"Ich habe nichts gegen Vorbilder, etwa in pädagogischen Zusammenhängen halte ich Vorbilder für unverzichtbar und wichtig, etwa die Vorbildfunktion der Eltern oder der Lehrer, habe aber Bedenken gegenüber der Allgegenwärtigkeit der Rede von Menschenbildern, weil Menschenbilder etwas sind, was im Plural auftaucht, und immer Menschenbild gegen Menschenbild gestellt wird - und da besteht die Gefahr, dass wir Menschenbilder als etwas Festgezurrtes ansehen, was uns Vorgaben macht, aber eben im Unterschied zu dem, was andere als Menschenbilder haben, und ich glaube deshalb ist es richtig - nicht überall - aber in moralphilosophischen Kontexten die Redeweise von Menschenbildern sehr kritisch zu hinterfragen."
Christian Thies, stellvertretender Direktor des Forschungsinstituts für Philosophie in Hannover eröffnete die Tagung überraschend mit einer Absage an Menschenbilder. Sie taugten, erklärte er in seinem Vortrag, bestenfalls als Hilfsmittel für Pädagogik, aber nicht für ethische Begründungen mit universellem Anspruch. Bilder seien zu partikular, zu suggestiv und nicht vor Missbrauch gefeit. Soll man sich also kein Bildnis machen?
Andere Referenten insistierten darauf, dass wir Menschen Bilder brauchen, um unsere Existenz zu verstehen und uns zu orientieren. Es gibt sie in allen Religionen und Kulturen.
Radu Preda, Sozialtheologe aus Rumänien, der auch längere Zeit in Deutschland lebte, skizzierte das Menschenbild der orthodoxen Theologie:
"Die zentrale Lehre der orthodoxen Kirche diesbezüglich lässt sich zusammenfassen in diesem zentralen Begriff der theosis, der Gottwerdung, nicht in dem Sinne, dass der Mensch berufen sei, Gott zu entthronen, oder mit Gott in einen Kampf einzutreten, sondern soweit wie möglich die göttlichen Züge anzunehmen, nicht allein die Sündenlosigkeit, sondern auch die Gemeinschaft, die wir bildlich in der Dreifaltigkeit sehen, auch im menschlichen Miteinander zu verwirklichen, auch in Bezug mit den anderen deren Gottesebenbildlichkeit anzuerkennen, und dadurch den anderen nicht als Feind anzusehen, auch wenn er kein Christ oder Europäer ist."
Die christliche Vorstellung von der Ebenbildlichkeit Gottes als Wesen und als Bestimmung des Menschen hat in Europa die neuzeitliche Vorstellung von der Würde der Person und der Freiheit des Individuums grundgelegt, die die Aufklärung im Westen weiterentwickelte.
Preda: "Im Osten hat man bekanntlich die Erfahrung der Aufklärung nicht gemacht und auch die Frage des Subjekts hat man nicht so eindringlich formuliert wie im Westen, und deswegen hat man auch im Osten die ganze politische Philosophie und philosophische Anthropologie der Menschenrechte nicht so als etwas rein Gutes rezipiert, sondern auch als einen Angriff auf die eigenen Werte, auf das eigene Menschenbild. Jetzt hat sich die Lage verändert, langsam, nicht zuletzt nach dem Fall des Kommunismus, aber es besteht immer noch der Unterschied, einer Gesellschaft im Osten, die eher auf die Familie, auf die Gemeinschaft Wert legt, als dass der Fall im Westen ist, wo die Person, das Individuum eher im Zentrum aller Dinge steht."
Die graduellen Unterschiede im Menschenbild zwischen Ost und West - mehr Individualismus hier, mehr soziale Orientierung dort - sind keine bloß theoretischen Konstrukte, sie werden vielmehr praktiziert und lassen sich im Gemeindeleben beobachten, auch wenn die Idee der Gemeinschaft durch die kommunistische Herrschaft diskreditiert worden ist.
Nach der Diskussion über das christliche Menschenbild in Ost und West befragte die Tagung das Thema von einer anderen Seite her: Gibt es eigentlich einen Zusammenhang zwischen dem Menschenbild und den Menschenrechten?
"Wenn man vom Menschenbild der Menschenrechte spricht, darf man nicht von vornherein ein christliches Menschenbild supponieren, denn das würde bedeuten, wir beschränken die Gültigkeit der Menschenrechte von vornherein auf einen kulturellen Raum, der vom Christentum geprägt ist, das wäre natürlich zu wenig, widerspräche auch der Idee der Menschenrechte."
Manfred Brocker, der Philosophie und politische Theorie an der katholischen Universität Eichstätt lehrt, startete einen interessanten Versuch. Lässt sich, so fragte er in seinem Referat, aus einer Analyse der Menschenrechte ein Bild des Menschen gewinnen, das auf universelle Zustimmung hoffen könnte. Brocker unternahm einen Durchgang durch die geschichtliche Entwicklung der Menschenrechte, angefangen bei den Freiheitsrechten des Individuums, - Leben, körperliche Unversehrtheit und Eigentum, über die Partizipationsrechte am politischen Geschehen - insbesondere das Wahlrecht, bis hin zu modernen Anspruchsrechten auf Arbeit oder eine intakte Umwelt, die weiterhin umstritten sind. Dabei wurde deutlich, dass es sich bei den Menschenrechten nicht um eine einheitliche philosophische Konzeption handelt, sondern um einen langwierigen politischen Entstehungsprozess, dessen Elemente sich nicht einfach zu einem widerspruchsfreien Ganzen zusammenfügen.
Manfred Brocker: "Man kann versuchen aus diesen verschiedenen Schichten der Entwicklung des Menschenrechtsdenkens so etwas wie ein gemeinsames Menschenbild herauszudestillieren, es ist schwierig, weil es historisch und kulturell variiert, was jeweils im Hintergrund gestanden hat, aber es lässt sich doch so viel sagen, dass der Mensch als Mängel- und Bedürfniswesen gesehen wird, ein Wesen, das in seiner existentiellen Grundlage gesichert werden muss; dass der Mensch viel stärker als anfangs als soziales Wesen gesehen wird, eingebunden in Traditionen, Kulturen, Kontexte, zu denen der Mensch sich reaktiv und aktiv verhalten kann, die ihn aber doch prägen, die deshalb auch geschützt werden müssen; und es lässt sich sehen, dass der Mensch als Sinn suchendes Wesen gesehen wird, der Fragen stellt und Antworten sucht, und auf solche Antworten dann individuelle oder auch soziale, kollektive Lebenspläne entwickelt - alles das muss eine Rechtsordnung schützen."
Manfred Brocker warnte vor einer vorschnellen Universalisierung seines Destillats, verwies zum Beispiel auf afrikanische Menschenrechtserklärungen, in denen anders als im Westen ausdrücklich Kollektiven, ja sogar Staaten ein Recht auf Entwicklung zugesprochen wird.
Nur am Rande beleuchte die Tagung das Umfeld der Gentechnologie, wo die traditionelle theologische Vorstellung von der Gottesebenbildlichkeit und vom Neuen Menschen wiederkehrt, freilich in einer verkappten und äußerst problematischen Gestalt.
Christian Thies: "Man kann da kein Pauschalurteil fällen, aber man kann doch seine Analyse machen, dass in vielen Bereichen, wo es um technische Anwendung neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse geht, offensichtlich ein unreflektiertes implizites Menschenbild eine Rolle spielt, dass der Mensch ein unvollkommenes Wesen ist, was vollkommen werden muss. Das ist in einer andern Sprache die Vision einen Neuen Menschen. Und solche Vorstellungen können gefährlich sein, denn sie richten sich gegen die bestehenden Menschen, die eben nicht den Kriterien des Neuen Menschen entsprechen.- es gibt viele Gründe die Medizin voranzutreiben, auch im Bereich der Gentechnik zu forschen, aber es gibt auch überschießende Visionen wie die Idee, dass wir uns vergöttlichen sollen, ohne dass die Idee Gottes selber - als etwas was vom Menschen unterschieden ist - dahinter steht. Gott werden ohne Gott, Vergöttlichung des Menschen ohne Gott."
Christian Thies, stellvertretender Direktor des Forschungsinstituts für Philosophie in Hannover eröffnete die Tagung überraschend mit einer Absage an Menschenbilder. Sie taugten, erklärte er in seinem Vortrag, bestenfalls als Hilfsmittel für Pädagogik, aber nicht für ethische Begründungen mit universellem Anspruch. Bilder seien zu partikular, zu suggestiv und nicht vor Missbrauch gefeit. Soll man sich also kein Bildnis machen?
Andere Referenten insistierten darauf, dass wir Menschen Bilder brauchen, um unsere Existenz zu verstehen und uns zu orientieren. Es gibt sie in allen Religionen und Kulturen.
Radu Preda, Sozialtheologe aus Rumänien, der auch längere Zeit in Deutschland lebte, skizzierte das Menschenbild der orthodoxen Theologie:
"Die zentrale Lehre der orthodoxen Kirche diesbezüglich lässt sich zusammenfassen in diesem zentralen Begriff der theosis, der Gottwerdung, nicht in dem Sinne, dass der Mensch berufen sei, Gott zu entthronen, oder mit Gott in einen Kampf einzutreten, sondern soweit wie möglich die göttlichen Züge anzunehmen, nicht allein die Sündenlosigkeit, sondern auch die Gemeinschaft, die wir bildlich in der Dreifaltigkeit sehen, auch im menschlichen Miteinander zu verwirklichen, auch in Bezug mit den anderen deren Gottesebenbildlichkeit anzuerkennen, und dadurch den anderen nicht als Feind anzusehen, auch wenn er kein Christ oder Europäer ist."
Die christliche Vorstellung von der Ebenbildlichkeit Gottes als Wesen und als Bestimmung des Menschen hat in Europa die neuzeitliche Vorstellung von der Würde der Person und der Freiheit des Individuums grundgelegt, die die Aufklärung im Westen weiterentwickelte.
Preda: "Im Osten hat man bekanntlich die Erfahrung der Aufklärung nicht gemacht und auch die Frage des Subjekts hat man nicht so eindringlich formuliert wie im Westen, und deswegen hat man auch im Osten die ganze politische Philosophie und philosophische Anthropologie der Menschenrechte nicht so als etwas rein Gutes rezipiert, sondern auch als einen Angriff auf die eigenen Werte, auf das eigene Menschenbild. Jetzt hat sich die Lage verändert, langsam, nicht zuletzt nach dem Fall des Kommunismus, aber es besteht immer noch der Unterschied, einer Gesellschaft im Osten, die eher auf die Familie, auf die Gemeinschaft Wert legt, als dass der Fall im Westen ist, wo die Person, das Individuum eher im Zentrum aller Dinge steht."
Die graduellen Unterschiede im Menschenbild zwischen Ost und West - mehr Individualismus hier, mehr soziale Orientierung dort - sind keine bloß theoretischen Konstrukte, sie werden vielmehr praktiziert und lassen sich im Gemeindeleben beobachten, auch wenn die Idee der Gemeinschaft durch die kommunistische Herrschaft diskreditiert worden ist.
Nach der Diskussion über das christliche Menschenbild in Ost und West befragte die Tagung das Thema von einer anderen Seite her: Gibt es eigentlich einen Zusammenhang zwischen dem Menschenbild und den Menschenrechten?
"Wenn man vom Menschenbild der Menschenrechte spricht, darf man nicht von vornherein ein christliches Menschenbild supponieren, denn das würde bedeuten, wir beschränken die Gültigkeit der Menschenrechte von vornherein auf einen kulturellen Raum, der vom Christentum geprägt ist, das wäre natürlich zu wenig, widerspräche auch der Idee der Menschenrechte."
Manfred Brocker, der Philosophie und politische Theorie an der katholischen Universität Eichstätt lehrt, startete einen interessanten Versuch. Lässt sich, so fragte er in seinem Referat, aus einer Analyse der Menschenrechte ein Bild des Menschen gewinnen, das auf universelle Zustimmung hoffen könnte. Brocker unternahm einen Durchgang durch die geschichtliche Entwicklung der Menschenrechte, angefangen bei den Freiheitsrechten des Individuums, - Leben, körperliche Unversehrtheit und Eigentum, über die Partizipationsrechte am politischen Geschehen - insbesondere das Wahlrecht, bis hin zu modernen Anspruchsrechten auf Arbeit oder eine intakte Umwelt, die weiterhin umstritten sind. Dabei wurde deutlich, dass es sich bei den Menschenrechten nicht um eine einheitliche philosophische Konzeption handelt, sondern um einen langwierigen politischen Entstehungsprozess, dessen Elemente sich nicht einfach zu einem widerspruchsfreien Ganzen zusammenfügen.
Manfred Brocker: "Man kann versuchen aus diesen verschiedenen Schichten der Entwicklung des Menschenrechtsdenkens so etwas wie ein gemeinsames Menschenbild herauszudestillieren, es ist schwierig, weil es historisch und kulturell variiert, was jeweils im Hintergrund gestanden hat, aber es lässt sich doch so viel sagen, dass der Mensch als Mängel- und Bedürfniswesen gesehen wird, ein Wesen, das in seiner existentiellen Grundlage gesichert werden muss; dass der Mensch viel stärker als anfangs als soziales Wesen gesehen wird, eingebunden in Traditionen, Kulturen, Kontexte, zu denen der Mensch sich reaktiv und aktiv verhalten kann, die ihn aber doch prägen, die deshalb auch geschützt werden müssen; und es lässt sich sehen, dass der Mensch als Sinn suchendes Wesen gesehen wird, der Fragen stellt und Antworten sucht, und auf solche Antworten dann individuelle oder auch soziale, kollektive Lebenspläne entwickelt - alles das muss eine Rechtsordnung schützen."
Manfred Brocker warnte vor einer vorschnellen Universalisierung seines Destillats, verwies zum Beispiel auf afrikanische Menschenrechtserklärungen, in denen anders als im Westen ausdrücklich Kollektiven, ja sogar Staaten ein Recht auf Entwicklung zugesprochen wird.
Nur am Rande beleuchte die Tagung das Umfeld der Gentechnologie, wo die traditionelle theologische Vorstellung von der Gottesebenbildlichkeit und vom Neuen Menschen wiederkehrt, freilich in einer verkappten und äußerst problematischen Gestalt.
Christian Thies: "Man kann da kein Pauschalurteil fällen, aber man kann doch seine Analyse machen, dass in vielen Bereichen, wo es um technische Anwendung neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse geht, offensichtlich ein unreflektiertes implizites Menschenbild eine Rolle spielt, dass der Mensch ein unvollkommenes Wesen ist, was vollkommen werden muss. Das ist in einer andern Sprache die Vision einen Neuen Menschen. Und solche Vorstellungen können gefährlich sein, denn sie richten sich gegen die bestehenden Menschen, die eben nicht den Kriterien des Neuen Menschen entsprechen.- es gibt viele Gründe die Medizin voranzutreiben, auch im Bereich der Gentechnik zu forschen, aber es gibt auch überschießende Visionen wie die Idee, dass wir uns vergöttlichen sollen, ohne dass die Idee Gottes selber - als etwas was vom Menschen unterschieden ist - dahinter steht. Gott werden ohne Gott, Vergöttlichung des Menschen ohne Gott."