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Ebola-Berichterstattung
"Die üblichen Klischees von Afrika"

Durch die Ebola-Berichterstattung wird das überzeichnete Bild von Afrika als Krisenkontinent gestärkt - das sagte Annette Lohmann, Vertreterin der Friedrich-Ebert-Stiftung im Senegal, im Deutschlandfunk. Neben der akuten Krisenberichterstattung müssten die Medien stärker die strukturellen Ursachen analysieren.

Annette Lohmann im Gespräch mit Tobias Armbrüster |
    Ein afrikanischer Arzt hilft seinem Kollegen, dessen Atemschutzmaske anzupassen.
    Ein Bild, das in westlichen Medien selten vorkommt: afrikanische Ärzte, die unter schwierigen Bedingungen für ihre Patienten kämpfen. (AFP / Sia Kambou)
    So seien die Gesundheitssysteme in den betroffenen Staaten Westafrikas marode und funktionierten auch in guten Zeiten nicht ausreichend. Zudem seien sie so teuer, dass sich viele Menschen keine Behandlung leisten könnten.
    In der Berichterstattung komme kaum vor, wie viele afrikanische Ärzte um das Leben von Patienten kämpften, wie sie versuchten, "teils ohne Bezahlung und ohne adäquate Ausstattung, Patienten zu retten". Die aktuellen Bilder verstärkten eines der üblichen Klischees von Afrika als Krisenherd. Der gesamte Kontinent aus 54 sehr unterschiedlichen Staaten werde auf eine Opferrolle reduziert, als Empfänger von Hilfe. "Diese Passivität entspricht nicht der Realität", meinte Lohmann.
    Sie erwartet, dass sich die aktuelle Ebola-Krise noch sehr lange auswirken werde. Viele Länder in der Region seien mittelbar von Ebola betroffen: Etwa, weil keine Touristen mehr in Länder kämen, die davon abhängig seien. "Das wird sicherlich noch eine Weile vorhalten, dieses negative Image."

    Das Interview in voller Länge:
    Tobias Armbrüster: China ist seit einigen Jahren einer der größten Investoren auf dem afrikanischen Kontinent. Chinesische Unternehmen sind vor allem interessiert an den riesigen Rohstoffvorkommen dort. Aber zahlreiche Staaten in Afrika kämpfen in diesen Wochen mit etwas ganz anderem, nämlich mit dem Ebola-Virus. Fast zehntausend Menschen sind mittlerweile infiziert, rund 5000 sind dem Virus bereits zum Opfer gefallen. Aktuelle Zahlen sind das von der Weltgesundheitsorganisation. Aber was macht nun China, dieser große Player auf dem afrikanischen Kontinent, in diesem Kampf?
    Über die Ebola-Epidemie und wie sie sich in Afrika ausbreitet, darüber wird seit Monaten berichtet. Gezeigt werden dabei eigentlich immer wieder die gleichen Bilder und es geht immer wieder um ganz ähnliche Informationen. Da sind Afrikaner, die von schwerer Krankheit gezeichnet sind, weiße Mediziner, die Krankenstationen aufbauen und darin Einheimische untersuchen, und wir sehen Menschen in Schutzanzügen, die durch Slums und ärmliche Hüttensiedlungen laufen. Was bewirken diese Bilder eigentlich? Wie prägen sie unser Bild von den Staaten Afrikas? Darüber machen sich in diesen Tagen nicht nur Medienwissenschaftler so ihre Gedanken, sondern auch Politiker und politische Beobachter, die jeden Tag mit den Problemen dieses Kontinents zu tun haben. Zu denen gehört auch Annette Lohmann. Sie leitet das Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung in Senegal. Und ich habe gestern Abend mit ihr gesprochen und sie gefragt, was sie von der Ebola-Berichterstattung aus Afrika hält.
    Annette Lohmann: Im Vordergrund steht die akute Krisenberichterstattung. Das ist auch nachvollziehbar. Ich finde es allerdings bedauerlich, dass es einen Mangel an der Analyse der strukturellen Ursachen, der Gründe der Defizite gibt. Denn wenn man über die Bekämpfung von Ebola und auch anderen Krankheiten sprechen möchte, dann muss man auch sich strukturelle Faktoren anschauen und über langfristige Strategien sprechen.
    Armbrüster: Was sind das für strukturelle Faktoren, die Sie da vermissen?
    Lohmann: In erster Linie Gesundheitssysteme, die marode sind, die nicht in der Lage sind, angemessen zu funktionieren, die auch in "guten Zeiten" nicht ausreichend funktionieren, die nicht genügend Kapazitäten bereitstellen, Krankheitssysteme, die zu teuer sind, wo sich nicht alle Menschen eine Behandlung leisten können. Das sind ganz wichtige Faktoren, worauf man künftig noch stärker ein Augenmerk legen muss.
    Armbrüster: Und stattdessen worüber wird berichtet?
    Lohmann: Das, was Sie in der Anmoderation erwähnt haben: natürlich nachvollziebarerweise die akuten Krisen, die auch sehr schlimm sind. In den drei am hauptsächlichsten betroffenen Ländern ist das sicherlich so. Aber vielleicht auch noch der Hinweis, dass es sehr viele afrikanische Ärzte gibt, die im Moment in Liberia, in Sierra Leone, in Guinea um das Leben vieler Patienten kämpfen, und dass es auch nicht nur die weißen Helfer sind, sondern einheimische Ärzte, die unter sehr schwierigen Bedingungen, zum Teil ohne Bezahlung, zum Teil ohne adäquate Ausrüstung ihr Leben aufs Spiel setzen, um zu versuchen, doch noch ein paar Menschen mehr zu retten.
    Überzeichnete Bilder: Afrika als Krisen- und Chancenkontinent
    Armbrüster: Wie sehr passen diese Bilder und Informationen, die wir über Ebola bekommen, denn in die üblichen Klischees, die wir von Afrika haben?
    Lohmann: Bedauerlicherweise verstärken diese Bilder das übliche Klischee. Eines der üblichen Klischees, das ist Afrika der Krisenkontinent, geprägt von Krankheiten, Konflikten und Krisen. Leider passt es da genau hinein. Es gibt noch ein anderes Bild, was in letzter Zeit auch immer wieder in den Medien transportiert wird. Das ist Afrika der Wachstumskontinent, Afrika der Chancenkontinent. Beide Bilder sind überzeichnet und stellen die Realität nicht angemessen dar. Weder ist Afrika ein völliger Krisenkontinent, noch sollten wir uns von beispielsweise hohen Wachstumsraten zu einer Euphorie hinreißen lassen. Die Wahrheit liegt dazwischen. Vielleicht als ganz anschauliches Beispiel: Es haben in Afrika mehr Menschen Handy und Internet-Zugang als Zugang zu sauberem Trinkwasser, Toiletten und einer regelmäßigen Stromversorgung.
    Armbrüster: Nun haben wir ja Stereotype über eigentlich fast alle bekannten Staaten, Länder und Kontinente. Die sind immer mal weiter oder mal näher dran an der Wahrheit. Warum ist das im Fall von Afrika so besonders schlimm mit diesen Klischees und Stereotypen?
    Lohmann: Insofern ist es sehr schade. Was im Moment passiert ist eine Reduktion Afrikas - und es ist auch hier schon problematisch, von Afrika als dem Afrika zu sprechen; ein Kontinent, der aus 54 Staaten besteht, kann eigentlich auch nicht allgemein so betrachtet werden. Aber es ist einfach sehr schade, dass im Moment eine Reduktion auf eine Opferrolle wieder stattfindet: Afrika, Afrikaner in der Rolle von Opfern, Empfänger von Hilfe. Diese Passivität, die dort gespiegelt wird, die entspricht einfach nicht der Realität. Afrikanische Akteure sind sehr aktiv, sie wollen eine gestaltende Rolle einnehmen, es findet viel Transformation statt. Diese Bilder spiegeln das nicht nur wieder, sondern wirken dem auch entgegen.
    Eine beleuchtete Weltkugel (Globus) mit Blick auf Afrika und Europa.
    Afrika mit seinen 54 Staaten wird zu häufig stereotyp gezeichnet, beklagt Lohmann (picture alliance / dpa - Caroline Seidel)
    "Unser Bild von Afrika bleibt undifferenziert"
    Armbrüster: Welchen Schaden richten solche Bilder denn an?
    Lohmann: Dass man nicht in einen konstruktiven Dialog eintreten kann, welchen Beitrag afrikanische Akteure leisten können, denn sie sind ja bereit, Beiträge zu leisten. Man kann darüber im Moment nur sehr schwierig diskutieren und unser Bild von Afrika bleibt undifferenziert und auf der Stelle.
    Armbrüster: Kann es sein, dass zum Beispiel auch so etwas passiert, dass Sierra Leone jetzt auf Jahre oder Jahrzehnte hinaus mit Ebola in Verbindung gebracht wird und deshalb zum Beispiel niemand mehr am Strand von Freetown ein Hotel bauen will, oder so etwas?
    Lohmann: Das ist ziemlich wahrscheinlich. Was im Moment passiert ist ja auch, dass viele Länder in der Region in Westafrika, aber auch in ganz Afrika mittelbar von Ebola betroffen sind. Sie sind nicht selber von Ebola betroffen, aber die Perzeption, dass Ebola nun in Afrika oder in Westafrika grassiert, trifft auch diese Länder, zum Teil Urlaubsländer, die davon abhängig sind, dass Touristen kommen. Aber insgesamt möchte im Moment einfach niemand mehr in die Region reisen, und das wird sicherlich noch eine Weile anhalten, dieses negative Image, was jetzt vorherrscht.
    "Auch über die Rolle der afrikanischen Akteure sprechen"
    Armbrüster: Was würden Sie denn sagen, wie kann man so etwas beseitigen? Was müsste möglicherweise anders laufen in der Berichterstattung?
    Lohmann: Indem darüber diskutiert wird, was die strukturellen Gründe sind, wie man diese langfristig beheben kann. Dass eine unmittelbare Krisenbewältigung nun erforderlich ist, das ist völlig richtig und nachvollziehbar. Aber indem man in eine Diskussion über eine längerfristigere Kooperation eintritt und auch die Frage stellt, welche Rolle sollten afrikanische Akteure dabei einnehmen.
    Armbrüster: Und welche sollten sie einnehmen?
    Lohmann: Eine aktive gestaltende, denn es kann nicht sein und es wird auch nicht gewollt, dass wie die Bilder, die Sie beschrieben haben, jetzt nur die weißen Helfer kommen und kurzfristig Linderung schaffen. Natürlich gibt es auch eine Verantwortung der afrikanischen Staaten. Die sind sie auch bereit zu übernehmen. Sicherlich haben sie da gewisse Schwierigkeiten, weil nicht immer die finanziellen Spielräume vorhanden sind. Aber da sollte man doch sehr viel stärker in einen partnerschaftlichen Dialog auf Augenhöhe treten.
    Armbrüster: Das heißt, die Menschen in diesen Ländern, sagen Sie, lassen sich auch sehr leicht in diese Opferrolle drängen?
    Lohmann: Sie sind in einer schwächeren Position als wir. Das muss man natürlich anerkennen. Das ist völlig richtig. Aber nichts desto Trotz haben auch weniger entwickelte Länder, glaube ich, das Potenzial, mehr leisten zu können.
    Armbrüster: Ebola und wie diese Epidemie unser Bild von Afrika prägt - darüber habe ich gesprochen mit Annette Lohmann. Sie leitet das Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung in Senegal. Vielen Dank dafür, Frau Lohmann.
    Lohmann: Bitte schön.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.