Thielko Grieß: Es ist doch so gekommen, wie viele befürchtet hatten: Ägypten ist gestern in gewaltsame Auseinandersetzungen gerutscht. Die Regierung hatte das Militär angewiesen, die Protestcamps der Muslimbrüder zu räumen, und dagegen gab es dann auch den angekündigten Widerstand. Der war groß und groß ist inzwischen auch die Zahl der Toten. Dann kam die Nacht, die ist relativ ruhig geblieben.
Wir hier im ruhigen Mitteleuropa versuchen, uns ein Bild von der Lage in Ägypten zu machen, und das tun wir natürlich mithilfe unserer Korrespondenten, wie gerade eben mit Peter Steffe, mithilfe ihrer Analysen, aber natürlich auch mithilfe ihrer Mikrofonaufnahmen, ihrer Kameraaufnahmen, ihrer Fotos. Die können ja nur entstehen, wenn die Kollegen dicht dran sind am Geschehen. In Ägypten sind gestern mehrere Journalisten zwischen die Fronten geraten, drei von ihnen sind gestern ums Leben gekommen. – Am Telefon ist jetzt Martin Durm, der viele Jahre für die ARD aus dem Nahen Osten und auch aus Kairo berichtet hat. Zurzeit ist er in Deutschland. Guten Tag, Herr Durm.
Martin Durm: Guten Tag.
Grieß: Halten Sie es für verantwortlich, dass Journalisten gerade dann, wenn die Gewalt explodiert, so wie gestern in Ägypten, ganz dicht am Geschehen sein wollen, um die besten Fotos zu bekommen?
Durm: Ich glaube, dass es da nicht einfach nur um die besten oder spektakulärsten Fotos kommt. Der britische Kameramann, der gestern erschossen wurde, Mick Deane, 61 Jahre alt, hat ja nur gefilmt, wie dieses Protestcamp aufgelöst werden sollte. Er saß dann am Straßenrand, als er gezielt von einem Scharfschützen erschossen wurde. Das wirkt doch so, als sei da ein Kameramann ganz bewusst angegriffen und auch getötet worden, der seiner Arbeit nachging, und ich glaube, das ist es, was Journalisten nach wie vor in Kairo tun. Sie versuchen, sich ein authentisches Bild zu verschaffen. Natürlich kann man keinen, der momentan in Kairo ist, dazu verdonnern, dort zu sein, wo im Moment die Kugeln fliegen. Das wäre unverantwortlich. Es gibt auch das Recht auf Eigenschutz. Aber auf der anderen Seite sind auch Journalisten am Ort des Geschehens, um ein möglichst authentisches Bild zu liefern. Das ist es ja auch, was Sie erwarten.
Grieß: Ich habe es gerade gesagt: Sie selbst haben über lange Jahre aus der Region berichtet und zuletzt waren Sie in Syrien. Dort tobt ein heftiger, gewaltvoller Bürgerkrieg. Wie geht man als Reporter in einen solchen Tag, an dem man weiß, es könnte zu Gewalt kommen, ich bin mittendrin?
Durm: Man versucht, sich schon möglichst gut vorzubereiten, auch sich darüber im Klaren zu werden, wo man hingeht, was das für ein Ort ist. Besonders wichtig ist natürlich, dass man auch versucht, mit einem Einheimischen unterwegs zu sein, der die Gegend, der die Stadtteile besonders gut kennt, die Straßen, denn in solchen Situationen, in solchen Städten - und bestimmte Teile Kairos gehören mittlerweile ja dazu – herrschen nun mal Verhältnisse, die nicht berechenbar sind. Deswegen kommt es dann immer wieder zu Situationen, vor allem in klassischen Kriegsgebieten wie derzeit in Syrien oder in einer Stadt wie Aleppo, wo gezielt man dann an einer Straßenkreuzung unter Feuer genommen wird. Damit muss man rechnen. Man kann diesem Risiko im Grunde nicht aus dem Weg gehen, wenn man über die Situation vor Ort berichten will.
Grieß: Heißt das auch, dass die Journalisten – die gibt es ja auch -, die zu solchen Einsätzen schnell geschickt werden, diese sogenannten Hubschrauberpublizisten, die dann kommen, wenn die Gewalt ausbricht, aber vorher nicht lange Zeit in dem Land waren, dass die gefährdeter sind?
Durm: Das ist natürlich ein Risiko, so zu arbeiten, denn wissen Sie, in solchen Städten gibt es im Grunde einen Code des Verhaltens von Einheimischen im Umgang mit Ausländern, den man nur entschlüsseln kann, wenn man längere Zeit in dieser Region gearbeitet hat, wenn man sozusagen die unausgesprochenen, die kaum hörbaren, sichtbaren Signale verstehen und richtig deuten kann, und das ist schon eine gewisse Sicherheit. Aber ich denke, man muss sich auch darüber im Klaren sein, dass man jetzt auch in Kairo ganz gezielt als Ziel ausgeschrieben ist. Was in Kairo momentan geschieht, erinnert mich schon sehr an Verhaltensmuster aus dem Jahr 2011 der ägyptischen Revolution. Dort haben die staatlichen Medien, die sich als Sprachrohre des Regimes verstehen, ganz gezielt Hetze betrieben gegen ausländische Journalisten, haben sie diffamiert als Verschwörer, als Agenten des Westens, als Zionisten, und genau das gleiche geschieht auch jetzt wieder in Kairo. Es wird von staatlicher Seite, es wird von den Hofschranzen des jetzigen Militärregimes wieder ganz gezielt in ägyptischen Medien Stimmung gemacht gegen ausländische Journalisten. Das schafft eine sehr gefährliche und sehr angeheizte Atmosphäre, in der Journalisten nicht nur von Scharfschützen attackiert werden können, sondern auch von einer, in Aufruhr sich befindenden Bevölkerung, und das ist die eigentliche Gefahr, dass Journalisten ausgeschrieben werden als Ziele. Das ist in Syrien längst der Fall und es kommt auch immer wieder in Ägypten dazu, dass eine Stimmung entsteht, wo tagelang, wo wochenlang ausländische Journalisten urplötzlich zu Objekten des Hasses und der Hetze werden.
Grieß: Herr Durm, ganz viel Zeit haben wir leider nicht mehr. Aber kurz die Frage, Sie haben diese beiden Zeitpunkte angesprochen, 2011 und jetzt. Wie stark waren die Einschränkungen der Berichterstattung in der Zwischenzeit?
Durm: Ich denke, in der Zwischenzeit hat, solange Ägyptens Präsident Mursi – und das war ja nun mal nur ein knappes Jahr – an der Macht war, versucht, die ägyptische Medienlandschaft zu verändern. Er hat sich konzentriert vor allem auf die ägyptischen Medien. Die ausländischen Journalisten und Korrespondenten haben die Muslimbrüder eher in Ruhe gelassen. Aber es ist ihm nicht gelungen, den staatlichen Medienapparat, den alten staatlichen Apparat, das was man in der modernen Politiksprache den "deep state" nennt, das tiefe Wurzelwerk der Medien zu verändern, zu infiltrieren. Deswegen sitzen in den ägyptischen Medien immer noch die alten Leute des Mubarak-Regimes da und deswegen ist derzeit auch diese Hetze gegen ausländische Korrespondenten nach wie vor so virulent.
Grieß: Martin Durm, der langjährige Korrespondent im deutschen Hörfunk, der aus Kairo und der nahöstlichen Region berichtet hat. Danke für Ihre Einschätzungen heute Mittag.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Wir hier im ruhigen Mitteleuropa versuchen, uns ein Bild von der Lage in Ägypten zu machen, und das tun wir natürlich mithilfe unserer Korrespondenten, wie gerade eben mit Peter Steffe, mithilfe ihrer Analysen, aber natürlich auch mithilfe ihrer Mikrofonaufnahmen, ihrer Kameraaufnahmen, ihrer Fotos. Die können ja nur entstehen, wenn die Kollegen dicht dran sind am Geschehen. In Ägypten sind gestern mehrere Journalisten zwischen die Fronten geraten, drei von ihnen sind gestern ums Leben gekommen. – Am Telefon ist jetzt Martin Durm, der viele Jahre für die ARD aus dem Nahen Osten und auch aus Kairo berichtet hat. Zurzeit ist er in Deutschland. Guten Tag, Herr Durm.
Martin Durm: Guten Tag.
Grieß: Halten Sie es für verantwortlich, dass Journalisten gerade dann, wenn die Gewalt explodiert, so wie gestern in Ägypten, ganz dicht am Geschehen sein wollen, um die besten Fotos zu bekommen?
Durm: Ich glaube, dass es da nicht einfach nur um die besten oder spektakulärsten Fotos kommt. Der britische Kameramann, der gestern erschossen wurde, Mick Deane, 61 Jahre alt, hat ja nur gefilmt, wie dieses Protestcamp aufgelöst werden sollte. Er saß dann am Straßenrand, als er gezielt von einem Scharfschützen erschossen wurde. Das wirkt doch so, als sei da ein Kameramann ganz bewusst angegriffen und auch getötet worden, der seiner Arbeit nachging, und ich glaube, das ist es, was Journalisten nach wie vor in Kairo tun. Sie versuchen, sich ein authentisches Bild zu verschaffen. Natürlich kann man keinen, der momentan in Kairo ist, dazu verdonnern, dort zu sein, wo im Moment die Kugeln fliegen. Das wäre unverantwortlich. Es gibt auch das Recht auf Eigenschutz. Aber auf der anderen Seite sind auch Journalisten am Ort des Geschehens, um ein möglichst authentisches Bild zu liefern. Das ist es ja auch, was Sie erwarten.
Grieß: Ich habe es gerade gesagt: Sie selbst haben über lange Jahre aus der Region berichtet und zuletzt waren Sie in Syrien. Dort tobt ein heftiger, gewaltvoller Bürgerkrieg. Wie geht man als Reporter in einen solchen Tag, an dem man weiß, es könnte zu Gewalt kommen, ich bin mittendrin?
Durm: Man versucht, sich schon möglichst gut vorzubereiten, auch sich darüber im Klaren zu werden, wo man hingeht, was das für ein Ort ist. Besonders wichtig ist natürlich, dass man auch versucht, mit einem Einheimischen unterwegs zu sein, der die Gegend, der die Stadtteile besonders gut kennt, die Straßen, denn in solchen Situationen, in solchen Städten - und bestimmte Teile Kairos gehören mittlerweile ja dazu – herrschen nun mal Verhältnisse, die nicht berechenbar sind. Deswegen kommt es dann immer wieder zu Situationen, vor allem in klassischen Kriegsgebieten wie derzeit in Syrien oder in einer Stadt wie Aleppo, wo gezielt man dann an einer Straßenkreuzung unter Feuer genommen wird. Damit muss man rechnen. Man kann diesem Risiko im Grunde nicht aus dem Weg gehen, wenn man über die Situation vor Ort berichten will.
Grieß: Heißt das auch, dass die Journalisten – die gibt es ja auch -, die zu solchen Einsätzen schnell geschickt werden, diese sogenannten Hubschrauberpublizisten, die dann kommen, wenn die Gewalt ausbricht, aber vorher nicht lange Zeit in dem Land waren, dass die gefährdeter sind?
Durm: Das ist natürlich ein Risiko, so zu arbeiten, denn wissen Sie, in solchen Städten gibt es im Grunde einen Code des Verhaltens von Einheimischen im Umgang mit Ausländern, den man nur entschlüsseln kann, wenn man längere Zeit in dieser Region gearbeitet hat, wenn man sozusagen die unausgesprochenen, die kaum hörbaren, sichtbaren Signale verstehen und richtig deuten kann, und das ist schon eine gewisse Sicherheit. Aber ich denke, man muss sich auch darüber im Klaren sein, dass man jetzt auch in Kairo ganz gezielt als Ziel ausgeschrieben ist. Was in Kairo momentan geschieht, erinnert mich schon sehr an Verhaltensmuster aus dem Jahr 2011 der ägyptischen Revolution. Dort haben die staatlichen Medien, die sich als Sprachrohre des Regimes verstehen, ganz gezielt Hetze betrieben gegen ausländische Journalisten, haben sie diffamiert als Verschwörer, als Agenten des Westens, als Zionisten, und genau das gleiche geschieht auch jetzt wieder in Kairo. Es wird von staatlicher Seite, es wird von den Hofschranzen des jetzigen Militärregimes wieder ganz gezielt in ägyptischen Medien Stimmung gemacht gegen ausländische Journalisten. Das schafft eine sehr gefährliche und sehr angeheizte Atmosphäre, in der Journalisten nicht nur von Scharfschützen attackiert werden können, sondern auch von einer, in Aufruhr sich befindenden Bevölkerung, und das ist die eigentliche Gefahr, dass Journalisten ausgeschrieben werden als Ziele. Das ist in Syrien längst der Fall und es kommt auch immer wieder in Ägypten dazu, dass eine Stimmung entsteht, wo tagelang, wo wochenlang ausländische Journalisten urplötzlich zu Objekten des Hasses und der Hetze werden.
Grieß: Herr Durm, ganz viel Zeit haben wir leider nicht mehr. Aber kurz die Frage, Sie haben diese beiden Zeitpunkte angesprochen, 2011 und jetzt. Wie stark waren die Einschränkungen der Berichterstattung in der Zwischenzeit?
Durm: Ich denke, in der Zwischenzeit hat, solange Ägyptens Präsident Mursi – und das war ja nun mal nur ein knappes Jahr – an der Macht war, versucht, die ägyptische Medienlandschaft zu verändern. Er hat sich konzentriert vor allem auf die ägyptischen Medien. Die ausländischen Journalisten und Korrespondenten haben die Muslimbrüder eher in Ruhe gelassen. Aber es ist ihm nicht gelungen, den staatlichen Medienapparat, den alten staatlichen Apparat, das was man in der modernen Politiksprache den "deep state" nennt, das tiefe Wurzelwerk der Medien zu verändern, zu infiltrieren. Deswegen sitzen in den ägyptischen Medien immer noch die alten Leute des Mubarak-Regimes da und deswegen ist derzeit auch diese Hetze gegen ausländische Korrespondenten nach wie vor so virulent.
Grieß: Martin Durm, der langjährige Korrespondent im deutschen Hörfunk, der aus Kairo und der nahöstlichen Region berichtet hat. Danke für Ihre Einschätzungen heute Mittag.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.