Der Erste Weltkrieg war der erste technisch-industrielle Massenvernichtungskrieg; und er brannte sich ein in das Gedächtnis der Welt als Krieg der Bilder von fürchterlichen, mörderischen Schlachten an der Somme. Auch wurde der Friedensschluss von Versailles nicht mehr hinter verschlossenen Türen verhandelt, wie in früheren Jahrhunderten, sondern massiv medial begleitet. Insofern sieht der Historiker Eckart Conze Unterschiede im Vergleich zu früheren Friedensverhandlungen wie denen nach dem 30-jährigen Krieg oder beim Wiener Kongress 1814/1815. "Alte Friedensformen, beispielsweise das Prinzip des Vergebens und Vergessens als Grundlage für einen stabilen Frieden funktionieren in der modernen Massengesellschaft nicht mehr. Wie soll man nach all dem Sterben, dem Leiden, dem Hass der kriegführenden Nationen, wie soll man von einem Tag auf den anderen vergeben und vergessen?"
Extrem erschwerter Friedensschluss
Diese Problematik überschattete den Friedensschluss nach dem Ersten Weltkrieg: Der Krieg in den Köpfen, so Conze, wurde 1919 auch nach dem Waffenstillstand noch weiter geführt. Die mediale Öffentlichkeit, also Zeitungen, Rundfunk, erste Filmaufnahmen, bedienten das. Man könne, so der Historiker, deshalb auf der einen Seite von einem demokratischen Friedensschluss sprechen - der auf der anderen Seite vom Krieg in den Köpfen, und nicht nur auf der Verliererseite, extrem erschwert wurde.
Auch der im Anschluss an die Pariser Friedensverhandlungen 1920 in Genf gegründete Völkerbund markiert einen historischen Wendepunkt. Er war der erste Versuch, Nationalstaaten in einem kollektiven Bund der Sicherheit zusammenzuschließen. Der Völkerbund kollidierte aber mit der Fortexistenz und der Stärkung des nationalen Gedankens, der in Paris mit der Neugründung von Nationalstaaten in Mittel- und Osteuropa sogar noch ausgeweitet wurde.
Wendepunkt mit weltweiten Folgen
Die moderne Idee von Woodrow Wilson eines 'Selbstbestimmungsrechts der Völker' galt wiederum nur für die Länder Europas, nicht für die Asiens oder Afrikas. "Die Enttäuschung war groß, und sie war vor allem groß in der außereuropäischen Welt", so Eckart Conze. "Im asiatischen Raum findet dieses Selbstbestimmungsrecht seine Grenzen und prallt zusammen mit dem existierenden imperialen Machtanspruch der europäischen Großmächte Frankreichs oder Großbritannien, dafür ist Vietnam ein ganz wichtiges Beispiel. Auch das Versprechen an die arabischen Staaten, einen arabischen Staat zu errichten, 1916, 1917 gegeben, um die Araber zu mobilisieren im Krieg gegen das Osmanische Reich, wird nicht gehalten, weil die imperialen Interessen der Großmächte im nahen und mittleren Osten wichtiger sind als das Interesse an arabischer Selbstbestimmung." Die verweigerte arabische Unabhängigkeit und die Gründung des israelischen Staates in Palästina gerieten in ein Spannungsverhältnis, das die Welt bis heute begleitet. Die Wurzeln diese Konflikts lägen, so Conze, nicht in der Zeit nach 1945, sondern gingen zurück auf die Schlussphase des Ersten Weltkriegs und die Jahre nach der Pariser Friedenskonferenz.
Eckart Conze ist Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Marburg. Seine Forschungsschwerpunkte sind die deutsche, europäische und internationale Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts. Er leitet das Marburger Internationale Forschungs- und Dokumentationszentrum Kriegsverbrecherprozesse. Er war Mitglied der Unabhängige Historikerkommission – Auswärtiges Amt, die die Geschichte des Amtes im Nationalsozialismus untersuchte. Sein Buch "Die große Illusion. Versailles 1919 und die Neuordnung der Welt" ist 2018 im Siedler Verlag erschienen.