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Egmont R. Koch/Michael Wech: Deckname Artischocke. Die geheimen Menschenversuche der CIA.

Zur Zeit suchen bekanntlich UNO Inspekteure im Irak nach Beweisen für die Herstellung und den Besitz von sog. Massenvernichtungsmitteln. Ganz abgesehen davon, dass wo immer solche Waffen auftauchen, westliche Geschäftemacher nicht weit sind, erhebt sich die Frage, ob denn die politischen Veranlasser dieser Inspektionen so recht die Geeigneten sind, um sich in die Pose der Retter der Menschheit zu werfen. Wenn man das Buch ‚Deckname Artischocke' gelesen hat, kommen einem daran jedenfalls berechtige Zweifel. Egmont R. Koch und Michael Wech haben darin ihre Recherche über die geheimen Menschenversuche des US-amerikanischen Geheimdienstes CIA zu Papier gebracht. Walter van Rossum stellt Ihnen das Buch vor.

Walter van Rossum |
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    Es ist ein klein wenig kränkend zu erfahren, wie simpel der Mann an sich gestrickt ist. Ziemlich erschreckend ist es zu erfahren, dass Organisationen wie die CIA sich solcher Erkenntnisse bedient haben, um Tausende von ahnungslosen Bürgern auszuhorchen. Und zwar in Bordellen unter Staatsaufsicht, betrieben von öffentlich-rechtlichen Zuhältern, die hinter falschen Spiegeln zuschauten und mit versteckten Mikrophonen alles aufzeichneten. So geschah es in den 50er und 60er Jahren in mindestens zwei Etablissements in New York und San Francisco. Dabei ging es nicht einmal um konkrete Ermittlungen gegen bestimmte Personen, sondern um groß angelegte allgemeine Experimente, wie man Männer in Bordellen zum Sprechen bringen kann, besonders dann, wenn man ihnen vorher jede Menge Drogen verpasst hatte - wie z. B. LSD oder andere halluzinogene Stoffe bzw. psychowirksame Medikamente aller Art. Manchmal ging es auch einfach nur um Erfahrungen mit Präparaten, die Durchfall und Übelkeit, Schwindel oder Desorientierung, Depression oder Paranoia auslösen. Kurz, selbst wenn man sich die plattesten Verschwörungstheorien ausdächte oder sich dem absonderlichsten Verfolgungswahn ergäbe, so hätte man wahrscheinlich immer noch eine zu vornehme Vorstellung von den Experimenten, die die CIA mit Menschen angestellt hat.

    Dabei gehören die CIA-Bordelle noch zu den eher harmlosen Erscheinungen eines vielteiligen Programms, das unter dem Codenamen "Artischocke" streng geheime Menschenversuche aller Art durchführte. Seit August 1951 verbarg sich hinter diesem Decknamen ein verzweigtes Programm über ...

    ... die Entwicklung und Anwendung spezieller Techniken bei CIA-Verhören und in anderen verdeckten CIA-Aktivitäten, bei denen die Kontrolle über ein Individuum erwünscht wird.

    Wie es in einem CIA-Bericht aus jener Zeit heißt. Darin werden auch die einzelnen Methoden detailliert aufgeführt, die zur Anwendung kommen sollen, darunter auch Foltermethoden:

    Narko-Hypnose, Gehirnchirurgie, Elektroschock und Drogen wie Alkohol, Heroin, Marihuana und LSD.

    Der Biochemiker Frank Olson gehörte zu den leitenden wissenschaftlichen Mitarbeitern dieses Programms. Olson war CIA-Offizier, und eigentlich gehörte er zur sog. Special Operation Divison - einem geheimen Forschungszentrum für biologische und chemische Waffen in Maryland. Diese Spezialeinheit war noch während des 2. Weltkrieges gegründet worden. Es gab Gerüchte, Naziwissenschaftler könnten zuletzt noch Bomben mit Pesterregern entwickeln oder spezielle Giftgase in den Metropolen der Alliierten einsetzen. Zugleich ging es bei den Forschungen in Maryland jedoch von Anfang an darum, eigene B- und C-Waffen herzustellen und die Möglichkeiten ihres Einsatzes zu erkunden. Nach dem Krieg hatte die CIA keinerlei Bedenken, eine ganze Reihe von Nazi-Wissenschaftlern anzuwerben, die über große Erfahrungen beim Experimentieren mit biologischen und chemischen Stoffen verfügten: Sie hatten diese Stoffe an Menschen, vornehmlich an KZ-Häftlingen, ausprobiert. Wohlgemerkt, die Central Intelligence Agency, die CIA, hatte die Deutschen nicht trotz, sondern wegen ihrer berüchtigten Forschungsmethoden angeheuert.

    Frank Olson wurde nicht alt. Er starb im November 1953 nach dem Sturz aus dem 13. Stock eines New Yorker Hotels. Offizielle Todesursache: Selbstmord infolge von Depressionen. 20 Jahre später wurde der Fall zum ersten Mal wieder aufgerollt: Diesmal lautet die offizielle Todesursache: Selbstmord infolge von LSD-Selbstversuchen. Heute, also fast 50 Jahre nach dem Tod von Frank Olson, gibt es eine neue inoffizielle Todesursache, die der Wahrheit ziemlich nahe kommen dürfte: Frank Olson wurde von der CIA ermordet. Und zwar aus einem einfachen Grund: Olson wollte bei seiner Firma aussteigen. Doch niemand kündigt der CIA.

    Vom Hintergrund dieses Todes handelt der Dokumentarthriller von Egmont Koch und Michael Wech. Die Ermittlungen der beiden renommierten Wissenschaftsjournalisten über Olsons Tod führen mitten in die grausamen "Artischocke"-Experimente. Koch und Wech erklären, warum Olson in den letzten Monaten seines Lebens tatsächlich starken psychischen Erschütterungen ausgesetzt war. Ihm sei nämlich klar geworden, dass biochemische Stoffe an Menschen gegen ihren Willen und ohne ihr Einverständnis ausprobiert worden waren. Bei nicht wenigen dieser Experimente wurde der Tod nicht nur in Kauf genommen, er war von vorneherein beabsichtigt. Die Probanden für diese Menschenversuche fand man in Strafanstalten, Krankenhäusern, Kinderheimen, Psychiatrien, in der Armee oder unter Kriegsgefangenen im Ausland. Dabei wurden alle Arten von Gehirnwäsche nach dem jeweils neuesten Stand der Forschung ausprobiert: seien es reine Drogenversuche oder hirnchirurgische Eingriffe, bei denen bestimmte Teile des Gehirns mit dem Skalpell manipuliert, manchmal allerdings auch mit Stromkabeln durchzogen wurden. Wie viele Menschen dabei zu Tode kamen oder als psychische Krüppel endeten, lässt sich heute nicht mehr feststellen. Man weiß nicht einmal genau, wie viele Menschen diese Tortur erleiden mussten. Es sollen Tausende sein.

    Doch damit nicht genug. Fast zeitgleich erfuhr Frank Olson noch von einem ganz anderen Experimentierfeld: Die US-Amerikaner setzten während des Koreakrieges biochemische Kampfstoffe zu Testzwecken unter realen Schlachtfeldbedingungen ein. Deshalb wollte Frank Olson nun aussteigen, was er nicht durfte, weshalb man ihn aus dem Fenster eines Hochhauses warf - genauso wie es in dem geheimen Handbuch der CIA für Morde ohne Spuren empfohlen wurde.

    Das Buch von Egmont Koch und Michael Wech bietet sehr viel mehr als die Aufklärung eines historischen Kriminalfalles. Es begnügt sich auch nicht mit der Empörung über die geheimdienstlichen Machenschaften vergangener Zeiten. Auf jeder Seite wird dem Leser klar, dass es einer Reihe von Zufällen und besonders hartnäckiger Nachforschungen bedurfte, um wenigstens einen Bruchteil jenes Skandals aufzudecken. Erst so lässt sich die Gefährlichkeit dieser riesigen und unkontrollierbaren Staatsschmutzdienste in ihrem ganzen Ausmaß erfassen.

    Offiziell wurde das Artischocke-Programm Anfang der 70er Jahre eingestellt und die Entwicklung von B- und C-Waffen verboten. Doch die beiden Journalisten lassen kaum Zweifel daran, dass die Themen und Ziele des "Artischocke"-Programms keineswegs einer fernen Vergangenheit angehören. Mit großer Wahrscheinlichkeit verfügt die CIA ebenso wie das Militär über verbotene biochemische Kampfstoffe aller Art. Jedenfalls stammten die Erreger für die Serie von Milzbrandfällen vor einem Jahr entgegen der anfänglich lancierten Behauptung, sie könnten aus dem Irak geschickt worden sein, aus einschlägig bekannten staatlichen Quellen der Vereinigten Staaten von Amerika.

    Deckname Artischocke. Die geheimen Menschenversuche der CIA, erschienen im Bertelsmann Verlag. Es hat 352 Seiten und kostet 23,90 Euro.