Christiane Kaess: Gestern Vormittag hatte Bundeslandwirtschaftsminister Hans-Peter Friedrich noch erklärt, er stelle erst dann sein Amt zur Verfügung, wenn die Staatsanwaltschaft gegen ihn Ermittlungen einleiten sollte - dann kam doch der Rücktritt. Der Hintergrund ist die Frage, ob Friedrich als damaliger Innenminister im Fall Edathy das Dienstgeheimnis verletzt hat, als er SPD-Parteichef Sigmar Gabriel geheime Informationen zum SPD-Politiker Edathy weitergab. Dessen Name war bei internationalen Ermittlungen - und wie dann später klar wurde - zur Kinderpornografie aufgetaucht. Nach Friedrichs Rücktritt richtet sich jetzt das öffentliche Interesse auf die SPD-Spitze. Warum war mehr als ein SPD-Spitzenpolitiker über den Fall informiert und wie sind die zahlreichen Widersprüche aufzuklären? Der Koalitionspartner ist sauer und will, das sich die SPD erklärt. Am Telefon ist Dieter Wiefelspütz, ehemals innenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Guten Morgen!
Dieter Wiefelspütz: Guten Morgen!
Kaess: Herr Wiefelspütz, tut Ihnen denn der Rücktritt von Hans-Peter Friedrich schon deshalb leid, weil er der SPD während der Sondierungsgespräche eigentlich einen Gefallen tun wollte?
Wiefelspütz: Das könnte man so sehen. Also ich will vorausschicken, ich bin nicht mehr Mitglied des Bundestages, ich war aber 26,5 Jahre lang Mitglied des Immunitätsausschusses. Ich bin mit diesen Fragen sehr vertraut, der Fall Edathy ist ein extrem außergewöhnlicher Fall, aber solche Fälle kommen vor. Wir haben den Fall Tauss gehabt beispielsweise, wir haben den Fall Möllemann gehabt - die Älteren werden sich daran erinnern –, und für ungewöhnliche Fälle gibt es auch ungewöhnliche Maßnahmen. Ich glaube schon, dass möglicherweise Herr Friedrich der Bundesregierung Deutschland Gutes getan hat. Stellen Sie sich bitte mal vor, da wird ein möglicherweise belasteter Mensch in ein Regierungsamt berufen, im Wissen, dass es Verdachtsmomente gibt. Da geht es auch gar nicht in erster Linie um die SPD, es hätte ja auch eine andere Fraktion sein können, sondern Herr Friedrich hat möglicherweise Schaden von der Bundesrepublik Deutschland abgewendet. Und sein Rücktritt, den ich natürlich respektiere, der hat vielleicht mehr damit zu tun, dass er selber als Person so wenig Rückhalt im politischen Berlin hatte.
"Die Dinge kommen sowieso alle heraus"
Kaess: Herr Wiefelspütz, bei allem Positivem, was Sie jetzt Herrn Friedrich bescheinigen, genützt hat ihm das ja nichts. Warum hat denn Thomas Oppermann das Ganze öffentlich gemacht?
Wiefelspütz: Ich habe mit Herrn Oppermann darüber keinen Kontakt gehabt, das sind Dinge, die er selber zu verantworten hat, aber ich bin persönlich immer der Auffassung, dass die Dinge auf den Tisch müssen. Und ich glaube, dass es letzten Endes klug war, dass er sein Wissen, das ja auch schon längere Zeit zurückreicht, öffentlich gemacht hat. Wenn da jetzt andere drauf gekommen wären, wäre das doch viel, viel unangenehmer gewesen und auch kritikwürdig. Ich glaube, dass Herr Oppermann das richtig gemacht hat, dass er das öffentlich gemacht hat, was er als Kenntnisse erhalten hat, und das finde ich sehr korrekt.
Kaess: Und das war kein Vertrauensbruch gegenüber dem Koalitionspartner?
Wiefelspütz: Das kann ich nicht unbedingt sehen. Sehen Sie, die Dinge kommen doch sowieso alle heraus. Wenn dann nachgefragt wird, dann muss darüber geredet werden, und das muss auf den Tisch, Sie können das doch nicht unter der Decke halten. Also ich finde, es ist völlig korrekt, dass das offenbart worden ist, und umgekehrt ist es richtig und korrekt, dass Herr Friedrich sich dazu erklärt hat. Ich glaube, dass das eine schwierige Situation war. In extremen Ausnahmefällen müssen die Spitzen einer Fraktion informiert werden. Stellen Sie sich bitte mal vor, jetzt ein gegriffener Fall, Sie haben jemanden in einer Fraktion, der für einen anderen Staat nachrichtendienstlich arbeitet, also Spion oder so etwas, ja, da müssen Sie doch die Spitze dieser Fraktion, warnen. Wenn Sie mitten in Koalitionsverhandlungen stecken und Personalentscheidungen getroffen werden von besonderer Tragweite - und Herr Edathy war im vergangenen Herbst ein sehr prominenter Abgeordneter -, dann spricht doch vieles dafür, dass es dann einen Hinweis geben muss. Ich sehe auch überhaupt nicht, wieso das eingreifen soll in irgendwelche strafrechtlichen Ermittlungen. Wir sind als Abgeordnete sozusagen kraft Verfassung Geheimnisträger. Ich habe in meinem beruflichen Leben sehr häufig Staatsgeheimnisse erhalten und habe damit vernünftig umgehen müssen, das ist auch die Regel.
"Viele Menschen haben von dem Verdacht gewusst"
Kaess: Die Frage ist ja hier, Herr Wiefelspütz, ob tatsächlich vernünftig damit umgegangen wurde. Warum mussten denn so viele in der SPD-Spitze informiert werden, dass sogar jetzt die Staatsanwaltschaft Hannover sauer ist darüber, dass so viel nach außen gedrungen ist.
Wiefelspütz: Also Sie unterstellen, dass aus der SPD-Spitze etwas herausgedrungen ist.
Kaess: Die Frage stellt sich natürlich jetzt.
Wiefelspütz: Ja, die Frage darf man stellen, aber man darf eben halt - ich meine das jetzt nicht kritisch an Ihre Adresse - man darf nichts unterstellen. Bitte gehen Sie davon aus, alle 16 Landeskriminalämter plus Bundeskriminalamt, jede Menge Minister haben von diesem Verdacht gewusst in Niedersachsen und anderswo.
Kaess: Aber in Erklärungsnot ist jetzt eben auch die SPD-Spitze.
Wiefelspütz: Warum?
Kaess: Weil der Verdacht im Raum steht, dass über die SPD-Spitze etwas nach außen gedrungen ist und zu Herrn Edathy gelangt ist.
Wiefelspütz: Also ich bitte sehr um Verständnis, das halte ich für eine Unterstellung. Wenn Sie einen Verdacht haben, dann müssen Sie Anhaltspunkte dafür haben. Dass Herr Edathy sozusagen auf dem Schirm unserer Ermittlungsbehörden war, haben Hunderte von Menschen in Deutschland gewusst, davon dürfen Sie ausgehen: 16 Landeskriminalämter, jede Menge Polizeibeamte, jede Menge Regierungsmitglieder auf der Landesebene. Damit will ich überhaupt nicht irgendwo den Schwarzen Peter in irgendeine Richtung spielen, sondern ich bitte einfach darum, dass man fair und korrekt ist an dieser Stelle. Die Unterstellung, dass aus der SPD-Spitze sozusagen in strafrechtliche Ermittlungen eingegriffen worden ist, halte ich für eine bösartige Unterstellung, wenn man nicht mehr hat als eine Behauptung und eine Spekulation.
Opposition muss kritische Fragen stellen
Kaess: Wie kann die SPD diese Vorwürfe jetzt entkräften, was muss Sie leisten?
Wiefelspütz: Offenlegen, was man weiß, und ich denke, das ist geschehen durch die Erklärung von Oppermann. Ich glaube nicht, dass da weiterer Erklärungsbedarf ist. Im Übrigen sind wir alle miteinander sehr daran interessiert, dass das gesamte Verfahren in Sachen Edathy zügig, transparent und offen vorangetrieben wird - im Interesse aller ist das. Und sollte in irgendeiner Weise irgendjemand nachweislich ein Fehlverhalten in diesem Zusammenhang begangen haben, wird auch das zu würdigen sein, aber bitte schön auf der Grundlage von Fakten und nicht auf Grundlage von Spekulationen.
Kaess: Sie sagen, Herr Wiefelspütz, die Aufklärung ist schon erfolgt. Wir haben gerade von Katrin Göring-Eckardt von den Grünen gehört, also aus Oppositionsseite, da muss noch jede Menge Aufklärung folgen und der Innenausschuss wird sich nächste Woche damit auseinandersetzen. Also, es ist doch noch nicht alles klar?
Wiefelspütz: Also wenn die Opposition ihren Job macht, dann ist das ihr gutes Recht, weiter Fragen zu stellen, und dass das vor den Innenausschuss des Deutschen Bundestages gehört, ist auch völlig normal. Da muss Rede und Antwort gestanden werden, wie sich das gehört, und das finde ich völlig normal. Die Opposition - ich sag es mal etwas drastisch und etwas platt - wäre ja ihr Geld nicht wert, wenn sie das nicht auch aufgreifen würde. Das halte ich für völlig normal, das ist parlamentarische Demokratie, und da bleiben die Ergebnisse abzuwarten.
Kaess: Die Meinung und die Einschätzungen von Dieter Wiefelspütz, ehemals innenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Danke schön für das Gespräch heute Morgen!
Wiefelspütz: Ich bedanke mich!
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