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Eckhart Nickel
Lob des Jetstreams

Mit Handschuhen, gestärktem Pyjama und Lemongrass-Seife im Grand Hotel: Der Popliteratur und Reise-Poet Eckhart Nickel schreibt in seinen Reportagen aus Indonesien, Italien oder Bhutan über Rausch und Tristesse des Unterwegsseins.

Von Dirk Fuhrig |
Portrait des Schriftstellers Eckhart Nickel und das Buchcover "von unterwegs" vor einer Landkarte
Immer wieder gab es von dem 1966 in Frankfurt am Main geborenen und dort lebenden Autor Eckhart Nickel neben Romanen auch Reisereportagen zu lesen. Jetzt hat er eine Apologie des Reisens vorgelegt. (Cover Piper Verlag / Autorenportrait © Jork Weismann / Piper Verlag)
Eckhart Nickels Buch liest sich wie ein Manifest für reale Begegnungen - und gegen die omnipräsente Videokonferenz: "Durch das Internet besitzen wir zwar die Möglichkeit, mit Menschen in Kontakt zu stehen, die sich am anderen Ende der Welt befinden. Doch die Nähe ist nur scheinbar. Das verlockende Gefühl, die Welt an einem Bildschirm umsegeln zu können, ersetzt die alten Mythen nicht."
Der Autor ist Mitte 50. Er zählt zu einer Generation, die die Verlockungen des Digitalen schätzt, ohne ihnen zu erliegen: "Wir kennen jeden Winkel der Erde als Foto, als Film oder aus dem World Wide Web, via Google Earth oder GPS, und haben eine Elementartugend verloren: die Fähigkeit, uns auf etwas einzulassen und ein Gefühl der Überraschung zu erfahren. Wer so ins Leben geht, hat vor welchem Aufbruch wohin auch immer zunächst vor allem eins zu tun: Löschen. Vergessen."

Textsammlung eines räsonierenden Reisenden

Nickel versammelt in diesem Band, mehr oder weniger ungeordnet, klassische Reisereportagen und reflektierende Texte über das Unterwegssein. Mit Bruce Chatwin und Annemarie Schwarzenbach als literarische Vorbilder bewegt sich dieser räsonierende Reisende zwischen Indonesien und Nordamerika, in Italien und Portugal, von den Wasserfällen von Iguazú bis nach Bhutan, dem Land des Glücks. Er nimmt das Flugzeug oder die Bahn, gelegentlich sogar das Fahrrad. Mal schwenkt er Gläser in der First Class Lounge oder im Grand Hotel - mal schwärmt er von eher heimeligen Unterkünften.
"Keiner geht einfach so in eine Pension, man nimmt Quartier. Unterschiedlicher könnte keine Ankunft sein. Erwartet wird der Gast auch im Hotel, die Pension aber empfängt. Wer den Begriff heute sofort mit Familienmuff assoziiert, liegt dennoch selten falsch."
Nicht alle der rund vier Dutzend kurzen Texte sind so pointiert. Eine Glosse, die die Ansage-Qualitäten des Piloten in einem Flugzeug lobt, wirkt ebenso mäßig originell wie ein umständliches Geplauder über die Schwierigkeit, mit Handschuhen auf einem Smartphone zu wischen - ein Gentleman wie Eckhart Nickel trägt natürlich stets einen Schutz über den Fingern gegen die Keime der Umgebung. Auch Überschriften wie "Saale per Pedale" - für einen Fahrradtrip durch Thüringen - lassen einen eher gequält den Mund verziehen. Dann wiederum stößt man auf kuriose Sentenzen: "Der Rückhalt, den ein frisch gestärkter Pyjama in der Fremde bedeutet, oder das Aroma einer vertrauten Lemongrass-Seife am Ende der Welt ist durch nichts zu ersetzen."

Oder auf herrlich blasierte Beobachtungen unter dem Stichwort Reisegepäck: "Natürlich sieht ein Rimowa Classic Flight, seit über einem Jahrzehnt die verbriefte Barbourjacke der Gepäckwelt, selbst als XXL-Rollkoffer gut aus, wenn ihn ein sauber gescheitelter Lufthanseat in blauer Uniform samt mattschwarzem Boardcase durch den Flughafen vor sich herschiebt."

Zum Teil sind die Texte schon vor Jahren in Tageszeitungen erschienen. Etwa der über die Fahrt in einem der ersten ICE-Sprinter von Frankfurt nach Berlin in den 90er-Jahren. Damals gab es noch Raucherabteile!

Nickel zelebriert das Altmodisch-Sein

Nickels geschraubter Stil nervt oft, aber dann ist es auch wieder herrlich, wie souverän sich der Autor nicht darum kümmert, ob einer seiner Beiträge leicht abgestanden wirkt. Sein bewusstes Altmodisch-Sein korrespondiert mit einer melancholischen Grundhaltung - etwa wenn er Claude Lévi-Strauss und seine "Traurigen Tropen" /"Tristes tropiques" ins Spiel bringt. Dieser berühmte Buchtitel reimt sich bei Nickel auf "Trieste royale", ein Kapitel über die nostalgische Stimmung in Triest, die Stadt, die in der K. und K.-Monarchie die Idee eines geistigen "Mitteleuropa" verkörperte. Natürlich denkt man hier auch gleich an "Tristesse royale" - den Band, in dem Nickel kurz vor der Jahrtausendwende - 1999 - gemeinsam mit vier anderen Lifestyle-Jungliteraten den Überdruss am oberflächlichen Luxusleben zelebriert hatte.
Reisen ist für Eckhart Nickel Stil, Leidenschaft, Lebensentwurf - und Rettungsanker. Sein väterlicher Freund, der Heidelberger Literatur-Professor Stefan Buck, konstatiert im Nachwort zu dieser Essay- und Artikelsammlung dem Autor eine "Reisesucht", die aus einer "ständigen Unruhe" als Wesenszug resultiere: "Welch andere Möglichkeit als die des Reisens hätte ihn von dieser Last zumindest vorübergehend befreien können?"

Absage an Flugscham

Unterwegssein als Medizin gegen die Unbehaustheit der Seele. Man sollte in dieses Sammelsurium von Reisetexten nicht zu viel an philosophischer Tiefe hineininterpretieren. Mitunter tauchen aus Eckhart Nickels pompösen Satz-Konstruktionen jedoch prägnante Bilder auf, die den Viren-Notstand unserer Tage einmal in ganz anderem Licht betrachten - aus dem Erfahrungsschatz des Tropen-Reisenden:
"Wenn dann noch die chemische Keule aus der Reiseapotheke zum Einsatz kommt, von Malaria- über Dengue- bis zu Bilharziose-Prophylaxe. (…) Ach, Prä-Corona ! Wie sehnt man sich heute nach solch raren Euphorica zurück. Nach der schimärenhaften Sicherheit, in die einen bei Einbruch der Tropennacht auf einem Holzbalkon unter nervös flatternden Ventilatoren das medizinische Chinin aus dem Schweppes Tonic Water zum eiswürfelklirrenden Bombay Sapphire Gin wiegte, während sich bereits das erste Bataillon an fiesen Moskitos über den Aufschlag der weißen Baumwollhosen hermachte."
In seinen Anfängen galt Eckhart Nickel als Zeitgeist-Autor. Heute hat sich dieser flatterhafte Mainstream einer Epoche sehr gewandelt, gerade in Bezug auf das Reisen. Aber moralische Zeigefinger, etwa solche, die "Flugscham" anmahnen könnten, ignoriert dieser Reisende aus existentiellem Drang souverän: "In diesem Moment wird einem klar, dass es kaum etwas gibt, das schöner und unnatürlicher zugleich sein könnte, als mit unfassbarer Geschwindigkeit im Jetstream dahinzurauschen."
Eckhart Nickel: "Von unterwegs"
Piper Verlag, München, 320 Seiten, 25 Euro