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Edathy: Absage könnte deutsch-türkisches Verhältnis belasten

Sebastian Edathy, Vorsitzender des NSU-Untersuchungsausschusses, hat die Justiz erneut aufgefordert, dem türkischen Botschafter eine Teilnahme am Prozess gegen die Terrorgruppe zu ermöglichen. Eine Absage habe aus seiner Sicht negative Folgen für das deutsch-türkische Verhältnis.

Sebastian Edathy im Gespräch mit Martin Zagatta | 09.03.2013
    Martin Zagatta: Mitgehört hat der Vorsitzende des NSU-Untersuchungsausschusses des Bundestages, der SPD-Politiker Sebastian Edathy. Er war es, der das Münchner Gericht um den Platz für den türkischen Botschafter gebeten hat und diese Absage dann eben bekommen hat. Gestern ist es bekannt geworden. Guten Morgen, Herr Edathy!

    Sebastian Edathy: Morgen, Herr Zagatta!

    Zagatta: Herr Edathy, in einer ersten Reaktion haben Sie ja von einer nicht nachvollziehbaren Haltung des Gerichts gesprochen. Wie ist das heute Morgen und nach dem, was Sie da eben gehört haben? Sind Sie immer noch sauer auf das Gericht?

    Edathy: Na ja, zunächst, Herr Zagatta, habe ich natürlich vollen Respekt vor der Souveränität des Richters. Umgekehrt erwarte ich auch, dass das Gericht in München uns nicht in Berlin gute Ratschläge gibt, wie wir unsere Untersuchungsausschussarbeit zu betreiben haben. Aber es gibt einen Punkt, der macht mir schon Sorge: Wir waren mit einer Delegation des Untersuchungsausschusses in der Türkei, in Ankara, Mitte Februar. Ich bin angesprochen worden dort vom Menschenrechtsausschuss-Vorsitzenden, ob eine Möglichkeit bestünde zum Prozessauftakt, dass er dort anwesend ist. Gleiches gilt für den türkischen Botschafter. Man muss sich vor Augen halten: Wir haben es zu tun mit einem Strafverfahren, da geht es um rassistisch motivierte Morde unter anderem, und da ...

    Zagatta: Haben Sie das zugesagt, weil Sie einfach davon ausgegangen sind, ...

    Edathy: Nein. Ich habe nicht zugesagt, ob das klappt, ich habe zugesagt, dass ich mich für dieses legitime Anliegen einsetze, und das Anliegen ist deshalb legitim, weil man sich vor Augen halten muss, dass sechs der zehn Mordopfer des NSU türkische Staatsbürger waren, es waren türkische Staatsbürger. Zwei weitere waren Deutsche türkischer Herkunft. Und so ist es natürlich nachvollziehbar, dass das ganze Thema und auch dieser Prozess in der Türkei eine hohe Aufmerksamkeit hat, und ich finde es völlig legitim, wenn der türkische Botschafter als Repräsentant seines Landes bei einem Prozess mit dabei sein möchte, bei dem es um sechs ermordete Staatsangehörige geht.

    Zagatta: Bekommen Sie denn, wenn ich die Frage mal stellen darf, bekommen Sie denn als Vorsitzender oder als Untersuchungsausschussvorsitzender da in diesem Fall einen Platz im Gericht freigehalten, oder haben Sie ein ähnliches Problem?

    Edathy: Nein, ich hatte das angeregt, ob das für mich auch möglich wäre, zumindest für den 17. April. Da bin ich aber bereit, drauf zu verzichten, das ist gar keine Frage. Mir ist bekannt, dass dort Raumnot herrscht, das ist ganz klar, das muss dann das Gericht selber bewerten, ob man einen hinreichend großen Saal sich gebucht oder reserviert hat für die Verhandlungsführung, das muss ich nicht kommentieren, das ist überhaupt nicht meine Aufgabe. Mein Punkt ist nur folgender: dass man auch bitte politische Implikationen bedenkt. Sehen Sie, die Türkei lässt seit einigen Jahren unter anderem deutsche NGOs sogar zu als Prozessbeobachter bei Verfahren in der Türkei. Und wenn wir jetzt das Signal aussenden, das Signal geben, bei uns ist nicht mal euer Botschafter willkommen, der kann sich allenfalls fünf Stunden vor Prozessbeginn an die Schlange stellen vorm Gerichtsgebäude, möglicherweise noch neben Sympathisanten des NSU – das ist wirklich eine Vorstellung, das grenzt an Zumutung. Und mein Wunsch ist eigentlich und meine Bitte, dass der Richter vielleicht seine Position überdenkt. Rechtlich vertretbar ist die Position, die er einnimmt. Rechtlich zwingend ist es nicht.

    Zagatta: Wie sind denn die Reaktionen aus dem Ausschuss? Sie wollten Ihre Kollegen ja da, wenn ich das recht gelesen habe, befragen. Zumindest die FDP scheint ja irgendwie auch auf Distanz zu Ihnen zu gehen mit dem Hinweis, der da ausdrücklich gekommen ist, die deutsche Justiz sei unabhängig.

    Edathy: Das ist ja gar keine Frage, dass die deutsche Justiz unabhängig ist. Ich habe auch nach unserer Delegationsreise dieses Schreiben an den Richter geschickt in Abstimmung mit allen Fraktionen im Deutschen Bundestag. Ich habe natürlich hier zur Kenntnis gegeben, das Antwortschreiben, das im Übrigen der "Süddeutschen Zeitung" eher vorlag als dem Untersuchungsausschuss – also dass das Ganze öffentlich geworden ist, hat auch was damit zu tun, dass offenkundig aus Kreisen des Gerichtes das an die Presse lanciert worden ist, ansonsten würden wir das Interview wahrscheinlich heute gar nicht führen zu dem Thema –, ... Also wir sind uns da, denke ich, einig im Untersuchungsausschuss, dass es eine schöne Geste gewesen wäre. Niemand will irgendjemanden zu einer Entscheidung zwingen. Wir haben unseren türkischen Partnern gesagt, wir geben und leiten euer Anliegen gerne weiter. Wir sind nicht selber entscheidungsbefugt, entscheidend ist an der Stelle das Gericht, aber sehen Sie, wenn ich als Parlamentarier von einem Kollegen gebeten werde und auch der türkische Botschafter das Anliegen geltend macht, dort in München mit dabei sein zu können, dann unterstütze ich das mit vollem Herzen, weil ich aus den Gründen, die ich vorhin genannt habe, das für ein für sich berechtigtes Anliegen halte. Und das Beste wäre – und entsprechende Signale sind ja gestern Abend auch ausgesendet worden aus München –, dass man jetzt versucht, eine Regelung zu finden, die allen Seiten Rechnung trägt.

    Zagatta: Sie glauben, dass es dazu noch kommt? Sie wollten, habe ich gelesen, sich ja auch an den Außenministerium wenden. Haben Sie das schon getan und gibt es da irgendeine Reaktion?

    Edathy: Das haben wir getan über das Sekretariat des Ausschusses. Wir werden auch nächste Woche im Bundestag intern bei unseren Besprechungen, was die Ausschussvorbereitung betrifft, noch mal über die Dinge zu reden haben. Wie gesagt, ich fürchte, mein Eindruck ist jedenfalls der, dass man in München nicht die notwendige Sensibilität zurzeit bei dieser Frage an den Tag legt, denn, ich sage mal, das wäre nicht nur eine Kränkung, wenn man zum Beispiel dem Botschafter sagt, wir sehen nicht vor, dass du als Vertreter deines Landes bei sechs toten Staatsbürgern aus deinem Land hier mit dabei sein kannst bei einem Prozess, der von der Sensibilität her wahrscheinlich allenfalls vergleichbar ist mit den RAF-Prozessen nach meinem Dafürhalten in den 70er-Jahren, es geht ja nicht nur darum, sondern es geht auch darum: Was hat das für Auswirkungen auf die Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei? Und dieses Land hat sich an sechs türkischen Staatsbürgern schuldig gemacht, indem die Morde nicht verhindert wurden und indem bei der Aufklärung der Taten die Behörden massiv versagt haben. Und jetzt das Signal an die Türkei zu senden, bei der Aufklärung habt ihr nicht dabei zu sein, das finde ich verkehrt.

    Zagatta: Sie haben vorhin aber auch angedeutet, es gäbe da von gestern Abend irgendwelche Signale schon. Haben Sie da aus München schon irgendeine Botschaft bekommen, dass diese Entscheidung doch vielleicht noch überdacht wird beziehungsweise rückgängig gemacht wird?

    Edathy: Herr Zagatta, ich habe das Agenturmeldungen entnommen, und ich habe gestern einen Anruf bekommen von einem Printkollegen von Ihnen, da sei ja wohl ein neues Schreiben auf dem Weg an den Ausschuss. Das hat uns bisher nicht erreicht, bis gestern Abend jedenfalls nicht. Wenn es denn so sein sollte und wenn man sich da bewegt, ist das gut. Das ist auch, finde ich, dann wichtig, denn die Argumente sind, finde ich, ziemlich eindeutig. Und ich sage es noch mal: Das Gericht ist frei in seiner Entscheidung, aber umsichtige Entscheidungen sind besser als Borniertheit.

    Zagatta: Hatten Sie schon Gelegenheit, mit dem türkischen Botschafter noch einmal zu sprechen, nachdem das jetzt bekannt geworden ist, dass er da nicht zugelassen werden soll beziehungsweise keinen reservierten Platz bekommen soll?

    Edathy: Wir haben gestern telefoniert, ja.

    Zagatta: Und er ist sauer?

    Edathy: Der Botschafter der Republik der Türkei in Deutschland ist ein sehr, sehr bemerkenswerter Mensch, eine sehr beeindruckende Persönlichkeit. Der geht sehr souverän mit der Situation um. Wir haben auch schon seit Monaten Kontakt. Das ist jemand, der auch eine gute Rolle spielt in der Zusammenarbeit mit dem Untersuchungsausschuss, weil er auch gegenüber der türkischen Community in Deutschland immer wieder signalisiert, dass er den Eindruck hat, wir leisten da gute Arbeit und wir sorgen für rückhaltlose Aufklärung. Er ist bisher enttäuscht über die Positionierung, die eingenommen worden ist, hat mir aber gesagt, bei öffentlichen Stellungnahmen würde er es so halten, dass er sagt, er hofft auf eine einvernehmliche Lösung. Das ist auch meine Position, und es dient niemandem, den Streit um diese hochsensible Frage jetzt noch einige Tage weiterzuführen.

    Zagatta: Herrscht da sehr großes Misstrauen beziehungsweise wird das jetzt noch verstärkt? Denn es heißt ja auch, die Türkische Gemeinde in Deutschland, die wolle, weil sie eben den Deutschen misstraut, da einen eigenen Untersuchungsbericht vorlegen.

    Edathy: Da müssen Sie die Organisation ansprechen, die so etwas fordert. Ich glaube, dass der berechtigte Eindruck in der deutschen Öffentlichkeit und auch in dem Teil der Gesellschaft mit einem türkischen Familienhintergrund sehr wohl da ist, dass wir diese Aufklärungsarbeit politisch betreiben im Ausschuss, sehr gewissenhaft und sehr akribisch, und ich glaube, niemand hat Sorge, dass es in einem demokratischen Rechtsstaat entweder zu einem Schauprozess oder zu einem Prozess kommen könnte gegen Frau Zschäpe und die Mitangeklagten, wo irgendetwas unter den Teppich gekehrt wird. Da habe ich volles Vertrauen in die Funktionsfähigkeit des deutschen demokratischen Rechtsstaates, und das dürfen alle haben, auch die Türkische Gemeinde.

    Zagatta: Sebastian Edathy, der Vorsitzende des NSU-Untersuchungsausschusses des Bundestages. Herr Edathy, ich bedanke mich ganz herzlich für das Gespräch!

    Edathy: Gerne, Herr Zagatta!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.