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"Echos von Utoya" in Oldenburg
Einer von uns mutierte zum Monster

Vor sechs Jahren ermordete Anders Bering Breivik auf der norwegischen Insel Utoya 69 Kinder. Der italienische Autor Edoardo Erba nimmt das Massaker zum Anlass für sein Theaterstück "Die Echos von Utoya". Das Staatstheater in Oldenburg hat daraus einen sehenswerten Abend gemacht.

Von Michael Laages |
    Drei Gebäude auf der norwegischen Insel Utøya. Im Vordergrund flattert ein rot-weißes Absperrband mit den Buchstaben AUF. Sie stehen für die Jugendorganisation der norwegischen Arbeiterpartei. Im Hintergrund sind Wasser und Bäume zu sehen.
    Die norwegische Insel Utøya, auf der im Jahr 2015 erstmals wieder ein Jugendlager stattfindet. (Sigrid Harms/dpa)
    Nicht der Täter interessiert den Autor, auch die tatsächlichen Opfer sollen nicht vorkommen im Theater – Edoardo Erba hat die Echos in der Wirklichkeit drumherum zum Klingen zu bringen versucht, vom Tag vor dem Attentat an. Zu diesem Zweck hat er drei Paare erfunden: zum einen Gunnar und Malin, Lehrer und Hausfrau, schon im Alltag stark verfeindet.
    In Bergen leben sie, fast 500 Kilometer von Oslo und Utoya entfernt; Tochter Christina ist vom Vater aus erziehungsstrategischen Gründen genötigt worden, zum Lager-Wochenende auf die Insel zu fahren. Die Mutter war von Beginn an dagegen – jetzt sieht’s so aus, als könnte Christina zu Breiviks Opfern zählen.
    Unni und Alf sind Polizistin und Polizist, er ihr Vorgesetzter:
    "Im Regierungsviertel ist eine Bombe hoch gegangen.
    Was?
    Das hab‘ ich im Radio gehört. Es soll Tote geben. Alf ...
    ... bei uns in Norwegen ...
    ... im Regierungsviertel, vor dem Haus mit dem Büro des Ministerpräsidenten, unseres Ministerpräsidenten!
    Es ist nicht wahr!
    Es ist wahr, leider, es passiert. Sie haben gesagt: Im Umkreis von 500 Metern sind sämtliche Scheiben zu Bruch gegangen!"
    Sie sind verantwortlich für Utoya, und nach der Bombe im Zentrum von Oslo, Breiviks erster Attacke mit acht Toten, steht der Angriff auf die Kinder unmittelbar bevor. Er, der Ältere, will immerzu nur auf Befehle warten. Sie will sofort einschreiten, um jeden Preis.
    Merkwürdiger Nachbar auf dem Bauernhof
    Inga und Petter sind Geschwister, und sie haben einen merkwürdigen Nachbarn auf dem Bauernhof in Asta, 200 Kilometer von Utoya entfernt. Sie ist todkrank, er ein Faulpelz und geistig eher beschränkt ... Als alles vorbei ist - und auch 69 Kinder tot sind, wird beiden klar, dass Breivik dieser Nachbar war. Petter, der bis dahin glaubte, dass nur Islamisten solchen Terror ausüben könnten, nach den Anschlägen in Madrid und London, hatte eingreifen wollen, den Nachbar-Hof untersuchen – hätte er die Morde verhindern können?
    "Ich habe gelitten wegen dieser Kinder, als seien es meine Brüder und Schwestern ...
    Nein, das ist falsch. Respekt um jeden Preis – das ist unser Land. Wir sind so!
    Ich glaube, du nennst es Respekt. Im Grunde aber sind dir die anderen alle egal."

    Die drei Paare wechseln einander ab im Spiel; und in immer neuen Wendungen wird die Verzweiflung angesichts des Geschehens beschworen. Handeln wollen, aber nicht können; ja sogar wissen, dass im Moment überhaupt nichts hilft, gerade den Eltern nicht – das ist das zentrale Spannungsfeld in Erbas dreifachem Echo-Spiel.
    Die Hysterien nehmen massiv und stetig zu, speziell bei Mutter und Polizistin; Vernunft hat keine Chance mehr. Und wer vernünftig bleiben will, wie der Vater und die Schwester auf dem Bauernhof, wird immer kränker und schwächer. Am Schluss ist die Tochter nicht unter den Opfern, und die Eltern trennen sich. Die Polizistin kündigt, und der alte Kollege versteht bis zum Schluss nichts. Inga wird sterben; Petter ist erwachsen geworden in der Katastrophe. Irgendwie.
    Publikum sitzt im Saal und auf der Bühne
    Das szenische Gefüge ist geschickt gestrickt, und Regisseur Peter Hailer legt es darauf an, dass die Szenen einander auch überlappen. Das Publikum sitzt im Saal und auf der Bühne, und die Akteure nehmen auch unter uns Platz – so wird der zentrale Schrecken der Norweger im Stück des Italieners Erba ganz sinnfällig kenntlich: dass es "einer von uns" gewesen ist, der da zum Monster mutierte, einer wie sie alle im Stück; nur eben ein bisschen anders.
    Damit lässt Erba teilnehmen an einer Debatte darüber, wie fremd der Terror denn wirklich ist; und ob nicht in jedem neuen Angriff durch einen radikalisierten Islamisten auch ein Echo heimisch-europäischen Selbstverständnisses mitschwingt. Die Oldenburger Inszenierung arbeitet schlüssig mit dem Raum von Dirk Becker: Spiel-Areal, Saal-Reihen und Türen ... das Ensemble ist ständig in Bewegung zwischen draußen und drinnen, als würden wir, das Publikum, gerade ins Theater kommen und auf Erkenntnis hoffen. Die aber gibt’s nur beim Blick in den Spiegel.
    Edoardo Erba ist hierzulande kein durchgesetzter Autor, der Regisseur Matthias Brenner hatte mal Erbas Stück über "Die Maurer" ausgegraben, in dem ein Theater zugemauert werden soll. Vielleicht werden jetzt doch mehr Theater von Utoya und dem Schrecken des Terrors erzählen wollen – es lohnt sich.