Die Koordination zwischen den deutschen Ministerien sei sicherlich langsam, dennoch könne er das zögerliche Anlaufen der Hilfe für die Staaten in Westafrika nicht verstehen, so Stöbe. Seine Organisation sei an der Belastungsgrenze angelangt.
Stöbe vermutete, es gebe eine große Angst vor diesen Einsätzen. Fakt sei aber, Menschen könnten unter hohen Sicherheitsvorkehrungen durchaus vor Ort Hilfe leisten. "Das können nicht nur Ärzte ohne Grenzen, das können auch andere. Sie müssen es nur wollen und tun", so Stöbe.
Momentan würden vor Ort vor allem qualifizierte Mitarbeiter und Krankenhausbetten benötigt, um Erkrankte aufzufinden, zu isolieren und zu behandeln. Nach Stöbes Angaben sind die Gesundheitssysteme in den betroffenen westafrikanischen Ländern weitgehend zusammengebrochen. So würden derzeit auch Menschen an eigentlich behandelbaren Krankheiten sterben.
Eine Ausbreitung des Ebola-Virus in Industrieländern hält Stöbe für unwahrscheinlich. Wichtig sei, die Krankheit in Westafrika zu bekämpfen. Je weiter sich Ebola dort ausbreite, desto schwerer voraussehbar die weltweite Verbreitung des Virus.
Das Interview in voller Länge:
Silvia Engels: Die Außenminister der Europäischen Union haben gestern in Luxemburg über koordinierte Maßnahmen gegen die Ebola-Epidemie in Westafrika beraten. Dort auf dieser Konferenz wurde Bundesaußenminister Steinmeier wie schon früher nicht müde, frühere Versäumnisse einzuräumen:
O-Ton Frank-Walter Steinmeier: "Wir alle müssen bekennen, dass wir nicht die Gefährlichkeit von Ebola, aber die Dynamik der Epidemie in Westafrika unterschätzt haben, und deshalb mit den Möglichkeiten, mit dem Engagement, mit dem wir jetzt einsteigen, zu spät einsteigen und deshalb jetzt aufholen müssen."
Engels: Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen ist bereits seit März in Westafrika im Einsatz, um den Menschen dort im Kampf gegen Ebola zu helfen. Derzeit sind über 270 internationale Helfer der Organisation und knapp 3000 Ortskräfte unterwegs, und zwar in Liberia, Guinea und in Sierra Leone. Seit Monaten warnt die Organisation ja schon vor der rasanten Ausbreitung der Epidemie, und am Telefon ist Tankred Stöbe, Präsident der deutschen Sektion von Ärzte ohne Grenzen. Guten Morgen!
Tankred Stöbe: Schönen guten Morgen, Frau Engels.
Engels: Vor ziemlich genau einem Monat haben Sie hier im Deutschlandfunk-Interview die Bundesregierung kritisiert, und zwar mit diesen Worten:
O-Ton Tankred Stöbe: "Wir haben jetzt ja die zweite Septemberhälfte, und ich muss sagen, da ist einfach viel zu lange geschlafen worden. Und wir sind so deutlich, nicht weil wir besonders gerne kritisch sind, aber weil uns die Patienten vor den Kliniktoren sterben."
Engels: Das ist nun einen Monat her, Herr Stöbe. Ist es seitdem denn etwas besser geworden, was die Hilfe der Bundesregierung angeht?
Stöbe: Ja wir freuen uns, dass tatsächlich der Ernst der Lage jetzt hier erkannt wurde. Aber die Aktivitäten der Bundesregierung vor Ort sind weiterhin so, dass noch kein einziger Patient dort behandelt wurde, und das ist natürlich nach einem weiteren Monat der medialen großen Ankündigungen zu wenig.
Langsame Koordination in den Ministerien
Engels: Woran liegt das Ihrer Meinung nach?
Stöbe: Nun, die Koordination innerhalb der Ministerien und dann natürlich auch der Behörden ist eine ganz langsame. Aber so ganz verstehen lässt sich das aus unserer Sicht nicht. Wir haben ja auch schon vor Wochen gesagt, wir sind an den Grenzen unserer Kapazität. Wir haben diese immer noch weiter ausgebaut. Wir haben jetzt über 3.300 nationale und internationale Mitarbeiter vor Ort. Über die Hälfte der im Moment verfügbaren Ebola-Betten in den drei Ländern wird von Ärzte ohne Grenzen betrieben, und das ist natürlich ein Zustand, der nicht erträglich ist. Es muss wirklich mehr von mehr Akteuren in den drei Ländern immer noch passieren.
Engels: Sind vielleicht hier in Deutschland zu viele staatliche Stellen für Teilbereiche zuständig, um koordiniert handeln zu können?
Stöbe: Ja. Es scheint, doch eine große Angst vor diesen Einsätzen zu sein, wobei auch das ist vielleicht wichtig, noch mal zu betonen. Wir können in diesen Ländern sicher arbeiten. Wir haben jetzt gerade - und das ist vielleicht auch mal eine freudige Nachricht -, wir haben den tausendsten Ebola-Patienten geheilt aus unseren Kliniken entlassen können, und das zeigt, dass wir sichere Medizin, sichere Ebola-Bekämpfung in den betroffenen Ländern machen können, und das können natürlich nicht nur Ärzte ohne Grenzen, das können auch andere. Sie müssen es einfach nur wollen und tun.
"Gesundheitliche Infrastruktur in den Ländern ist zusammengebrochen"
Engels: Sie haben selber erwähnt, dass Ihre Organisation an der Grenze ihrer Kapazität ist. Worin besteht denn derzeit der Hauptengpass bei der Hilfe in Westafrika? Sind es Helfer, ist es das Material, Geld, die Flüge? Was ist es?
Stöbe: Ja es ist eigentlich genau das, was wir auch schon zusammen vor einem Monat besprochen haben. Es bedarf qualifizierter Mitarbeiter und Krankenhausbetten, beides zusammen, also nicht leere Lazarette und auch nicht qualifizierte Mitarbeiter ohne Krankenhäuser. Das muss zusammenkommen. Darüber hinaus muss natürlich Aufklärung betrieben werden weiter in den Ländern. In ländliche Regionen müssen auch Teams geschickt werden, um dort die Erkrankten aufzufinden und zu isolieren und zu behandeln.
Die Nebenproblematik, die wir sehen jetzt, dass natürlich die gesamte gesundheitliche Infrastruktur in den Ländern zusammengebrochen ist. Das heißt, Tausende Menschen sterben an sonst dort behandelbaren Erkrankungen wie Malaria. Das heißt eine Sekundärkatastrophe, die wir in diesen Ländern sehen, weil einfach das Gesundheitssystem nicht mehr funktioniert.
Engels: Sie haben es angesprochen: Helfer sind ein Engpass. Die müssen natürlich vorher geschult werden. Es gab ja Meldungen genug, hier auch in Deutschland, die gerne helfen würden. Von denen wird aber nur ein relativ geringer Teil genommen. Warum ist es so schwierig, Ebola-Helfer zu werden?
Stöbe: Einmal ist natürlich die Grundvoraussetzung, in tropischen Ländern zu arbeiten, schwierig. Da muss natürlich eine Vorbereitung sein. Jetzt kommt noch hinzu - und das macht es natürlich schwieriger - die strengen Hygienevorschriften. Das heißt, wir haben hier ein eigenes Training, wo wir die Mitarbeiter hier in Europa schulen. Dann werden sie vor Ort geschult und dann ist es so, dass es ja weiterhin diese sehr lückenlose Kette von Schutzmaßnahmen sein muss. Das heißt, die Menschen, unsere Mitarbeiter müssen dort von Kopf bis Fuß in diesen Infektionskleidern stecken. Sie dürfen maximal eine Stunde in den Isolierstationen arbeiten, arbeiten immer zu zweit, werden dann nach spätestens vier bis sechs Wochen auch ausgetauscht.
Das heißt, das ist ein sehr, sehr strenges Hygieneumfeld, was wir bedenken müssen. Aber auch das ist trainierbar, das ist anwendbar, und wir sind ja froh, dass wir auch da zeigen, mit den vielen tausend Mitarbeitern können wir wirklich arbeiten, und es gibt kaum Infektionen, die wir bei unseren eigenen Mitarbeitern verzeichnen müssen, aber natürlich unter strengen Sicherheitsbedingungen.
"Flugbrücke extra für Ebola ist wichtig"
Engels: Nehmen wir mal an, es kämen jetzt in relativ kurzer Zeit international mehrere hundert von weiteren Helfern dazu. Könnten die eigentlich zügig arbeiten, oder stehen einem dann wieder die Schäden bei der Infrastruktur als Problem gegenüber und auch praktische Dinge wie beispielsweise vielleicht einfach zu wenig Schutzanzüge?
Stöbe: Ja, die Infrastruktur ist natürlich ein Problem, vor allem, weil ja auch die meisten Fluggesellschaften ihre Flüge nach Westafrika eingestellt haben. Das heißt, die Logistik ist schwierig, und es wird auch da notwendig sein, dass man jetzt extra für Ebola Flugbrücken installiert. Zumal - und das ist ein Aspekt, der uns beunruhigt - diese Ebola-Epidemie ist auch in den drei Ländern unvorhergesehen. In Guinea hatten wir bisher den Eindruck, da gehen die Zahlen zurück, und dann sind sie wieder sprunghaft angestiegen. Es gibt überhaupt keine Sicherheit, dass in einem Ort oder in einer Stadt, wo die Ebola-Epidemie eingegrenzt wird, dass sie dort nicht einen Tag oder eine Woche später wieder aufflammt. Das heißt, es braucht wirklich weiter massive Präsenz ausländischer Spezialisten, und erst dann lässt sich hoffentlich irgendwann sagen, ja, jetzt haben wir die Epidemie eingeholt, jetzt können wir sie irgendwann begrenzen. Aber da sind wir immer noch weit von entfernt.
Engels: Wenn Sie da Herrn Steinmeier hören, der gestern ja auf europäischer Ebene eine Art Weißhelm-Truppe gefordert hat, also eine medizinische Nothilfstruppe auf europäischer Ebene, kann so etwas praktisch funktionieren?
Stöbe: Wir glauben ja eher an das zivilgesellschaftliche Engagement. Das heißt, wir tun das ja auch so. Natürlich glauben wir oder haben wir auch lange gefordert, dass jetzt ein Land wie Deutschland seine Kompetenzen hier zeigen kann. Wir sehen ja, dass politische Lösungen auf transnationalen Ebenen immer noch schwieriger sind. Wir würden uns freuen, wenn die deutsche Regierung alles in ihrer Macht Mögliche dort leistet. Ob man dann noch nationale oder übernationale Strukturen dort schafft, da würde ich jetzt spontan skeptisch erst mal sein. Aber ich glaube - und das ist wichtig -, es gibt ja engagierte und auch motivierte Menschen, die dort hingehen wollen, und dann müssen eben die Rahmenbedingungen stehen. Sie müssen dort schnell hinkommen, sie müssen sicher auch evakuiert werden können im Falle, wenn sie selber sich erkranken. All das ist noch nicht ganz gesichert und da muss aber jetzt wirklich all das, was versprochen wurde, umgesetzt werden.
Engels: Handelt die Politik Ihrer Einschätzung nach noch rechtzeitig genug, wenn diese ganzen Punkte, die Sie angesprochen haben, umgesetzt werden? Handelt sie dann rechtzeitig genug, um noch Zehntausende Tote in Afrika zu verhindern?
Stöbe: Das hoffen wir im Moment. Das wissen wir nicht, weil ja bisher von dem noch so wenig angekommen ist. Aber auch klar ist: Für die vielen Tausenden Toten und die vielen Tausenden Infizierten, für die kommt diese Hoffnung beziehungsweise auch diese mangelnde Umsetzung zu spät. Es ist doch schon sehr viel Zeit verstrichen und sehr viel Leid und Tod in diesen drei Ländern, was wir dort sehen, und wir hoffen natürlich, was Sie sagen, dass das eintritt. Aber im Moment ist es noch immer reine Spekulation, und das ist natürlich für eine medizinische Katastrophe keine gute Aussicht, wenn es sich um Spekulationen handelt. Es gibt ja hoffnungsvolle Zeichen, dass auch kleine Länder wie Kuba sich so engagieren, und jetzt geht es einfach wirklich darum, dass das, was ja immer auch gesprochen wurde und versprochen, dass das ankommt.
"Ausbreitung in Deutschland eher ungewiss"
Engels: Noch kurz die Blickrichtung Europa. Auf dem Weltgesundheitsgipfel der Berliner Charité haben gestern Experten und auch Ihre Organisation eine Erklärung verabschiedet. Da heißt es: "Die Ebola-Epidemie habe das Potenzial, zu einer der ernsthaftesten Bedrohungen für die öffentliche Gesundheit des 21. Jahrhunderts zu werden." Fürchten Sie nun auch in den Industriestaaten eine größere Ausbreitung?
Stöbe: Wir glauben nach wie vor, dass die Sicherheitssysteme, die Gesundheitssysteme in den industrialisierten Ländern einigermaßen gut funktionieren. Es wird immer auch weiterhin Fälle hier wohl geben. Davon müssen wir ausgehen. Aber die weitere Ausbreitung zum Beispiel in Deutschland halten wir für eher ungewiss.
Aber auch das stimmt natürlich: Je länger sich die Ebola-Epidemie sich in den drei westafrikanischen Ländern weiter ausdehnt, desto schwieriger ist es natürlich, da auch verlässliche Prognosen zu stellen. Aber da noch mal der Fokus: Es muss in den drei Ländern die Hilfe sein. Dort muss die Epidemie bekämpft werden. Dann nehmen auch die Risiken ab, dass Ebola über Afrika hinaus zu einer Gefahr wird.
Engels: Tankred Stöbe, Präsident der deutschen Sektion von Ärzte ohne Grenzen. Vielen Dank für das Gespräch.
Stöbe: Ich danke Ihnen, Frau Engels.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.