellem Missbrauch schützen. Der Status quo erlaubt dem Markt, auf dem menschliche Organe gehandelt werden, ein Wachstum in der Tradition eines ungeregelten Handels. Und so ein freier Markt ist natürlich offen für kriminellen Missbrauch. Ein legaler Handel hingegen könnte reguliert werden. Wenn man kein Gesetz hat, kann man nichts regulieren.
Auch die britische Bioethik-Professorin Radcliffe Richards hält dieses Argument für das stichhaltigste: Der Organhandel sei längst Realität - deshalb könne er nicht mehr verboten werden. Der Staat müsse ihn vielmehr regulieren:
Es ist eine Tatsache, dass es derzeit einen Schwarzmarkt gibt, und es wird einen Schwarzmarkt geben, so lange es Nachfrage nach einem lebensrettendem Gut gibt. So lange es einen Schwarzmarkt gibt, wird er nicht kontrolliert, und es gibt Ausbeutung. Wenn wir Menschen helfen möchten, die ausgebeutet werden, dann können wir das nur tun, indem wir ihnen mehr geben. Entweder, indem wir ihnen vorher so viel Geld geben, dass sie ihre Niere nicht verkaufen wollen. Oder indem wir sicher stellen, dass sie einen guten Preis für ihre Niere bekommen.
Die Teilnehmer eines internationalen Kongresses über Ethik in der Transplantationsmedizin, der kürzlich in München stattgefunden hat, folgten dieser Argumentation - zumindest teilweise. Es sei nicht gelungen, das Anwachsen des internationalen Organhandels zu verhindern, heißt es in einer Resolution des Kongresses. Deshalb sollten einzelne Länder nach Modellen suchen, die die Wahrscheinlichkeit eines ungeregelten Handels verringern, heißt es in der Entschließung weiter.
Aber nicht alle 250 Teilnehmer des Kongresses wollten sich dieser Resolution anschließen. Der Transplantionsexperte Pekka Häyry aus Finnland hält es für unethisch, wenn bei Organverpflanzungen Geld fließt. Und er glaubt nicht, dass eine begrenzte Freigabe diesen Handel wirklich regulieren kann:
Die erste Frage, die sich stellt, ist: Was um alles in der Welt ist ein fairer Preis? Sagen wir in den USA und in Bangladesh - ist es die gleiche Summe von Dollars? Oder ist es ein Jahreseinkommen? Das wäre beispielsweise in Bangladesh 300 Dollar und in den USA etwa 50 000 Dollar. Ich bezweifle auch, dass es funktionieren würde, Fixpreise international durchzusetzen, aus den folgenden Gründen: Etwa 1,2 Milliarden Menschen auf der Welt leben von weniger als einem Dollar am Tag und können definitiv als arm gelten. Im Vergleich zu den Wartelisten von Nierenempfängern in den reichen Ländern übersteigt also das Angebot die Nachfrage um den Faktor 1 zu 10 000. Das heißt, der Käufer setzt den Preis fest. Es wird daher sehr schwer sein, eine internationale Übereinkunft zu finden, was ein fairer Preis ist. Und es gibt keinen Weg, diese Preisfindung international zu kontrollieren.
Kritik an den Resolutionen des Münchner Ethik-Kongresses kommt nicht nur aus dem Ausland. Auch in Deutschland gibt es entschiedene Gegner: Gundolf Gubernatis von der Deutschen Stiftung Organtransplantation zum Beispiel. Er hält es für einen grundlegenden Fehler, menschliche Nieren und Lebern als bezahlbares Gut zu betrachten. Wer über Preise für Organe nachdenke - auch über vermeintlich faire Preise -, der missachte eine Grundregel der medizinischen Ethik und der Verfassungsordnung in Deutschland, so der Transplantationsmediziner:
Dass nach unserer Überzeugung die körperliche Unversehrtheit und die Person selbst verfassungsmäßig das höchste Gut ist. Die Würde und auch die Person selbst ist eben in ihrer Integrität unantastbar. Und damit muss man sie letztlich auch davor schützen, dass jemand in einer Notlage oder aus welchen Motiven auch immer seine Unantastbarkeit aufgibt.
Transplantationsexperte Gubernatis hält es auch für einen Fehler, zu glauben, dass ein geregelter Organhandel besser sei als ein ungeregelter. Gubernatis ist fest davon überzeugt, dass jede Bezahlung von Organspenden einen moralischen Dammbruch bedeutet:
Wir werden kein ethisches Argument mehr haben, zum Beispiel Versteigerungen zu verhindern. Wenn ein Organ ethisch so bewertet wird wie Zahnersatz, wie Medikamente oder wie andere Dinge, dann kann man wie in anderen Bereichen sagen - okay, die Kasse zahlt den und den Betrag, die Kasse zahlt z.B. 10 000 oder 50 000 Euro, wenn mir aber einer ein Organ anbietet und will 500 000 Euro, und ich habe die restlichen 490 oder 450 000 Euro - Warum soll ich ihm denn das nicht zahlen dürfen? Und das sind Dinge, die man mit Sicherheit nicht mehr im Griff hat. Ich halte es für absolut töricht anzunehmen, man könnte einen Bereich, in dem es um das Überleben und sehr viel Geld geht, staatlich regeln.
Aber nicht nur deshalb hält Gundolf Gubernatis die Diskussion über bezahlte Organspenden für sinnlos. In Deutschland würden die geltenden Gesetze weitgehend befolgt. Da bestehe also kein Handlungsbedarf. Finanzielle Anreize für Organspender sind in den Augen des Transplantationsexperten ebenfalls überflüssig. Zunächst müsse man versuchen, die schon bestehenden Möglichkeiten auszuschöpfen. Das Transplantationsgesetz setzt der Organspende zwar relativ enge Grenzen - doch könne auch innerhalb dieser Grenzen die Zahl der Organverpflanzungen noch deutlich gesteigert werden, glaubt Gubernatis:
Wir haben fünf Jahre dieses Gesetz. Bisher ist es lediglich vier von 16 Bundesländern möglich gewesen, Landesausführungsgesetze zu machen. Die Meldepflicht der Krankenhäuser wird von keinem Ministerium wirklich stringent eingefordert. Das einzige Bundesland, was ein wirklich gutes und auch ziemliches stringentes Ausführungsgesetz gemacht hat, das ist Bayern. In der Region Nord haben wir z.B. vier Bundesländer, da hat kein einziges Bundesland ein Landesausführungsgesetz gemacht. Die Ministerien fragen auch gar nicht nach, ob die Krankenhäuser ihrer Meldepflicht nachkommen. Und solange es von denen, die für die Gesundheitsversorgung in diesem Lande die Verantwortung tragen - nämlich die Ministerien - so lange es von denen nicht einmal ansatzweise ein Bemühen gibt, sich um die Frage der Organspende zu kümmern, sollten wir nicht zu so drastischen Maßnahmen kommen, zu sagen: Das ist uns alles viel zu schwierig, und wir müssen das Gesetz jetzt ändern, um zu anderen Maßnahmen zu kommen, von denen wir uns mehr versprechen.
Eine Diskussion um finanzielle Anreize könnte sogar eine verheerende, kontraproduktive Wirkung entfalten, fürchtet der Vertreter der Deutschen Stiftung Organtransplantation: Das derzeit relativ geringe Aufkommen an Organspenden könnte noch weiter absinken:
Im Übrigen bin ich der Meinung, dass die Behauptung, man könnte mit finanziellen Anreizen die Spendenbereitschaft heben, dass diese Behauptung durchaus nicht so zutreffen muss. Ich möchte mal von mir ausgehen: Wenn ich gefragt werde, ob ich einer Organentnahme bei Angehörigen zustimme, und ich möchte dem zustimmen, weil ich das für eine gute Sache halte, und dann sagt man mir noch: Sie bekommen soundso viel Geld dafür, dann würde ich meine Einwilligung wieder zurückziehen. Und wenn wir beginnen, bei Verstorbenen die Organe bezahlen zu wollen, bin ich überzeugt, dass die meisten Angehörigen sich angewidert abwenden werden und sagen: Unter diesen Bedingungen ziehe ich die Einwilligung zurück. Und das ist meine große Befürchtung: Alleine die Tatsache, dass jetzt so viel darüber öffentlich diskutiert wird, wird dazu führen, dass die altruistische Spendenbereitschaft sinkt, oder zumindest, dass die Kollegen in den Krankenhäusern sagen, wir wollen mit dem ganzen Bereich nichts mehr dazu tun, dass die Organspender, die es jetzt gibt, nicht mehr der Koordinierungsstelle melden, und wir dadurch das Gegenteil von dem bewirken, was wir haben wollen - nämlich, dass wir weniger Spender haben werden.
Die oberste Devise in Sachen Transplantationsgesetz ist nach Ansicht von Gundolf Gubernatis deshalb sehr einfach: Keine neue Diskussion vom Zaun brechen.
Ich glaube, wir haben uns damals sehr viel Mühe gegeben, ein gutes Gesetz zu machen und dabei, wie ich meine, einen hervorragenden Interessenausgleich gefunden, zwischen allen möglichen extremen Positionen. Das Gesetz, was wir jetzt haben, ist ein sehr gutes Transplantationsgesetz. Und wir sollten es auch bis auf Weiteres dabei belassen und nicht, um einige Dinge zu erreichen, das ganze Gesetz zur Disposition stellen. Also ich hoffe intensivst, dass es keine neue Diskussion um das Transplantationsgesetz gibt.
Diese Hoffnung wird allerdings wahrscheinlich enttäuscht werden. Der Transplantations-Chirurg Christoph Broelsch aus Essen jedenfalls will seine Forderung nach finanziellen Anreizen für Organspender immer wieder vortragen - und sie in die politische Diskussion einbringen:
Wir werden das im Jahr 2003, wenn die Abgeordneten wieder einmal mit sich ins Reine gekommen sind, an die Abgeordneten herantragen. Wir haben das ein wenig losgebrochen. Und ich denke, die Diskussion wird im Jahr 2003 weiter gehen.
Gleichzeitig warten alleine rund neuneinhalb Tausend Kranke auf eine Niere. Viele von ihnen sterben auf der Warteliste. Das Argument, dass Organspende Leben retten könne, besitze nicht genug Überzeugungskraft, beklagt der Transplantationsarzt Professor Cristoph Broelsch von der Uni-Klinik Essen. Er plädiert deshalb dafür, Organspender oder ihre Angehörigen zu belohnen - mit Geld:
Das geschieht vor dem Hintergrund, dass ein Organspender, der drei, vier oder fünf Organe spendet, der Sozialgemeinschaft in den nächsten fünf Jahren die schlichte Summe von etlichen 100 000 Euro einspart. Damit ist Organspende ein messbares ökonomisches Gut für eine Gesellschaft geworden. Noch immer keine Ware oder ein Tauschobjekt, aber es ist ein messbares Gut geworden. Und diesen Betrag im Hinterkopf haltend, denke ich, ist es legitim, ohne dass man an Organkauf oder sonst etwas denkt, Angehörigen bei der Zustimmung zur Organentnahme auch einen entsprechenden Betrag, 10 000 Euro - er muss signifikant sein - zu geben, damit auch die Beerdigung, Trauer etc. für den Verstorbenen entsprechend würdig ausfallen kann.
Eine immer größere Zahl von Organspenden kommt aber nicht von Toten, sondern von gesunden Menschen. Jede sechste Niere, die in Deutschland verpflanzt wird, kommt inzwischen vom Ehepartner, von einem Verwandten oder einem Menschen, der dem Patienten persönlich nahe steht. Auf diese Gruppen beschränkt das deutsche Transplantationsgesetz die so genannte Lebendspende von Organen. Franz Braun beispielsweise trägt eine Niere seiner Ehefrau im Körper. Ute Braun hat bislang keine Probleme damit, dass sie nur noch eine Niere hat:
Also ich fühl mich sehr gesund, habe keinerlei Bedenken, fühle mich genauso wie vorher - genauso nicht, sondern glücklicher. Uns allen besser geht.
Wer gesund ist, könne auf eine seiner Nieren gut verzichten, lautet die Lehrmeinung unter Transplantationsärzten. Walter Land, der das Ehepaar Braun an der Münchner Uniklinik Großhadern operiert hat, ist der Ansicht, dass es viele Freizeitbeschäftigungen gibt, die gefährlicher sind als eine Organspende:
Das Risiko, das ein Mensch eingeht, der eine Niere spenden will, ist nicht so groß wie ein Drachenflieger, der hier am Wochenende in den Alpen seinen Drachenflug macht.
Gerne zitiert der Arzt die Studie einer schwedischen Kollegin mit dem plakativen Titel "Nierenspender leben länger”. Menschen, die eine Niere abgeben, haben eine höhere Lebenserwartung als der Rest der Bevölkerung, heißt es in der Untersuchung. Diese Behauptung sei zwar nicht ganz seriös, meint Walter Land - aber die verblüffende Grundaussage sei richtig:
Die Erklärung ist ganz einleuchtend: Man wird nur medizinisch als ein Nierenspender akzeptiert, wenn man vollkommen gesund ist, andernfalls käme eine Lebendspende nicht in Frage. Und wenn man die Lebenserwartung dann vergleicht mit dem Rest der Bevölkerung, wo es Kranke gibt, muss ja die Lebenserwartung eines gesunden Spenders besser sein. Also, die Aussage bezieht sich eigentlich auf die Aussage, dass die Spende einer Niere nicht zu einer geringeren Lebenserwartung führt, das ist die eigentliche Botschaft.
Die Lebendspende von Nieren oder auch von Teilen der Leber gilt deshalb unter Transplantationsärzten als ein guter Weg, um den Mangel an Spenderorganen zu verringern. Außerdem zeigen alle Studien, dass die Organe von Lebendspendern im Körper der Empfänger besser arbeiten als Organe von Toten - denn Nieren oder Lebern von Gesunden sind sozusagen frischer. Deshalb wünscht sich der Essener Transplantationsarzt Christoph Broelsch nicht nur finanzielle Anreize für die Angehörigen von toten Organspendern. Er fordert auch Geldzahlungen an Lebendspender:
Um es ihm leichter zu machen, weiterzuleben, wenn es zu Schwierigkeiten kommen sollte, ist, denke ich, auch ein finanzieller Anreiz geboten. Auch entlang der selben Gedankenlinie, dass auch dieser Spender der Gesellschaft etliche zigtausend Euro spart, weil der Empfänger nicht mehr dialysiert werden muss, oder bei der Leberspende sogar weiterleben kann und sonst sterben würde.
Nur mit Geld lasse sich die zu geringe Zahl von Organspenden steigern. Und nur so lasse sich die Warteliste für Nieren oder Lebern verkürzen, glaubt Broelsch:
Ich kenne das System ja, und ich weiß, dass im Moment jegliche Art von Leistungssteigerungen in diesem System nicht mehr drin sind, auch gar nicht mehr gewollt sind und auch gar nicht mehr finanziert werden, dann kann ich nur denken, dass mit einem anderen Anreiz, der ökonomischer, der finanzieller Art ist, eine Abhilfe geschaffen werden kann.
Christoph Broelsch ist sich völlig im Klaren darüber, dass er mit seinen Forderungen in ein heikles Gebiet vorstößt. Er betont deshalb immer wieder, dass es ihm nicht um einen Handel mit Organen gehe. Dennoch gilt er in Deutschland als derjenige, der mit der größten Regelmäßigkeit immer wieder das gleiche Tabu aufzubrechen versucht: die Bezahlung von Organspenden.
Auf internationaler Ebene geht die Diskussion um Geldtransfers bei Organtransplantationen bereits viel weiter. Die britische Philosophie-Professorin Janet Radcliffe Richards will nicht nur finanzielle Anreize für Organspender. Sie hält es für logisch zwingend, dass der Handel mit Organen international freigegeben wird:
Wir haben ein ziemlich starkes Prinzip der Freiheit, das besagt: Wenn zwei Menschen etwas tun möchten, was ihrer Ansicht nach für beide vorteilhaft ist, und wenn das niemandem sonst schadet, dann gibt es die Vermutung, dass man es ihnen erlauben sollte. In diesem Fall wollen der Verkäufer und der Käufer die Transaktion - Warum sollten wir anderen dazwischengehen und sagen, sie sollten es nicht tun? Oder mit anderen Worten: Wenn wir ganz einfachen Prinzipien folgen - Prinzipien über das Retten von Leben, über das Einräumen von möglichst großer Freiheit, über das Erlauben von Aktionen mit beiderseitigem Nutzen, dann sollten unsere Moralprinzipien uns zu dem Schluss führen, dass es eine starke Argumentationskette gibt, wonach man den Verkauf von Organen erlauben sollte.
In der internationalen Diskussion um die Bezahlung von Organtransplantationen wird immer wieder ein Land genannt, das dem Westen in vielerlei Hinsicht nicht eben als vorbildlich gilt: der Iran. Das Land hat bereits seit 13 Jahren ein staatliches Programm, das die bezahlte Lebend-Transplantation von Nieren organisiert. Ein Gesunder, der eine seiner beiden Nieren abgibt, erhält den Gegenwert von rund 2000 US-Dollar. Im Iran entspreche das einem durchschnittlichen Jahresverdienst, erklärt Medizinprofessor Iradj Fazel. Das Geld bezahlt entweder der Empfänger, oder - falls der Patient soviel Geld nicht hat - eine staatliche Stiftung. Diese Stiftung kümmere sich auch darum, dass alles sauber abgewickelt wird:
Alle Nierenspender kennen den Empfänger und viele von ihnen werden Freunde, manchmal sehr gute Freunde. Es gibt keinen Markt. Niemand kann losgehen und eine Niere kaufen, und es gibt bestimmte keine gierigen Mittelsmänner, über die sich alle Sorgen machen. Was auch immer bezahlt wird, geht direkt an den Nierenspender. Kein Mittelsmann profitiert und auch nicht das Transplantations-Team.
Das staatliche Programm zur bezahlten Nierenspende kenne nur Gewinner, meint der Iraner: Wer eine Niere abgibt, erhalte eine Menge Geld; gleichzeitig habe man so den Mangel an Spenderorganen behoben, der im Rest der Welt den Ärzten Sorge macht:
Ein einzigartiger Aspekt bei diesem Programm ist, dass wir vielleicht das einzige Land auf der Welt sind, wo es keine Warteliste für eine Nieren-Transplantation gibt. Natürlich haben wir eine Warteliste für Leber oder Herz. Aber für die Niere gibt es keine Warteliste. Jeder kann eine Transplantation innerhalb von ein bis zwei Monaten erhalten, wenn er möchte.
Aber nicht nur im Iran ist der Organhandel bereits Realität. Auch in Israel sei der Kauf und Verkauf von Nieren und Lebern gang und gäbe, meint der Jerusalemer Transplantationsarzt Michael Friedlaender. Zwar sei es offiziell verboten, Nieren oder Lebern zu kaufen. Doch viele seiner Patienten würden in den Irak, in die Türkei oder nach Südafrika reisen, um ein Organ zu erhalten - und staatliche Stellen seien sich dessen vollkommen bewusst. Der Israeli Friedlaender plädiert deshalb für die Freigabe eines Organhandels - unter staatlicher Kontrolle:
Der Organhandel ist bereits da. Und wir können ihn nicht mit einem Gesetz wieder abschaffen. Ich würde vorschlagen, dass wir versuchen, Gesetze einzuführen, die allen Beteiligten eine Alternative innerhalb des Gesetzes bieten. So ein Programm würde die Organspender vor medizinischem und finanziellem Missbrauch schützen. Der Status quo erlaubt dem Markt, auf dem menschliche Organe gehandelt werden, ein Wachstum in der Tradition eines ungeregelten Handels. Und so ein freier Markt ist natürlich offen für kriminellen Missbrauch. Ein legaler Handel hingegen könnte reguliert werden. Wenn man kein Gesetz hat, kann man nichts regulieren.
Auch die britische Bioethik-Professorin Radcliffe Richards hält dieses Argument für das stichhaltigste: Der Organhandel sei längst Realität - deshalb könne er nicht mehr verboten werden. Der Staat müsse ihn vielmehr regulieren:
Es ist eine Tatsache, dass es derzeit einen Schwarzmarkt gibt, und es wird einen Schwarzmarkt geben, so lange es Nachfrage nach einem lebensrettendem Gut gibt. So lange es einen Schwarzmarkt gibt, wird er nicht kontrolliert, und es gibt Ausbeutung. Wenn wir Menschen helfen möchten, die ausgebeutet werden, dann können wir das nur tun, indem wir ihnen mehr geben. Entweder, indem wir ihnen vorher so viel Geld geben, dass sie ihre Niere nicht verkaufen wollen. Oder indem wir sicher stellen, dass sie einen guten Preis für ihre Niere bekommen.
Die Teilnehmer eines internationalen Kongresses über Ethik in der Transplantationsmedizin, der kürzlich in München stattgefunden hat, folgten dieser Argumentation - zumindest teilweise. Es sei nicht gelungen, das Anwachsen des internationalen Organhandels zu verhindern, heißt es in einer Resolution des Kongresses. Deshalb sollten einzelne Länder nach Modellen suchen, die die Wahrscheinlichkeit eines ungeregelten Handels verringern, heißt es in der Entschließung weiter.
Aber nicht alle 250 Teilnehmer des Kongresses wollten sich dieser Resolution anschließen. Der Transplantionsexperte Pekka Häyry aus Finnland hält es für unethisch, wenn bei Organverpflanzungen Geld fließt. Und er glaubt nicht, dass eine begrenzte Freigabe diesen Handel wirklich regulieren kann:
Die erste Frage, die sich stellt, ist: Was um alles in der Welt ist ein fairer Preis? Sagen wir in den USA und in Bangladesh - ist es die gleiche Summe von Dollars? Oder ist es ein Jahreseinkommen? Das wäre beispielsweise in Bangladesh 300 Dollar und in den USA etwa 50 000 Dollar. Ich bezweifle auch, dass es funktionieren würde, Fixpreise international durchzusetzen, aus den folgenden Gründen: Etwa 1,2 Milliarden Menschen auf der Welt leben von weniger als einem Dollar am Tag und können definitiv als arm gelten. Im Vergleich zu den Wartelisten von Nierenempfängern in den reichen Ländern übersteigt also das Angebot die Nachfrage um den Faktor 1 zu 10 000. Das heißt, der Käufer setzt den Preis fest. Es wird daher sehr schwer sein, eine internationale Übereinkunft zu finden, was ein fairer Preis ist. Und es gibt keinen Weg, diese Preisfindung international zu kontrollieren.
Kritik an den Resolutionen des Münchner Ethik-Kongresses kommt nicht nur aus dem Ausland. Auch in Deutschland gibt es entschiedene Gegner: Gundolf Gubernatis von der Deutschen Stiftung Organtransplantation zum Beispiel. Er hält es für einen grundlegenden Fehler, menschliche Nieren und Lebern als bezahlbares Gut zu betrachten. Wer über Preise für Organe nachdenke - auch über vermeintlich faire Preise -, der missachte eine Grundregel der medizinischen Ethik und der Verfassungsordnung in Deutschland, so der Transplantationsmediziner:
Dass nach unserer Überzeugung die körperliche Unversehrtheit und die Person selbst verfassungsmäßig das höchste Gut ist. Die Würde und auch die Person selbst ist eben in ihrer Integrität unantastbar. Und damit muss man sie letztlich auch davor schützen, dass jemand in einer Notlage oder aus welchen Motiven auch immer seine Unantastbarkeit aufgibt.
Transplantationsexperte Gubernatis hält es auch für einen Fehler, zu glauben, dass ein geregelter Organhandel besser sei als ein ungeregelter. Gubernatis ist fest davon überzeugt, dass jede Bezahlung von Organspenden einen moralischen Dammbruch bedeutet:
Wir werden kein ethisches Argument mehr haben, zum Beispiel Versteigerungen zu verhindern. Wenn ein Organ ethisch so bewertet wird wie Zahnersatz, wie Medikamente oder wie andere Dinge, dann kann man wie in anderen Bereichen sagen - okay, die Kasse zahlt den und den Betrag, die Kasse zahlt z.B. 10 000 oder 50 000 Euro, wenn mir aber einer ein Organ anbietet und will 500 000 Euro, und ich habe die restlichen 490 oder 450 000 Euro - Warum soll ich ihm denn das nicht zahlen dürfen? Und das sind Dinge, die man mit Sicherheit nicht mehr im Griff hat. Ich halte es für absolut töricht anzunehmen, man könnte einen Bereich, in dem es um das Überleben und sehr viel Geld geht, staatlich regeln.
Aber nicht nur deshalb hält Gundolf Gubernatis die Diskussion über bezahlte Organspenden für sinnlos. In Deutschland würden die geltenden Gesetze weitgehend befolgt. Da bestehe also kein Handlungsbedarf. Finanzielle Anreize für Organspender sind in den Augen des Transplantationsexperten ebenfalls überflüssig. Zunächst müsse man versuchen, die schon bestehenden Möglichkeiten auszuschöpfen. Das Transplantationsgesetz setzt der Organspende zwar relativ enge Grenzen - doch könne auch innerhalb dieser Grenzen die Zahl der Organverpflanzungen noch deutlich gesteigert werden, glaubt Gubernatis:
Wir haben fünf Jahre dieses Gesetz. Bisher ist es lediglich vier von 16 Bundesländern möglich gewesen, Landesausführungsgesetze zu machen. Die Meldepflicht der Krankenhäuser wird von keinem Ministerium wirklich stringent eingefordert. Das einzige Bundesland, was ein wirklich gutes und auch ziemliches stringentes Ausführungsgesetz gemacht hat, das ist Bayern. In der Region Nord haben wir z.B. vier Bundesländer, da hat kein einziges Bundesland ein Landesausführungsgesetz gemacht. Die Ministerien fragen auch gar nicht nach, ob die Krankenhäuser ihrer Meldepflicht nachkommen. Und solange es von denen, die für die Gesundheitsversorgung in diesem Lande die Verantwortung tragen - nämlich die Ministerien - so lange es von denen nicht einmal ansatzweise ein Bemühen gibt, sich um die Frage der Organspende zu kümmern, sollten wir nicht zu so drastischen Maßnahmen kommen, zu sagen: Das ist uns alles viel zu schwierig, und wir müssen das Gesetz jetzt ändern, um zu anderen Maßnahmen zu kommen, von denen wir uns mehr versprechen.
Eine Diskussion um finanzielle Anreize könnte sogar eine verheerende, kontraproduktive Wirkung entfalten, fürchtet der Vertreter der Deutschen Stiftung Organtransplantation: Das derzeit relativ geringe Aufkommen an Organspenden könnte noch weiter absinken:
Im Übrigen bin ich der Meinung, dass die Behauptung, man könnte mit finanziellen Anreizen die Spendenbereitschaft heben, dass diese Behauptung durchaus nicht so zutreffen muss. Ich möchte mal von mir ausgehen: Wenn ich gefragt werde, ob ich einer Organentnahme bei Angehörigen zustimme, und ich möchte dem zustimmen, weil ich das für eine gute Sache halte, und dann sagt man mir noch: Sie bekommen soundso viel Geld dafür, dann würde ich meine Einwilligung wieder zurückziehen. Und wenn wir beginnen, bei Verstorbenen die Organe bezahlen zu wollen, bin ich überzeugt, dass die meisten Angehörigen sich angewidert abwenden werden und sagen: Unter diesen Bedingungen ziehe ich die Einwilligung zurück. Und das ist meine große Befürchtung: Alleine die Tatsache, dass jetzt so viel darüber öffentlich diskutiert wird, wird dazu führen, dass die altruistische Spendenbereitschaft sinkt, oder zumindest, dass die Kollegen in den Krankenhäusern sagen, wir wollen mit dem ganzen Bereich nichts mehr dazu tun, dass die Organspender, die es jetzt gibt, nicht mehr der Koordinierungsstelle melden, und wir dadurch das Gegenteil von dem bewirken, was wir haben wollen - nämlich, dass wir weniger Spender haben werden.
Die oberste Devise in Sachen Transplantationsgesetz ist nach Ansicht von Gundolf Gubernatis deshalb sehr einfach: Keine neue Diskussion vom Zaun brechen.
Ich glaube, wir haben uns damals sehr viel Mühe gegeben, ein gutes Gesetz zu machen und dabei, wie ich meine, einen hervorragenden Interessenausgleich gefunden, zwischen allen möglichen extremen Positionen. Das Gesetz, was wir jetzt haben, ist ein sehr gutes Transplantationsgesetz. Und wir sollten es auch bis auf Weiteres dabei belassen und nicht, um einige Dinge zu erreichen, das ganze Gesetz zur Disposition stellen. Also ich hoffe intensivst, dass es keine neue Diskussion um das Transplantationsgesetz gibt.
Diese Hoffnung wird allerdings wahrscheinlich enttäuscht werden. Der Transplantations-Chirurg Christoph Broelsch aus Essen jedenfalls will seine Forderung nach finanziellen Anreizen für Organspender immer wieder vortragen - und sie in die politische Diskussion einbringen:
Wir werden das im Jahr 2003, wenn die Abgeordneten wieder einmal mit sich ins Reine gekommen sind, an die Abgeordneten herantragen. Wir haben das ein wenig losgebrochen. Und ich denke, die Diskussion wird im Jahr 2003 weiter gehen.