8000 Kilometer Luftlinie entfernt von Kiew, erleben die Menschen in der kanadischen Provinz Alberta den Krieg in Europa besonders intensiv. Täglich berichten die lokalen Fernsehnachrichten darüber, wie blank die Nerven liegen:
“Schrecklich. Ich habe Familie dort”, sagt eine Frau im Interview.“Wir sind bereit, unser Leben für unsere Freiheit und die der ganzen Welt zu opfern. Das ist sehr schwer, aber wir haben keine Wahl", ein Mann.
Der Grund für die Emotionen: In der Region leben mehr Auswanderer mit ukrainischer Herkunft als irgendwo sonst auf der Welt. Sieht man einmal ab von Russland. Viele kamen bereits vor hundert Jahren. Aber die Welle ebbte auch seit der Unabhängigkeit der Ukraine nicht ab.
Edmonton ist das Zentrum. Aber auch eine Stadt, in der in der kalten Jahreszeit fast nichts so wichtig ist wie Kanadas populärste Wintersportart: Eishockey. Was bedeutet, dass man sich mit dem örtlichen Proficlub identifiziert: mit den Edmonton Oilers.
Vertreter der Clubs und nicht des Vaterlandes
Seit dem Überfall der russischen Armee sind die Fans allerdings mit einer hässlichen politischen Realität konfrontiert. Die National Hockey League, in der mehr als 40 russische Spieler unter Vertrag stehen, aber kein einziger Ukrainer, beendete zwar ihre geschäftlichen Beziehungen mit Russland. Aber anders als viele Sportorganisationen, die Verbände und Aktive ausgeschlossen und Veranstaltungen abgezogen haben, zeigt man sich eher besorgt über das Wohlergehen der Profis aus Russland. Die seien schließlich als Vertreter ihrer NHL-Clubs im Einsatz und nicht als Vertreter ihres Vaterlandes, hieß es in einer Stellungnahme.
Und weil ihnen und ihren Familien in der Heimat Repressalien drohen, wo jede freie Meinungsäußerung bestraft wird, spielen auch die Medien bei diesem Spiel mit. Erklärungen wie die des von Superstar Alexander Owetschkin in dem ersten Tagen des Krieges werden nicht in Frage gestellt. Owetschkin:
“Nun, er ist mein Präsident. Aber wie ich schon sagte: Ich bin Sportler, kein Politiker. Ich hoffe, dass bald alles erledigt ist.”
Alexander Owetschkin spielt bei den Washington Capitals und ist alles andere als neutral. Er ist bekennender Putin-Sympathisant. Mehrere Fotos der beiden zieren auch heute noch seine Instagram-Seite. Als er mit seiner Mannschaft Anfang März in Edmonton antrat, wurde er zwar ausgebuht, sobald er am Puck war. Aber das waren Zuschauer, die sich vorher widerstandslos von Ordnern ihre Banner mit Texten in kyrillischer Schrift hatten abnehmen lassen. Das Provokativste, was man dem Russen servierte, war ein ukrainischer Chor, der die kanadische Nationalhymne anstimmte.
Die Ortszeitung “Edmonton Sun” lobte am nächsten Tag: Die Fans hätten Klasse gezeigt. Zwar habe man eine Menge ukrainische Flaggen auf der Zuschauertribüne gesehen. Aber die Mehrheit war in Oilers-Trikots gekommen. Keine Frage, für wen man die stärkere Solidarität empfindet. Für das Team, das ziemlich sicher an den in zwei Wochen beginnenden Playoffs der 16 besten Clubs der Saison teilnehmen wird.
"NHL nimmt Krieg nicht wichtiger, als einen ihrer Superstars"
Der Eishockey-Journalist Mark Spector, der für den Fernsehsender Sportsnet arbeitet und in Edmonton lebt, wundert sich nicht über die relativ verhaltenen Reaktionen. Die Position der NHL sei leicht nachzuvollziehen, sagte er dem Deutschlandfunk: "Die Liga verehrt Owetschkin. Er ist einer der größten Eishockey-Spieler aller Zeiten. Die NHL nimmt den Krieg in der Ukraine nicht wichtiger als einen ihrer Superstars. Das ist ziemlich klar.”
Und für die Prioritäten der Fans gebe es ebenfalls eine Erklärung: "Owetschkin ist gerade dabei, Wayne Gretzky, eine EdmontonerIkone, als erfolgreichsterTorschützen in der Liga-Geschichte vom Spitzenplatz zu verdrängen. Sie kennen seine politischen Ansichten. Aber dies ist eine Eishockeystadt. Um ehrlich zu sein, sie finden die Chance, einen solchen Stürmer zu erleben, wichtiger als das, was er derzeit politisch tut."