Fast 600 Ebola-Tote, tausende Verdachtsfälle, mehr als ein Dutzend bekannte Neuinfektionen allein in den letzten Tagen: Für Alpha Kanu, Informationsminister von Sierra Leone, sind das genug Argumente für einen landesweiten Lockdown. Drei Tage soll der staatlich verordnete Stillstand dauern, überwacht von tausenden Soldaten und Polizisten; für wenig Geld angeworbene Helfer sollen von Haus zu Haus gehen und nach Kranken suchen. Quarantäne für ein ganzes Land: Außergewöhnliche Situationen bedürften eben außergewöhnlicher Maßnahmen, sagt der Minister.
"Wenn wir das Land drei Tage abschließen, wenn alle zu Hause bleiben müssen, dann ist das, als würden wir Sierra Leone zu einem Labor unter freiem Himmel machen. Diejenigen, die in diesen drei Tagen Ebola-Symptome zeigen, können dann identifiziert und in Behandlungszentren gebracht werden. Das wird uns sehr helfen, die Verbreitung des Virus einzudämmen."
"Lockdown verunsichert die Leute noch mehr"
Von wegen Labor, von wegen Behandlungszentren, kritisiert die Organisation Ärzte ohne Grenzen. Denn ähnlich wie im Nachbarland Liberia ist auch in Sierra Leone das Gesundheitssystem längst zusammengebrochen. Krankenstationen sind überfüllt und müssen Infizierte abweisen. Überlastete Ärzte stecken sich an und sterben, es fehlt an Helfern, Betten und Material. Auch in der sierra-leonischen Hauptstadt Freetown liegen Ebola-Leichen in Häusern oder auf der Straße, um - wenn überhaupt - Stunden oder Tage später abgeholt zu werden. Wenn die Regierung am Lockdown festhalte, stehe dahinter keine Strategie, so Isabelle Defourny, Vizepräsidentin von Ärzte ohne Grenzen: abgesehen davon, dass die Inkubationszeit von Ebola - die Zeit von der Ansteckung bis zum Ausbruch der Krankheit - drei Wochen dauern könne - und nicht drei Tage.
"Ein Lockdown kann nur sinnvoll sein, wenn man die Leute vorher aufklärt, wenn man ausgebildetes Personal hat, das weiß, wie man Haus- zu Haus-Befragungen macht und mögliche Patienten isoliert. All das hat die Regierung aber nicht, und sie verschleiert das mit Aktionismus. Die Menschen, um die es geht, leben zum großen Teil unterhalb der Armutsgrenze, es fehlt ihnen an Nahrung, an Wasser, auch schon ohne Ebola. Und dieser Lockdown verunsichert sie jetzt noch mehr."
Verunsicherung - das scheint das größte Problem zu sein. Ärzte ohne Grenzen befürchtet, dass Kranke sich aus Angst verstecken - um nicht an den Pranger gestellt zu werden. Dann könne der Lockdown sogar kontraproduktiv sein. Informationsminister Alpha Kanu lässt das nicht gelten, ein eintägiger Lockdown Anfang August sei gut verlaufen, und regionale Quarantäne - etwa im Grenzgebiet zu Liberia und im Raum Kenema - gebe es bereits.
"Ärzte ohne Grenzen argumentieren eben aus der Perspektive der Helfer. Wir aber haben als Staat die Pflicht, uns präventiv um 5,9 Millionen sierra-leonischer Bürger zu kümmern, die nicht infiziert sind - und sich auch nicht anstecken sollen. Mit dem Lockdown wollen wir sicherstellen, dass Ebola-Fälle isoliert und die restlichen Bürger geschützt werden."
"Wie sollen wir ohne Geld unsere Kinder satt bekommen?"
Klingt nach Aussortieren. Wer krank ist, so die Befürchtung der Hilfsorganisationen, werde sich da kaum freiwillig stellen, selbst wenn er nicht Ebola, sondern nur Malaria hat. Wie eine Menschenjagd auf mutmaßlich Infizierte aussehen kann, hat sich vor Kurzem in Liberia gezeigt. Im Nachbarland ist ein Lockdown auch schon mal schief gegangen: Die Behörden hatten dort den Slum von West Point abgeriegelt - die Menschen mit dem Virus eingesperrt. Es gab Panik und Gewalt, Tränengas wurde eingesetzt. Wenn Sierra Leone nun drei Tage stillsteht, haben aber nicht nur die Fischhändlerinnen im Hafen von Freetown noch ganz andere Sorgen.
"Wir wissen nicht, was die Regierung für uns tun will oder geplant hat. Normalerweise kaufen und verkaufen wir täglich, um unsere Familien zu ernähren. Wenn wir drei oder vier Tage zu Hause bleiben sollen, wie sollen wir dann ohne Geld unsere Kinder satt bekommen?"