"Ich hab' das Gefühl, ich kann gar nicht mehr schlucken." - "Eine Schluckstörung ist immer ein Symptom, also eine Begleiterscheinung bei einer Grunderkrankung."
Anders als bei häufig harmlosen Schluck-Beschwerden, die zum Beispiel bei einer Mandelentzündung auftreten, steckt hinter einer Schluck-Störung – medizinisch Dysphagie – meist ein ernsthaftes Problem. Mit Störungen der Stimme und des Schluckens befasst sich die Phoniatrie. Prof. Tadeus Nawka leitet eine entsprechende Abteilung an der Charité Berlin.
"Wir finden Schluckstörungen bei Erwachsenen vor allem bei Patienten mit Tumorerkrankungen der Mundhöhle, der Zunge, des Rachens und des Kehlkopfes, und neben den Tumorerkrankungen der Schlaganfall, und als weitere wichtige neurologische Erkrankung sind die Muskelerkrankungen da, es ist auch festzustellen, dass wir im Alter eine geringere Sensibilität haben, und dass diese Sensibilitätsstörung auch zu einer Alters-Schluckstörung führen kann."
Auch Kinder können betroffen sein
Aber auch Babys können schon an einer Dysphagie leiden, sagt Dr. Saskia Rohrbach, die an derselben Uniklinik eine Spezialambulanz für Kinder unter anderem mit Schluckstörungen leitet.
"Grundsätzlich ist es so, dass Schlucken und Saugen nicht erlernt werden müssen und im besten Fall bis wir sterben erhalten bleiben. Und wer nicht schlucken kann, ist automatisch sehr krank."
Häufig gilt das für sehr früh geborene Kinder, die noch nicht auf Schlucken "programmiert" sind. Außerdem können angeborene Muskelschwächen im Kopfbereich oder Sauerstoffmangel durch Geburtskomplikationen zu Schluckstörungen führen.
"Und von dieser Gruppe haben über 90 Prozent irgendwann mal eine Schluckstörung und manche sehr gravierend auch so ausgeprägt, dass sie sich nicht selbst über den Mund ernähren können oder ernähren lassen."
Anzeichen nicht verharmlosen
Die Spezialärztin warnt davor, Anzeichen für diese Krankheit bei Kindern zu verharmlosen.
"Obwohl ich grundsätzlich die Einstellung "jetzt warten wir erstmal ab und halten den Ball flach" gut finde, es kann ja auch einfach sein, dass ein Kind mal zahnt oder sonst eine Phase hat, wo es nicht so schnell zunimmt, aber wichtig ist, dass man bestimmte Warnsymptome durchaus ernst nimmt und das dann weiter verfolgt."
Diese Warnzeichen können geübte Augen leicht erkennen:
"Wenn die Kinder nicht richtig gedeihen, also Größe und Gewicht sich nicht entlang dieser vorgegebenen Kurven entwickeln. Oder wenn das Kind immer wieder erbricht, ohne dass es jetzt einen Magen-Darm-Infekt hat, oder immer wiederkehrende Lungenentzündungen zum Beispiel hat, Zeichen von Sodbrennen zeigt, dann sollte ein Kinderarzt aktiv werden und auch Fachleute hinzuziehen."
Diese Fachleute können die Krankheit meist schon mithilfe einer recht einfachen Untersuchung feststellen:
"Funktionelle Schluckuntersuchungen dauern ungefähr zwei bis drei Minuten, das Ganze wird auf Video aufgenommen, und wir können tatsächlich sehen: Läuft das schief oder läuft das richtig? Bleibt es irgendwo hängen, können bestimmte Konsistenzen besonders gut oder gar nicht geschluckt werden, und das lässt sich tatsächlich dann auch für die Eltern noch mal visualisieren, weil man eben doch auch Angst hat, dass ein Kind künstlich ernährt werden müsste."
Deshalb gibt es Eltern, die eine solche Untersuchung scheuen. Doch die künstliche Ernährung lässt sich oft vermeiden. In manchen Fällen helfen kleine Eingriffe, etwa bei zu großen Rachenmandeln, die operativ verkleinert werden können. In anderen Fällen können kleine Umstellungen der Ernährung helfen. Und nützlich ist es, Logopäden hinzuzuziehen, also Sprechtrainer, zu deren Aufgaben auch die Behandlung von Problemen beim Schlucken gehört. Das gilt auch für Erwachsene mit Dysphagie, betont Prof. Tadeus Nawka:
"Es gibt ganz bestimmte Manöver, die dann die Logopäden mit den Patienten zusammen einüben, ausgehend von dem was noch geht: Also kann der Patient zum Beispiel seine Lippen schließen, kann er seine Zunge richtig bewegen, kann er vielleicht Speisen, die er sonst nicht runter bekommt, mit Druck nach hinten befördern, und dafür ist dann die logopädische Schlucktherapie indiziert, und das ist ein langer Prozess."
In nicht wenigen Fällen ist aber ein chirurgischer Eingriff unvermeidlich:
"Wenn wir zum Beispiel Tumore haben, die die Speiseröhre blockieren; was wir operativ nicht können: Die Wiederherstellung von Bewegungen durch Innervationsschäden oder durch Muskelschäden, solche Bewegungen, die bei der Koordination nötig sind. Aber wir können die Passage korrigieren, wenn zum Beispiel Vernarbungen die Speiseröhre verengen und wir können auch, wenn sich der Kehlkopf nicht ausreichend schließt, die Abdichtung beim Schlucken im Kehlkopf verbessern",
solche und ähnliche Operationen helfen selbstverständlich nur gegen Dysphagien, hinter denen organische Ursachen stecken.
Auch die Psyche spielt eine Rolle
Es gibt durchaus auch Schluckstörungen aufgrund psychischer Probleme, weiß der Berliner Spezialist Professor Nawka:
"Das ist so, dass man das Gefühl hat, man könnte nicht schlucken, wenn man aber tatsächlich etwas essen sollte, dann klappt es meistens, aber die Patienten haben oft gerade in den Phasen, wo sie nicht essen, das Gefühl, dass irgendwas im Hals stecken geblieben ist und sie bekommen es nicht runter. Ich glaube, die psychogenen Schluckstörungen haben irgendetwas zu tun mit Angstgefühlen, dass irgendjemand in der Verwandtschaft Krebs hatte, und diese Angst baut sich jetzt bei dem Patienten auf, und er sagt: 'Da muss was sein, ich spüre das doch, und Sie müssen das doch finden.'
Ähnliche seelisch bedingte Schluckbeschwerden gibt es auch schon bei ganz jungen Menschen, erzählt Dr. Saskia Rohrbach:
"Und zwar sind das die Kinder, die in ihrer Säuglingsphase nicht besonders viel gute Erfahrungen über den Mund gemacht haben. Die beatmet werden mussten, die über Sonden ernährt werden mussten, wo die Krankenschwestern regelmäßig abgesaugt haben, das sind typische Situationen, die die Mütter dann beschreiben, "ja mein Kind ist ein ehemaliges Frühgeborenes, ich laufe drei Stunden mit dem Löffel durch die Wohnung hinter diesem Kind her", und diese Kinder haben häufig gar keine eigentliche Schluckstörung, sondern wir nennen das dann Fütter- oder Interaktionsstörungen."