Tobias Armbrüster: Es ist seit Wochen ein riesen Thema überall im Land: Elektro-Roller, E-Scooter, und die Frage, wo sie fahren dürfen. Fest steht: Die Bundesregierung, allen voran Verkehrsminister Andreas Scheuer von der CSU, will, dass Elektro-Roller schon bald bundesweit im Straßenverkehr zugelassen werden dürfen, als gleichberechtigtes Verkehrsmittel so wie Auto und Fahrrad auch. Aber der Bund kann das natürlich nicht allein entscheiden; auch die Länder müssen mitziehen. Deshalb heute nun die entscheidende Abstimmung im Bundesrat, in der Länderkammer.
Das ganze Thema E-Roller, E-Scooter und ihre Zulassung im Straßenverkehr, das wirft natürlich eine Menge Fragen auf. Am Telefon hier bei uns im Deutschlandfunk ist jetzt der Verkehrsexperte und Mobilitätsforscher Stephan Rammler. Unter anderem ist er Wissenschaftlicher Direktor am Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung in Berlin. Schönen guten Tag, Herr Rammler.
Stephan Rammler: Hallo, Herr Armbrüster.
Armbrüster: Können wir uns in den kommenden Monaten auf eine Revolution im Straßenverkehr in Deutschland einstellen?
Rammler: Nein, keine Revolution, aber wahrscheinlich ein großes Hauen und Stechen und noch mehr von diesen unerträglichen, eigentlich unsinnigen Debatten an den falschen Enden. Das ist wieder wie so vieles, was in den letzten Monaten und Jahren aus dem Verkehrsministerium kommt – eine Sache, die nicht Hand und Fuß hat. Im Grunde genommen ist der Elektro-Roller und alles darum herum, was wir als Mikro-Mobilität bezeichnen, eine wunderbare Idee, aber diese Art und Weise, wie diese Technologie nun in den Markt eingeführt wird, unter absoluter Ignoranz der realen Verhältnisse auf den Straßen, und ich kann nicht sehen, dass das Ministerium irgendwelche Vorschläge gemacht hätte, wie man denn in Zukunft den öffentlichen Raum, den Straßenraum, die Verteilung der Ressourcen zwischen den Verkehrsträgern anders gestalten möchte. Solange da alles so bleibt wie es ist, ist das eine Variante, die nur dazu geneigt ist, noch mehr Konflikte in die ohnehin schon sehr konfliktreiche Verkehrskultur auf deutschen Straßen und Fußwegen zu bringen.
"Radwege wirklich sträflich vernachlässigt worden"
Armbrüster: Das müssen Sie uns etwas genauer erklären, Herr Rammler. Was meinen Sie, was läuft da falsch?
Rammler: Das haben wir im Grunde alles schon gehört, die Argumente. Wir haben eine Aufteilung, die stammt aus den letzten 60 Jahren Verkehrspolitik. Das ist eine autogerechte Gesellschaft und autogerechte Städte, die wir gebaut haben. Damals war das ja auch noch eine gute Idee. Damals hatten wir die Probleme und Zuspitzungen zum Beispiel mit Blick auf Klimawandel und Nachhaltigkeit in dem Maße nicht. Jetzt ist die Welt so, wie sie ist. Die Autos nehmen im ruhenden wie im fließenden Verkehr den Hauptteil der öffentlichen Flächen in den Städten ein, und es stimmt natürlich: die Fußgeher haben einen ganz kleinen Bereich und die Radfahrer – da hat der ADFC sehr recht – kranken daran und laborieren daran, dass die Radwege wirklich sträflich vernachlässigt worden sind in den letzten Jahren. Wenn Sie da jetzt noch eine weitere Verkehrstechnik, die im Grunde genommen ja eine tolle Idee ist mit Blick auf eine postfossile Mobilität und die Integration der Verkehrsträger in den urbanen Regionen, reinschütten, unreguliert, dann kann das eigentlich nur im Chaos enden – es sei denn, man sagt, wir schaffen jetzt Raum für diese Roller, nicht auf den Fußwegen, nicht auf den Radwegen, sondern wir schaffen für all diese Varianten mehr Raum. Dann kann ich mir eigentlich nur vorstellen, dass das in deutschen Städten so geht oder gehen müsste, dass man dem Straßenraum und dem Autoverkehr etwas wegnimmt.
Armbrüster: Das heißt, wir müssen jetzt erst mal noch ein, zwei, drei, vielleicht auch noch mehr Jahre umbauen im Straßenverkehr, und dann könnten wir noch mal über E-Scooter reden?
Rammler: Eine richtige Variante wäre tatsächlich gewesen, wir teilen den öffentlichen Raum, den Straßenraum anders auf. Ich glaube nicht, dass man das nur mit langjährigen Umbauten macht. Das kann auch schneller gehen. Jede Stadt ist da ein Stück weit anders. Man darf da auch nicht unzulässig verallgemeinern. Aber ich glaube, das kann schneller gehen. Und wenn man den Raum geschaffen hat, dann wäre das wahrscheinlich der richtige Weg, erst dann das zuzulassen, anders zu regulieren. Dann können die auch schneller fahren, dann kann man auch mit Helm schneller fahren und so weiter und so fort. Aber unter den jetzigen Bedingungen – ich selber habe drei Kinder, die nutzen solche Roller, nicht mit Elektromotor. Wir sehen, wie schwierig das ist, ohnehin schon Rad zu fahren.
Die Städte haben ein weiteres großes Problem. Sie müssen mit Blick auf das Dieselthema, die Emissionslage vor Ort und auch die Klimapläne in Bezug auf Mobilität den Radverkehr sehr fördern. Jetzt haben wir eine Thematik: Der Radverkehr hat ohnehin schon recht schlechte Rahmenbedingungen. Die haben wir gerade angesprochen. Und jetzt kommt noch eine neue Technik dazu. Das kann nur in jeder Hinsicht zu neuen Konflikten führen, wenn man nicht bereit ist, mutig zu sein und zu sagen, wir nehmen dem Autoverkehr ein Stück von seinem Raum weg.
"Gesamtsystem der urbanen Mobilität verbessern"
Armbrüster: Könnte es denn nicht sein, dass die Autofahrer von sich aus Platz machen, dass einfach viele Autofahrer sagen, wenn wir jetzt die E-Scooter haben, dann kann ich das Auto eigentlich in der Garage lassen, dann bin ich in der Stadt mit dem Roller unterwegs?
Rammler: Das ist ein Stück weit eine verkürzte Debatte, die wir da führen. Der direkte Vergleich ist eigentlich nicht zulässig. Wir werden kaum Situationen haben, wo jemand, der morgens von A nach B in einer Stadt XY fährt mit dem Auto wahrscheinlich unmittelbar als Alternative den Roller nutzt und genauso schnell und konvenient und nutzerfreundlich mit dem Roller von A nach B kommt und deswegen das Auto abschafft.
Die Logik ist eine andere. Das ist so zu verstehen, dass die Mikro-Mobilität – und davon sind die kleinen Elektro-Roller ein Teil – in Zukunft einen großen Vorteil bei dem haben, was die Wissenschaftler die erste und letzte Meile nennen. Wenn wir weg kommen wollen vom Auto in Städten und hin zum öffentlichen Verkehr, dann ist die Strategie, die oft genug jetzt vorgeschlagen wird, die Integration der Verkehrsträger, die vernetzte Mobilität, die nahtlose Mobilität. Ein Hindernis ist da oft genug der Weg zur S-Bahn, zur U-Bahn, zur Straßenbahn, der vielleicht zwei, drei Kilometer ist, und den fahren viele entweder mit dem Auto, oder fahren gleich den ganzen Weg mit dem Auto. Jetzt wird viel darüber nachgedacht, wie man diese erste und letzte Meile entweder mit Ride Sharing Kleinbussen oder mit Ride Sharing Angeboten, die dann neu entstehen, Autoteil-, Mitfahrzentralen, darstellt, aber auch mit dem Radverkehr und auch mit den Elektro-Rollern diese erste und letzte Meile darstellen kann. Im Gesamtsystem können sie einen wichtigen Beitrag leisten, aber im direkten Vergleich wahrscheinlich weniger. Deswegen gilt es nämlich für Städte, nicht nur Mikro-Mobilität und Elektro-Roller zu fördern, sondern das Gesamtsystem der urbanen Mobilität zu verbessern, und dann kann es tatsächlich passieren, dass Menschen das Auto stehen lassen. Na klar!
"Wir können nicht alles gleichzeitig lösen"
Armbrüster: Herr Rammler, wenn ich Sie jetzt richtig verstanden habe, dann haben Sie gesagt, den Autofahrern sollte ein Teil ihres Platzes im Straßenverkehr weggenommen werden. Ich nehme mal an, das würde heißen, man nimmt auf vielen Straßen vielleicht eine Spur oder einen Teil einer Spur weg und erklärt die zu einem weiteren Weg für zum Beispiel Radfahrer oder auch für E-Scooter. Hat das nicht einen massiven Streit, massive Konflikte zur Folge, weil viele Städte ja ohnehin jetzt schon unter einem absoluten Verkehrskollaps leiden?
Rammler: Ja. Ich erneuere noch mal die Argumentation. Wir können nicht alles gleichzeitig lösen und wir müssen uns überlegen, welche Prioritäten wir setzen. Wenn wir tatsächlich die Frage der Lebensqualität in den Städten, der enormen Verdichtung, der wachsenden Mobilitätsbedarfe und des Klimawandels ernst nehmen und sagen, das ist ein wirklich großes Problem, was wir lösen wollen, dann müssen wir tatsächlich auch Dinge verändern. Dann können wir nicht weiter mit Autos fahren, dann können wir nicht weiter Emissionen erzeugen in Städten.
Ich will hier nur die Inkonsistenz der Ziele gerade deutlich machen, unabhängig jetzt davon, was meine Meinung ist. Aber wenn man mehr Nachhaltigkeit, mehr Lebensqualität in Städten haben will, dann ist es im 21.Jahrhundert keine gute Idee, mit diesen riesigen Fahrzeugen mit fossilen Antrieben, in denen meistens nur eine Person sitzt, reinzufahren. Das heißt, wir müssen erst mal die Angebotsqualität der Alternativen besser machen, um überhaupt die Chance zu bieten, dass Menschen das Auto stehen lassen können. Das ist in Städten eher der Fall als auf dem Land. Deswegen wird es auf dem Land andere Wege brauchen und länger brauchen. Wenn wir diese Angebotsalternativen, den verbesserten ÖV, die Autobausteine über solche Firmen wie Moja oder Movy, Ride Sharing, Car Sharing, Fahrradwege ausbauen, Fahrrad-Abstellflächen, sichere Abstellmöglichkeiten schaffen und dann noch die Mikro-Mobilität dazu packen, die kleinen Elektro-Roller, dann brauchen wir neue Infrastrukturen. Dann brauchen wir eine neue Aufteilung des öffentlichen Raums. Das ist eine logische Konsequenz. Ich will hier nur auf die Inkonsistenz der Ziele hinweisen. Wir kriegen nicht alles; wir müssen irgendwann auch sagen, wasch mich, aber mach mich nicht nass, das funktioniert nicht. Jeder wird seinen Teil dazu beitragen müssen.
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