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Edvard Munchs "Der Schrei"
Inspiration aus den Wolken

Der Expressionist Edvard Munch malte vier Versionen seines berühmten Gemäldes "Der Schrei" - Bilder, denen eines gemeinsam ist: der dramatische Himmel. Psychologen haben diesen Himmel als Ausdruck der inneren Qualen des Malers gesehen. Norwegische Meteorologen stellten auf der Jahrestagung der Europäischen Geowissenschaftlichen Union nun eine alternative Erklärung vor.

Von Dagmar Röhrlich |
    Aufnahme einer Perlmuttwolke am 22. Dezember 2014 in Oslo.
    Aufnahme einer Perlmuttwolke am 22. Dezember 2014 in Oslo. (Svein M. Fikke)
    Als die Sonne untergegangen war, flammten über dem dunklen Oslofjord Wolken auf, schrieb der norwegische Maler Edvard Munch in sein Tagebuch: furchteinflößende Wolken wie blutrote Schwerter.
    "… und ich fühlte, dass ein gewaltiger, unendlicher Schrei durch die Natur ging."
    Nach diesem Eintrag entstand die erste Version seines Gemäldes "Der Schrei": eine dramatische Szenerie unter einem Himmel, über den rote, orangefarbene und blaue Feuerzungen zu zucken scheinen. Für diesen besonderen Himmel haben norwegische Meteorologen eine Erklärung. Helene Muri von der Universität Oslo:
    "Nach unserer neuen Hypothese haben sogenannte Perlmuttwolken Munch zu seinem berühmten Gemälde inspiriert."
    Keine "normalen Wolken"
    Diese Wolken, deren wissenschaftlicher Name Polare Stratosphärenwolken Typ II ist, bilden sich nur selten und nur in hohen Breiten, in der Nähe der Pole:
    "Sie sind nicht wie normale Wolken, haben nichts mit dem Wettergeschehen hier unten in der Troposphäre zu tun. Sie entstehen vielmehr in der Stratosphäre darüber. Und zwar im Winter, denn die Temperaturen müssen auf minus 80 oder minus 85 Grad Celsius fallen - von den dort sonst üblichen minus 60 Grad. Außerdem muss es Feuchtigkeit in der Stratosphäre geben. Diese Bedingungen entstehen an der windabgewandten Seite von Gebirgen, wo feuchte Luft aus der Troposphäre hinauf in die Stratosphäre aufsteigen und weiter abkühlen kann. In 15 bis 20 Kilometer Höhe bilden sich dann winzige Eiskristalle."
    Dieser Eisschleier ist zu dünn, als dass er tagsüber zu beobachten wäre. Nur vor Morgendämmerung oder nach Sonnenuntergang flammt er plötzlich am dunklen Himmel auf: Wenn die Sonnenstrahlen die Eiskristalle von unten her beleuchten, streuen und sie das Licht, und es erscheinen wellen- und flammenförmige Strukturen in allen Farben des Spektrums:
    Sie sind prachtvoll und spektakulär. Die Farben verändern sich, je tiefer die Sonne unter dem Horizont verschwindet oder je höher sie steigt. Svein Fikke, der Hauptautor der Studie, hat sie im Dezember 2014 in Oslo gesehen, und sie haben ihn sofort an Munchs Gemälde erinnert. Auch ich habe diese Wolken gesehen, und deshalb halte ich es für sehr wahrscheinlich, dass dieses Naturereignis der Anlass für Munchs Bild war.
    Mehrere Hypothesen
    Bislang gibt es zwei Hypothesen dazu, was hinter dem ungewöhnlichen Himmel steckt: die eine sieht darin eine Spiegelung von Munchs Seelenzustand. Die andere erklärt es mit den Nachwirkungen des Krakatau-Ausbruchs in Indonesien im Jahr im 1883:
    "Die Vulkanaerosole in der Stratosphäre färbten die Sonnenuntergänge über Jahre hinweg prächtig rot. Aber das sieht ganz anders aus als diese bunten, wellenförmigen Wolken."
    Außerdem werden die Aerosole innerhalb weniger Jahre aus der Stratosphäre gewaschen: Munchs Tagebucheintrag, der - einem Freund zufolge - von einem einzigen Erlebnis zu stammen scheint, entstand jedoch erst neun Jahre nach dem Krakatau-Ausbruch.