Die anstehende parlamentarische Sommerpause habe eine zügige Entscheidung nötig gemacht, denn das Gesetz soll am 1. August in Kraft treten.
Zudem habe auch Brüssel ein Interesse daran, dass die deutsche Wirtschaft als Konjunkturlokomotive ganz Europa mitziehe. Wichtig sei aber auch, dass das deutsche Energierecht mit dem Europäischen Wettbewerbsrecht in Einklang stehe.
Das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) dient dazu, Energiegewinnung aus erneuerbaren Quellen wie Sonne und Wind zu fördern. Mit der ersten größeren Reform seit 14 Jahren sollen die staatlichen Subventionen auf Dauer sinken. Die Brüsseler Behörde hält die Ökostrom-Reform für rechtswidrig und verlangt weniger Ausnahmen für die deutsche Industrie.
Das Interview in voller Länge:
Mario Dobovisek: Eigentlich war alles bereits ausgemacht, am Freitag sollte es vom Bundestag nach Monaten der Debatte beschlossen werden: das runderneuerte Gesetz zur Förderung erneuerbarer Energien, kurz EEG. Doch dann flatterte sprichwörtlich in letzter Minute ein Brief aus Brüssel herein: als Absender EU-Wettbewerbskommissar Almunia und seine Wettbewerbshüter mit ihrer grundsätzlichen Kritik an der Ökostrom-Umlage und den neuen Regelungen – Stichwort Gleichbehandlung bei selbstgenutzter Energie. Ein Schock für die Große Koalition. Es folgten Krisentreffen und ein neuer Kompromiss im Eiltempo.
Am Telefon begrüße ich Günther Oettinger, EU-Energiekommissar in Brüssel. Guten Morgen, Herr Oettinger!
Günther Oettinger: Guten Morgen.
Dobovisek: War es nötig, so kurz vor der parlamentarischen Abstimmung in Berlin noch von Brüssel aus hineinzugrätschen?
Oettinger: Wir haben ja in den letzten Tagen noch mal zwei Probleme diskutiert. Das eine Thema war aber seit eigentlich Wochen bekannt: Wie regeln wir die Eigenstromproduktion. Und da gab es seit längerem mögliche Konzepte und es gab auch Änderungswünsche in den Regierungsfraktionen. Und jetzt wird man sehen, ob das, was in diesen Tagen auf dem Weg zur Verabschiedung ist, mit dem europäischen Wettbewerbsrecht vereinbar ist.
Ein anderes Thema wird in dieser Woche nicht lösbar sein. Da geht es um die Frage, wie behandelt man Stromproduktion aus europäischen Nachbarländern. Da gibt es ja auch ein absehbares Urteil nächste Woche in einem finnischen und schwedischen Fall. Da wollen Stromproduzenten auf finnischen Inseln, die dem schwedischen Festland vorgelagert sind, dort hineinspeisen und die Vergütung aus Schweden bekommen. Deswegen ist es hier sinnvoll, die Frage im Augenblick zurückzustellen, auch die von dem juristischen Dienst aus Brüssel aufgeworfenen Fragen zurückzustellen und alles im Lichte des Urteils, das zum 1. Juli kommen wird, zu beleuchten.
"Gesetz muss zum 1. August kommen"
Dobovisek: Sollte Berlin also noch warten mit dem Gesetz?
Oettinger: Das wird nicht möglich sein. Warum? – Die Abgeordneten haben die parlamentarische Sommerpause und man kann in keinem Fall im September oder Oktober die Angelegenheit erst entscheiden, denn die deutsche Industrie will auf 1. Januar weiter die Strompreisermäßigungen, um mit vertretbarem Strompreis auch in Zukunft produzieren zu können, und deswegen braucht man die entsprechenden Bescheide. Die Anträge auf Ermäßigung von dem Erneuerbaren-Energien-Gesetz und der Umlage sind ja gestellt, müssen entschieden werden, und die können nur entschieden werden, wenn das Gesetz novelliert ist. Deswegen haben wir ein Problem, dass in dieser Woche die EEG-Novelle durch den Bundestag gehen muss, um rechtzeitig im Herbst die Bescheide zu bekommen und dann ab 1. Januar zu vermeiden, dass zu hohe Strompreise die Produktion in wichtigen Industriesektoren praktisch unmöglich machen.
Dobovisek: Klingt so, Herr Oettinger, als würden Sie, Kommissar in Brüssel, die Große Koalition in Berlin verteidigen.
Oettinger: Ja, ich bin da um einen Ausgleich bemüht. Wir haben auch europäisch kein Interesse daran, dass die deutsche Industrie mit zu hohen Stromkosten im globalen Wettbewerb nicht mehr mithalten kann. Die deutsche Wirtschaft allgemein und die deutsche Industrie ist eine Lokomotive für den europäischen Arbeitsmarkt, und die am laufen zu halten, ist nicht nur ein Ziel der Großen Koalition, sondern auch ein Ziel der Kommission in Brüssel.
"Strom ist nicht irgendwie allein national regelbar"
Dobovisek: Hat sich denn Joaquin Almunia, der Wettbewerbskommissar, zurecht eingeschaltet?
Oettinger: Ich glaube ja. Man muss ja sehen: Dass die Kommission und dass Herr Almunia überhaupt tätig geworden sind, hat ja mit Beschwerden aus Deutschland zu tun. Es waren Unternehmen aus Deutschland und Stromverbraucher aus Deutschland, die sich an die Kommission mit Beschwerden gewandt haben, seit Jahren schon, und die mussten bearbeitet werden. Und das Ziel dieser Tage und des Verfahrens seit einigen Wochen muss darin bestehen, Klarheit zu schaffen und dafür zu sorgen, dass das deutsche Energierecht mit europäischem Wettbewerbs- und Binnenmarktrecht vereinbar wird. Das Grundproblem ist ja: Strom ist nicht irgendwie allein national regelbar, sondern Strom ist ein Produkt im europäischen Binnenmarkt. Deswegen müssen alle Stromregeln mit dem europäischen Wettbewerbsrecht vereinbar sein.
Dobovisek: Hat Berlin also seine Hausaufgaben nicht ordentlich gemacht?
Oettinger: Wir haben ja einen gigantischen Prozess. Zum einen: Die erneuerbaren Energieträger, also Windstrom und Solarstrom, waren ganz zarte Pflänzchen und waren letztendlich keiner Wettbewerbslage gegenüber fraglich. Aber jetzt haben sie eine immer stärkere Bedeutung. Da geht es um Milliarden, da geht es um Milliarden der Förderung und auch um Milliarden an Kosten, und deswegen war es jetzt höchste Zeit, einmal grundlegend für die Zukunft zu regeln, wie die Förderung von erneuerbarem Strom mit europäischem Wettbewerbsrecht und mit europäischen Gebietsgrenzen vereinbar wird.
Dobovisek: Aber offensichtlich ist das der Großen Koalition ja nicht gut gelungen, wenn so kurz vorher noch der Blaue Brief sozusagen aus Brüssel von Herrn Almunia kommt, obwohl, wie die Koalition sagt, seit Monaten ein enger Kontakt mit der Kommission in Brüssel bestand.
Oettinger: Das Ganze war ja ein enorm großes Aufgabengebiet. Da gab es eine Fülle von offenen Fragen und Problemen. Und die meisten waren gelöst. Da haben der Wirtschaftsminister, aber auch die Kanzlerin seit Januar mit uns eng abgestimmt die entsprechende Novelle vorbereitet. Dass dann auf der Zielgeraden noch zwei, drei Themen offen bleiben, war bei der Fülle der Probleme eigentlich kaum vermeidbar.
"Sich die Schuld nicht gegenseitig zuschieben"
Dobovisek: Können Sie trotzdem die Verärgerung in Berlin nachvollziehen? Die Worte gestern waren ja relativ deutlich, wir haben einige davon gehört.
Oettinger: Ich glaube, es tun alle gut daran, wir in Brüssel und auch die Abgeordneten und die Regierung in Berlin, nicht die Schuld gegenseitig zuzuschieben, sondern zu erkennen, da hat sich in Deutschland ein Problem aufgebaut. Wer hätte vor Jahren daran gedacht, dass es um 23 Milliarden Euro pro Jahr geht, dass der Strompreis in Deutschland mit zum höchsten der Welt gehört und deswegen die Industrie Überlebenssorgen hat. Aber ich glaube, wir haben jetzt einen tragbaren Kompromiss gefunden, der die deutsche Stromförderung und die deutschen Stromkosten und die Ermäßigungen davon mit europäischem Wettbewerbsrecht auf Dauer vereinbar macht.
"EU-Wettbewerbspolitik und deutsches Energierecht müssen harmonieren"
Dobovisek: Jetzt gibt es also einen neuen Kompromiss, gestern Abend in den Fraktionen, den Regierungsfraktionen in Berlin auch beschlossen, sozusagen im Eiltempo. Es geht um die EEG-Umlage für selbsterzeugten und genutzten Strom, zum Beispiel auf Fabrik- oder Supermarktdächern. Wirtschaftsminister Gabriel wollte die Industrie dabei stärker entlasten, Brüssel sagte nein, jetzt werden Gewerbe und Industrie am Ende 40 Prozent der üblichen Umlage zahlen müssen, deutlich mehr als geplant. Gefährdet das Jobs in Deutschland, wie Sigmar Gabriel sagt?
Oettinger: Der Strompreis für die Industrie hat ja mehrere der Komponenten. Eine ist die EEG-Umlage und die ganze oder teilweise Befreiung davon. Aber es gibt viele andere Komponenten. Die Abgabenlast und die Steuerlast ist in Deutschland auch sehr, sehr hoch. Das heißt, man sollte nicht nur den einen Kostenfaktor, der von Brüssel kommt, sehen, sondern auch die vielen Kostenfaktoren, die im deutschen Energierecht stecken, Konzessionsgebühr, Umsatzsteuern, Ökosteuern, KWK-Umlagen, all dieses sehen. Dann, glaube ich, tun beide Seiten gut daran, sensibel mit dem anderen Partner umzugehen. Es geht nur gemeinsam. Die europäische Wettbewerbspolitik und das deutsche Energierecht müssen gemeinsam harmonieren. Dann kann daraus eine halbwegs kluge Politik werden.
Dobovisek: Der für die Energie zuständige EU-Kommissar Günther Oettinger über den Streit mit der Bundesregierung über die Neuregelung zur Ökostrom-Umlage.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.