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Durchleuchten auf Verdacht

Die Deutschen sind nachlässig, wenn es um die Krebsvorsorge geht. Deshalb will das Gesundheitsministerium nachhelfen. Mit der Gesetzesänderung am 1. April wurde in Deutschland auch die Reihenuntersuchung auf Brustkrebs eingeführt. Millionen Frauen zwischen 50 und 69 werden zur Mammografie in ein Screeningzentrum eingeladen.

Von Eva Schindele | 23.09.2007
    Sehr geehrte Frau Musterfrau,
    Brustkrebs ist in Deutschland die häufigste Krebskrankheit bei Frauen ... Internationale Studien haben gezeigt: Ein Programm zur Früherkennung von Brustkrebs für die Altersgruppe der 50 bis 69-jährigen Frauen kann die Sterblichkeit an Brustkrebs deutlich senken. Dieses Programm existiert jetzt in Deutschland ... Da Sie dieser Altersgruppe angehören, laden wir Sie am 5. September um 15 Uhr 30 in das Mammobil nach Aurich ein.


    Schreiber: " Okay Frau Merkel, dann kommen Sie bitte, gehen in die Kabine und machen sich den Oberkörper frei ... "

    " Sie sind ja das erste Mal bei uns. Ist bei Ihnen schon mal Mammographie gemacht worden? Wie lange ist das her? "

    Merkel : "2 Jahre. "

    Schreiber: " Beschwerden an der Brust hatten Sie nicht gehabt? Operationen an der Brust? Auch nicht. Ich schau mir die Brust mal an, ob irgendwas auffällig äußerlich ist, was ich notieren müsste. Nein. Sie kommen bitte hier ran, ans Gerät. Ich mache von jeder Brust zwei Aufnahmen. Ich muss die Brust dabei zusammendrücken. Damit man kleinste Veränderungen ganz deutlich erkennen kann. Okay so stehen bleiben. "

    Macht es Sinn, Millionen von Frauen mit Hilfe von Röntgenstrahlen "vorsorglich" durchzuchecken, um die Brustkrebssterblichkeit zu senken? Darüber streitet seit Jahren die internationale Wissenschaftlergemeinde. Aber auch gesundheitspolitisch engagierte Frauen sind sich uneins. Denn wenn die Mammografie bislang auch als beste Früherkennungsmethode für Frauen ab 50 gilt, so hat sie doch ihre Grenzen. Vor allem weiß die einzelne Frau nicht, ob sie zu den Gewinnerinnen oder zu den Verliererinnen gehören wird.

    Am Screening teilzunehmen ist freiwillig. Jede Frau muss für sich abwägen.

    " Vorsorge ... ist das A und O in der Medizin. Denn, äh, da sind wir ja in Deutschland derart im Hintertreffen, da gibt's so Länder, die sind vorbildlich. Zum Beispiel ganz Skandinavien."

    "Früherkennung rettet Leben. Nutzen auch Sie die Chance!". Dieses Plakat hängt derzeit in Aurich an vielen öffentlichen Plätzen. In der ostfriesischen Kleinstadt steht für einige Wochen das Mammobil. Der Röntgenbus mit der Frauenbrust, stilisiert und pink, ist nicht zu übersehen. Hierher werden alle 50 bis 69 jährigen Einwohnerinnen eingeladen, um ihre Brust auf Krebs untersuchen zu lassen. Kostenlos. Auch Anni Plotz, kurze graue Haare, braungebrannt und sportlich, fand ein solches Schreiben in ihrem Briefkasten. Sie findet die schriftliche Einladung gut.

    " weil viele Frauen vielleicht, die nicht aufgefordert werden, selbst zu nachlässig sind, das in die Hand zu nehmen und somit die Krebsrate eben steigt."

    Dass das Screening-Programm umstritten ist, weiß die 57- Jährige nicht. Nervös spielt sie mit ihrem Autoschlüssel und wartet bis sie in die Röntgenkabine gerufen wird.

    Plotz: " Ich persönlich hab kein Problem damit. Ich mach es schon jahrelang, bestimmt schon 15 Jahre, bei meinem Frauenarzt. Hab selbst bezahlt. Und, ich meine, gut, da ist ne andere Atmosphäre, aber, äh, das ist schon in Ordnung so, wie es jetzt ist. "

    So wie Anni Plotz haben viele Frauen auf Empfehlung ihrer Frauenärzte eine Früherkennungsmammografie "zur Vorsorge" machen lassen. Bei diesen jährlich etwa 2 Millionen "grauen" Mammografien war weder die technische Qualität noch die korrekte Befundung der Aufnahmen gewährleistet. Brustkrebsaktivistinnen und Gesundheitspolitikerinnen haben sich deshalb jahrelang für eine qualitätsgesicherte Reihenuntersuchung stark gemacht. Geprobt wurde für solch ein Brustkrebsscreening in drei Modellregionen: Bremen, Weser-Ems und Wiesbaden. Doch die Ergebnisse wurden nicht mehr abgewartet.

    " Wir haben dann einen Bundestagsbeschluss bekommen in 2002, der die Einführung des Mammografie Screenings in Deutschland forderte nach den Europäischen Leitlinien. Die Leitlinien sind ein Empfehlungswerk vieler wissenschaftlicher Experten auf dem europäischen Niveau."

    Jan Sebastian Graebe-Adelssen ist Geschäftsführer der Kooperationsgemeinschaft Mammografie, einem Verbund der Krankenkassen und Kassenärztlichen Vereinigungen, der für die Einführung und Qualitätssicherung der Reihenuntersuchung zuständig ist.

    " Wir haben dann im Zuge dessen mit einer deutschen Richtlinie begonnen, die im Unterschied zur EU bindend ist. ... . Zum 1.1. 2004 ist dieses Richtlinienwerk in Kraft getreten und wir haben dann umgehend mit der Einführung des Mammografiescreenings begonnen. "

    Bis Ende 2007 wird die Reihenuntersuchung auf Brustkrebs flächendeckend eingeführt sein. Zehn Millionen Frauen im Alter zwischen 50 und 69 werden dann alle zwei Jahre von einer sog. "Zentralen Stelle" wie dem Gesundheitsamt oder der Kassenärztlichen Vereinigung angeschrieben und mit Terminvorschlag in ein wohnortnahes Screeningzentrum eingeladen. Die Adressen stammen von den jeweiligen Einwohnermeldeämtern. Für diese Maßnahme mussten eigens die Datenschutzgesetze der Länder geändert werden.

    Sehr geehrte Frau Musterfrau
    Brustkrebs ist in Deutschland die häufigste Krebskrankheit bei Frauen ... Etwa 10 Prozent der Frauen erkranken im Laufe ihres Lebens daran, die meisten nach dem 50. Lebensjahr. Daher wurde beschlossen, ein Programm zur Früherkennung von Brustkrebs durch Mammografiescreening einzuführen.


    Im Moment, sagen Experten, sterben in Deutschland 4000 Frauen an einer Brustkrebserkrankung, die das nicht müssten.

    Ulla Schmidt, Bundesgesundheitsministerin

    Studien zeigen, dass die Brustkrebssterblichkeit bei den Frauen, die am Screening teilnehmen, um 20-30 Prozent gesenkt werden kann.

    Helga Kühn-Mengel, Patientenbeauftragte

    In Deutschland wird jetzt die Initiative ergriffen ... per Gesetz eine solce flächendeckende Untersuchung einzuführen. Diese würde pro Jahr ungefähr 3500 Todesfälle an Brustkrebs vermeiden können.

    Karl Lauterbach, Berater der Bundesregierung

    Die Zahlen, die dem Screeningprogramm zugrunde liegen, stammen aus einer schwedischen Studie, die 30 Prozent Überlebensvorteil für die betroffene Altersgruppe gefunden hat. Eine Zahl, die erst einmal beeindruckt, doch nicht unumstritten ist. Klaus Giersiepen, Leiter des Bremer Krebsregisters.

    " Je nachdem wen man fragt, bekommt man verschiedene Antworten. Die Zahlen schwanken in der Tat. ... Ich kenne auch aktuellere Schätzungen die eher bei 15 Prozent liegen."

    " Wenn man das jetzt umsetzt in Zahlen, die man verstehen kann, so bedeutet das, dass von 2.000 Frauen, die über zehn Jahre zu einem Mammographie-Screening eingeladen werden, eine Frau insofern einen Nutzen hat, als sie in dieser Zeit nicht an Brustkrebs stirbt. "

    Ingrid Mühlhauser, sie ist Internistin und Endokrinologin mit einem Lehrstuhl für Gesundheitswissenschaften an der Universität Hamburg, und sie meint:

    " Das Risiko an Brustkrebs zu erkranken beziehungsweise an Brustkrebs zu sterben, wird in der Bevölkerung massiv überschätzt. "

    " Es heißt ja immer: jede zehnte Frau trifft es. Das bedeutet aber, nur jene Frauen, die das 80. bis 85. Lebensjahr erreichen. Von denen wird bis zum 85. Lebensjahr dann eine von zehn Frauen eine Brustkrebsdiagnose tatsächlich erhalten haben. "

    Mit Zahlen wird Politik gemacht; Brustkrebs zur neuen Epidemie stilisiert und so den Frauen Angst eingejagt, findet Ingrid Mühlhauser. Und das, obwohl bereits seit Mitte der 90er Jahre auch in Deutschland die Brustkrebssterblichkeit sinkt -- ohne Mammografie Screening und vermutlich als Folge verbesserter Therapiemöglichkeiten.

    " Eigentlich könnte man sagen, dass Brustkrebs eine seltene Todesursache ist. Wenn man 100 Frauen hernimmt, die in Deutschland sterben, dann sind es etwa drei, maximal vier Frauen, die an Brustkrebs versterben. "

    Der Rest der Frauen verstirbt an anderen Todesursachen. Zum Beispiel an Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Aber Brustkrebs ist trotzdem die Krankheit, die Frauen am meisten fürchten. Gegen ihre Angst wird die Mammografie empfohlen.

    Studien fanden zwar einen Rückgang der Brustkrebssterblichkeit durch Mammographie. Auch Screeningländer wie Großbritannien, Skandinavien oder die Niederlande melden weniger Brustkrebstote. Doch inwieweit der Grund in einer verbesserten Therapie liegt oder der Früherkennung zu verdanken ist, ist ungeklärt. Zum Vergleich: Während in Deutschland die Brustkrebssterblichkeit um 11 Prozent zurückging, schnitt das Screeningland Niederlande im selben Zeitraum mit 13 Prozent nur geringfügig besser ab. Und noch ein Aspekt, meint Klaus Giersiepen vom Bremer Krebsregister, sei bislang nicht hinreichend untersucht.

    " Zu einer Schaden- und Nutzenanalyse da gehört nicht nur hinein, wie viele Frauen muss ich einladen und wie viel profitieren letztlich im Sinne von weniger Sterblichkeit, sondern welchen Nutzen hat Frau, dass eine weniger verstümmelnde Operation gemacht wurde, dass kein Rezidiv auftritt, dass eine brusterhaltende Therapie gewählt wurde, wie drückt sich das auf die Lebensqualität aus, und welchen Schaden nimmt sie, wenn sie im Assessement verschiedene Untersuchungen, die auch schmerzhaft sein können und Angst machen können, über sich ergehen lässt, wann erholt sie sich davon wieder? Wenn sie einmal einen positiven Befund im Screening gehabt hat, kommt sie dann nach zwei Jahren wieder, wie fühlt sie sich ... das hat alles Einfluss auf die Lebensqualität, die mal hier mal da in irgendwelchen Studien gemessen worden sind, aber nicht im Bevölkerungskontext."

    " Sie haben eine Einladung hierher bekommen? "

    Merkel: " Ja ich bin sehr froh und ich denke, jede Frau freut sich, weil man hat ehrlich gesagt, keine Zeit für sich hat. "

    Lyda Merkel ist mit ihrer Familie vor zehn Jahren aus Sibirien ins niedersächsische Aurich gezogen. Reihenuntersuchungen kennt die 56 Jährige Biologin noch aus Russland.

    " So jetzt geht es mit den seitlichen Aufnahmen weiter ... .Ich fang mit der rechten Seite an. Einen kleinen Schritt vor. Okay, so stehen bleiben. Ganz locker. Sie gucken nach rechts. Jetzt kommt der Druck wieder ... "

    Die Suche nach dem Krebs in der Brust ist wie die Suche nach einer Stecknadel im Heuhaufen.

    Von 10 Millionen Frauen, die durchleuchtet werden, gilt es diejenigen Frauen frühzeitig herauszupicken, die eine krankhafte Veränderung haben. Im Jahr 2005 waren dies in der betroffenen Altersgruppe 220 von 100.000 Frauen.

    Das weiß auch die Röntgenassistentin Margret Schreiber, die eigens für das Screeningprogramm geschult worden ist. Für die Teilnehmerinnen sind sie die einzigen Kontaktpersonen, inhaltliche Auskünfte dürfen sie aber nicht geben.

    " Sie kippen die Schulter etwas nach rechts. Und bleiben so stehen. Ich zieh die Brust jetzt hier drauf. Und der Druck kommt von oben. Ist erst ganz ungewohnt wieder."

    Die Röntgenassistentin legt vorsichtig die Brust der Teilnehmerin auf die Plexiglasscheibe und drückt sie mit einem zweiten Plexiglas flach.

    " Wenn Sie das gar nicht aushalten, sagen Sie mir bitte Bescheid. Halten Sie diese Brust ein bisschen weg mit der Hand. Geht das so vom Druck?

    Okay - so stehen bleiben. Mammografie Geräusch. ... Da haben wir doch schöne Aufnahmen gemacht."

    Merkel: " Dankeschön.

    Gern geschehen. "

    Von jeder Brust hat die Röntgenassistentin zwei digitale Aufnahmen gemacht. Umgehend kontrolliert sie die technische Qualität und mailt dann die Bilder, versehen mit den Daten der Frau, an den programmverantwortlichen Arzt, einem niedergelassenen Radiologen in Wittmund. Der fahndet gemeinsam mit anderen Kollegen nach möglichen Auffälligkeiten; die Befunde werden in einer Konsensuskonferenz besprochen.

    Schreiber: " Das Ergebnis bekommen Sie ja nach Hause geschickt. Auf jeden Fall bekommen Sie Post. Das dauert ein bis zwei Wochen."

    Merkel: " Soll ich mit dem Ergebnis zum Arzt gehen? "

    Schreiber: " Nein. Es steht ganz deutlich drin, auch ganz einfach, sie verstehen das recht gut. Entweder es ist alles in Ordnung. Oder die zweite Möglichkeit, was auch vorkommen kann, es ist eine Auffälligkeit festgestellt worden, die noch näher untersucht werden muss. Und da steht dann drin, wo sie zu einer Nachuntersuchung hingehen können. Da haben wir das Angebot zum Screening ins Krankenhaus nach Aurich zu gehen, aber sie dürfen sich natürlich auch selber einen anderen Untersucher aussuchen. "

    Merkel: " Ich hoffe, dass alles in Ordnung ist."

    Schreiber: " Ja davon gehen wir immer aus, natürlich."

    Hochrechnungen:

    Zehn Millionen Frauen werden in Deutschland zur Früherkennungsmammografie eingeladen, 500 Frauen werden davon jedes Jahr profitieren, 5000 erhalten jedoch eine Brustkrebsdiagnose, die sie ohne Screening nie bekommen hätten und werden unnötigerweise therapiert. Und 200.000 Teilnehmerinnen werden wieder eingeladen, weil sich ein Verdacht auf der Röntgenaufnahme gezeigt hat, der weiter abgeklärt werden muss.

    Problem: Verdachtsbefunde

    " Ein Risiko ist natürlich, wenn man einen abklärungsbedürftigen Befund hat, obwohl man gar keinen Brustkrebs hat. "

    In den Modellprojekten wurden etwa sechs von hundert Frauen zur Nachuntersuchung in das Screeningzentrum eingeladen. Bei einer wurde der Verdacht auf Brustkrebs bestätigt. Die fünf anderen hatten einen so genannten falsch-positiven Befund, das heißt es wurde dann doch kein Brustkrebs gefunden. Sie können aufatmen. Trotzdem sind viele anhaltend über den Verdachtsbefund irritiert. Das zeigen jedenfalls Studien, die bei den betroffenen Frauen einen erhöhten Angstlevel und psychische Verunsicherungen auch noch ein halbes Jahr später festgestellt haben. Gerade deshalb fordern psychosomatisch orientierte Gynäkologen und Gynäkologinnen mehr mit den Frauen im Screening zu sprechen. Doch dies ist bislang nicht vorgesehen. Im sogenannten Assessmentzentrum, in das die Frauen zu weiteren Untersuchungen einbestellt werden, findet der erste persönliche Kontakt mit Ärzten statt.

    " Grundsätzlich ist bei dieser Abklärungsdiagnostik am Anfang ein Gespräch mit der Frau vorgesehen, in dem man das Mammographiebild mit der Frau anspricht, ihr sagt, was man dort gefunden hat, und was man machen möchte. ... "

    Der Radiologe Gerold Hecht, programmverantwortlicher Arzt in der Region Niedersachsen-West und Leiter des Bremer Referenzzentrums, das für die Qualitätssicherung im Norden der Republik zuständig ist.

    " In der Regel sind das Ultraschalluntersuchungen, zusätzliche Röntgenuntersuchungen und im Bedarfsfall ist das auch eine ambulante Gewebeprobe. ... "

    Bei jeder dritten Frau, die wieder einbestellt wurde, wurde Gewebe entnommen- meist mit Hilfe einer Stanzbiopsie - und auf Krebszellen untersucht. Bei knapp der Hälfte der Frauen bestätigte sich der Krebsbefund, bei der anderen Hälfte der Frauen nicht. Das heißt viele Frauen wurden unnötig operiert. Schonender für die Frau wäre die strahlungsfreie Magnetresonanztomographie. Mit der MRT kann die Aggressivität von Krebsvorstufen besser als durch die Mammografie beurteilt werden, wie eine kürzlich im Medizinjournal "Lancet" veröffentlichte Studie der Universität Bonn gezeigt hat. Doch die MRT ist heute noch fünf Mal so teuer wie die Mammografie und wird bei der Abklärungsdiagnostik nur im Ausnahmefall eingesetzt.

    " Wenn man einen Befund hat, der mammographisch auffällig ist, der aber nicht sicher durch eine Biopsie abzuklären ist, dann ist diese Kernspintomographie sicher auch gut einzusetzen. Das Problem der Kernspintomographie einer Mamma ist, dass es zu wenig erfahrene Radiologen gibt, die das wirklich auch gut und in entsprechender Qualität durchführen können, und dass wir die Kapazitäten im großen Rahmen dafür auch gar nicht gerätemäßig haben. "

    Problem: falsche Beruhigung

    " Das heißt: man bekommt einen normalen Befund beim Mammographie-Screening und kann trotzdem im kommenden Jahr eine Brustkrebsdiagnose erhalten, das heißt man würde zum Beispiel einen Knoten tasten. Es gibt also keine hundertprozentige Sicherheit, dass man keinen Brustkrebs hat, wenn man ein normales Bild hat."

    Frauen suchen nach Gewissheit. Doch die kann ihnen auch die qualitätsgesicherte Mammografie nicht geben. Sie ist nichts weiter als eine Momentaufnahme. Nicht jeder Tumor ist auf dem Röntgenbild zu erkennen, zum Beispiel bei Teilnehmerinnen mit dichtem Drüsengewebe. Das betrifft vor allem Frauen vor den Wechseljahren oder solche, die Hormone schlucken. Außerdem kann auch mal ein Karzinom übersehen werden. Oder die Frau entwickelt zwischen den Einladungsrunden einen Tumor. Europäische Studien zeigen, dass etwa 30 Prozent aller Karzinome zwischen zwei Screeningrunden von den Teilnehmerinnen selbst oder von ihrem Gynäkologen getastet werden.

    Die deutsche Röntgengesellschaft fordert deshalb neben der Mammografie auch den Ultraschall und die Tastuntersuchung in das Screening einzubeziehen.

    Sehr geehrte Frau Musterfrau
    Durch die Mammografie können sehr kleine Krebsherde frühzeitig erkannt werden, bevor sie tastbar sind oder andere Symptome hervorrufen. Die frühe Erkennung verbessert die Behandlungsmöglichkeiten und die Chancen einer Heilung.


    " Ich gehöre in diese Alterskategorie und habe diesen Brief bekommen ... .Als ich zum ersten Mal eingeladen worden bin da war ich nicht zu Hause und dann bekam ich einen zweiten Brief, der ziemlich fordernd war - so: ich sollte jetzt doch mal gefälligst kommen. "

    Dorothee Schmitz-Köster geht seit Jahren zu ihrer Gynäkologin zur Krebsfrüherkennung. Die tastet ihre knotige Brust ab und macht einen Ultraschall. Die 56 Jährige fühlte sich dort gut aufgehoben. Dann lief in Bremen vor sechs Jahren das Screening an - anfangs als Modellprojekt.

    " Dann bin ich aber, weil das so drängend war und weil ich ein braves Mädchen bin, wahrscheinlich im Innersten, tatsächlich da hingegangen und das war auch okay. Dadurch dass ich einen zweiten Termin hatte, fiel ich nicht in die seltsame Situation hinein, alle Nachbarinnen zu treffen. "

    Mit der regelmäßigen Teilnahme an diesem Programm erhöhen sie daher ihre Aussichten auf weniger eingreifende und belastende Behandlungsmethoden und auf eine dauerhafte Heilung.

    Schmitz-Köster kennt die öffentliche Debatte über Nutzen und Schaden der radiologischen Früherkennung, die in Bremen von frauenpolitisch engagierten Frauen initiiert wurde. Von den Organisatoren des Screenings fühlte sie sich dagegen nicht objektiv aufgeklärt.

    " Ich hatte so eine ungefähre Vorstellung, was die Gegen- und Pro Argumente sind und dieser Brief war dann eigentlich ... zu kurz, weil es natürlich auch in einem bestimmten Interesse geschrieben ist. ... "

    Übrigens: Die Teilnahme am Brustkrebsscreening ist freiwillig. Die Pflicht, sich ärztlich beraten zu lassen, soll erst in 30 Jahren, also 2037, verbindlich werden. Den Info-Flyer, der an alle Frauen mit der Einladung verschickt wird, beurteilen Wissenschaftler von der Universität Düsseldorf als mangelhaft. In der Studie heißt es:

    Der "informed - consent" ist dem Ziel hoher Beteiligung geopfert worden.

    " Was mir gestunken hat ... dass da so etwas entfaltet wird wie ein Druck - man hat schon ganz generell Angst vor Krebs, deshalb macht man auch eine Krebsvorsorge und dann wird da noch so ein Druck erzeugt, wenn du das nicht tust, wirst du zur Strafe krank."

    Eine frühe Diagnose kann für das Überleben der Frau von Vorteil sein, muss es aber nicht. Manchmal verlängert eine frühe Diagnose nur die Krankheitsphase und nicht ihr Leben. Dies hängt mit der Art des Tumors zusammen.

    Problem: Brustkrebs ist nicht gleich Brustkrebs

    Lebensbedrohlich ist nicht der Knoten in der Brust selbst, sondern die Metastasen, die so genannten Tochtergeschwülste, die er in anderen Organen bildet. Nur etwa die Hälfte der Brust-Tumoren bildet überhaupt Metastasen. Und die allgemeine Lehrmeinung ist, dass kleine Tumoren noch nicht gestreut haben. Doch das ist nicht immer so, meint der Bremer Pathologe Ulrich Bonk.

    " Nach neuen genetischen Untersuchungen ist bekannt, dass auch kleine Tumoren metastasieren können. Der Durchmesser ist also nicht so entscheidend. "

    Andrerseits gibt es deutlich tastbare Knoten, die noch keine Metastasen gebildet haben. Manche Brusttumoren wachsen schnell und bilden früh Metastasen, andere wachsen langsam. Diese langsam wachsenden Karzinome werden in der Regel durch die Mammografie gefunden, etwa vier Jahre früher als sie getastet werden. Sie haben ohnehin einen günstigen Verlauf und sind gut behandelbar.

    " Es gibt mehr als das Sterben. "

    sagt Jan Graebe-Adelssen, Geschäftsführer der Kooperationsgemeinschaft Mammographiescreening

    " Wichtig ist die Früherkennung kleinster Karzinome, von denen wir auch nicht wissen, ob sie seines Tages zu einem Karzinom werden oder auch nicht, aber dass wir frühzeitig eine Therapie einleiten können, so dass Frau entscheiden kann, ich möchte jene oder diese Therapie wählen. Wenn Karzinome über 15,20 mm groß sind, dann ist die Diskussion auf sehr dünnen Pfad."

    Am ehesten ist natürlich der Krebs "heilbar", der das Leben der Frau ohnehin nie bedroht hätte. Deshalb sind gerade die kleinen Karzinome oder Brustkrebsvorstufen, die man durch die Mammografie entdeckt, ein Problem, denn bislang kann ihr weiterer Krankheitsverlauf kaum verlässlich prognostiziert werden. Viele davon sind harmlos und wären ohne Mammografie nie auffällig geworden.

    Problem: Überdiagnosen

    " Ein Risiko und ich denke, das ist das größte Risiko, ist, dass man eine Krebsdiagnose bekommt, die man niemals bekommen hätte, wenn man nicht zum Screening gegangen wäre. Das heißt: eine Krebsdiagnose von einem Krebs, der einem niemals ein Problem gemacht hätte. "

    In Screening Ländern sind die Brustkrebsdiagnosen dauerhaft um 30 bis 50 Prozent gestiegen und zwar nicht nur die der Krebsvorstufen, sondern auch die der invasiven Tumoren, die bereits das umliegende Gewebe infiltriert haben. Der Grund: im Einzelfall lässt sich auf dem Röntgenbild nicht unterscheiden, ob die frühe Erkennung des Krebses eine bessere Therapie ermöglicht oder ob der Tumor die Frau nie bedroht hätte. Wenn dies der Fall ist, hätte sich die Frau einer unnötigen Operation, Bestrahlung, Hormon- oder Chemotherapie unterzogen, also Therapien, die mit vielen Nebenwirkungen behaftet sind.

    " Es gibt eben diese Kolataralschäden und die müssen wir verhindern, "

    kritisiert Ulrich Bonk, der selbst an den Modellprojekten beteiligt war und derzeit an einer britischen Universitätsklinik als Pathologe tätig ist.

    " ... und sagen, wir müssen die wirklich kleinen Tumoren, die gefährlich sind für die Frauen, abklären. Da muss am frischen Gewebe eine molkulargenetische Untersuchung erfolgen und dann kann man entscheiden: Chemotherapie ja oder nein oder nur Hormontherapie oder gar nichts. "

    Sprecherin: Doch bis jetzt passiert diese differenzierte pathologische Abklärung zu selten. Und die molekulargenetischen Marker, an denen Wissenschaftler fieberhaft arbeiten, sind noch nicht ausgereift. Die schonende Therapie bei kleinen Tumoren, die immer als großer Vorteil der radiologischen Früherkennung genannt wird, ist deshalb vielfach Wunschdenken.

    " Heute geht es um die maßgeschneiderte Therapie. Jeder Mensch ist molekular genetisch anders. Es muss eine Abklärung erfolgen, man muss es individuell entscheiden: - all die Kriterien einschließlich der immunhistologischen Untersuchung, ist er aktiv oder nicht, man muss dann wirklich abwägen. Ansonsten bei den kleinen Veränderungen, den intra duktalen, das ist kein Autorennen. Und die Frauen die sich im Abklärungsprozess befinden, die müssen nicht so sehr unter Druck gesetzt werden."

    Der Pathologe Ulrich Bonk, der bei der Bremer Krebsgesellschaft jahrelang Frauen beraten hat, fordert einen Paradigmenwechsel:

    " Man muss mit den Betroffenen sprechen ... wir sind ein so wohlhabendes Land. Wir müssten uns das leisten können, dass diese Gespräche stattfinden und dass man nicht alles opfert auf diesem Altar der Effektivität und Ökonomie. "

    Das Mammografie Screening Programm ist ein ehrgeiziges Projekt, das viel Wert auf die technische Qualitätskontrolle legt. Tatsächlich hat sich in puncto Qualität sehr viel getan. Auch das Risiko, dass die Röntgengeräte der Brust den Schaden erst zufügen, gilt heute als minimal. Doch die Qualitätssicherung endet im Screeningzentrum. Schon die Zusammenarbeit mit den Pathologen stellt sich derzeit als brüchig dar. Und die Kooperation mit dem stationären Brustzentren klappt schlecht, räumt selbst Graebe-Adelsen ein, der Geschäftsführer der Kooperationsgemeinschaft Mammografie Screening.

    " Ab dem Zeitpunkt, wo die Frau die Diagnose mitgeteilt bekommen hat, sehe ich großen Handlungsbedarf. Diese Schnittstelle in den stationären Bereich sehe ich als ausgesprochen schwierig "

    Dabei ist die Verbesserung der Therapie der Dreh - und Angelpunkt. Stattdessen gibt es Grabenkämpfe zwischen verschiedenen Brustzentren und Fachgesellschaften, die nach unterschiedlichen Kriterien sogenannte "Brustsiegel" als Zertifikate vergeben

    " Wir brauchen auch mehr Informationen über die Therapieeinrichtungen. Welche Qualität wird dort geliefert, wie wird mit der Frau umgegangen - dann ist sie ja Patientin - wie wird sie betreut, auch psychologisch - über diese Aspekte wissen wir sehr wenig und die Zertifizierungsverfahren, die wir im Augenblick haben, sind nicht transparent genug, um eine Entscheidung zu treffen."

    Feierabend. Lydia Merkel war die letzte Klientin. Für heute. Morgen werden wieder 40 bis 50 Frauen im Mammobil in Aurich erwartet. Werden sie profitieren?

    Einerseits:

    Die radiologische Früherkennung senkt die Brustkrebssterblichkeit, wenn auch viel geringer als allgemein angenommen. Manchmal ermöglicht sie eine schonendere Therapie.

    Andererseits:

    Mehr Frauen müssen mit einer Brustkrebsdiagnose und Behandlung rechnen. Manche von ihnen hätten ohne Screening nie Symptome entwickelt.

    Und: Manchmal hilft auch eine frühe Diagnose nicht, sie verlängert nur die Krankheit.

    " Wenn es nicht wehtut, dann denkt man nicht daran. Krebs, das ist sehr gefährlich, sehr. Und warum gefährlich: das tut nicht weh. Weil, wenn es weh tut, dann ist es manchmal zu spät ... . Und dass sie das prophylaktisch für die Frau machen, das finde ich sehr gut. Sehr gut. Und da braucht man nicht zum Arzt gehen. Mit diesen Überweisungen braucht man nicht, und dann noch diese 10 Euro. Das ist Zeit und Geld und alles. Man ist froh, wenn sie sagen, es ist Ordnung. Aber, die Brust, das ist überhaupt so ein Organ, das muss man mit dem Krebs aufpassen. Sehr. Wenn das alles vorbei, dann, super, schön, dass ich das gemacht habe und dass alles in Ordnung ist. "

    Eine weitere Sendung zum Thema "Brustkrebs":
    Dienstag, 25. September, 10:10 Uhr bis 11:30 Uhr
    Journal am Vormittag - Sprechstunde vor Ort mit Hörerbeteiligung
    Telefon: 00 800 4464 4464
    Fax: 00 800 4464 4465