Egon Schieles "Selbstbildnis mit gesenktem Kopf" hängt gleich im ersten Raum der Ausstellung. Es zeigt den Künstler, der direkt dem Betrachter zugewandt ist, mit einem Blick, dunkel, aus übergroßen Augen, der aus Abgründen der menschlichen Existenz zu kommen scheint. Zugleich fragt das Gemälde nach den Abgründen des Betrachters, beschwörend, als wolle da einer unmittelbar wissen, was denn das sei, der Mensch und das Ich.
Das Selbstbildnis entstand 1912. Egon Schiele ist da 22 Jahre alt. Er beschäftigt sich mit Sigmund Freuds Psychoanalyse, mit Spiritismus und Fragen der Mystik sowie dem Ausdruckstanz und den expressiven Posen des Stummfilms. Daneben hat er längst seine eigene subjektive Symbolik und Körpersprache entwickelt, seinen eigenen "Weltinnenraum".
Das großformatige Gemälde "Der Selbstseher" zeigt ein Doppelwesen, eine männliche, ein wenig abstrahierte Gestalt, offenbar aber doch Schiele selbst, und dahinter eine weitere weißliche Figur, die die erste fast schützend umfängt. Schiele hatte dem Bild noch einen zweiten Titel verliehen: "Tod und Mann". Der Künstler glaubte, dass Tod und Leben eine Einheit seien und das Leben ein beständiges Sterben, sagt Kuratorin Karin Rhein.
"Er hatte das Leben immer als ein Prozess des Sterbens angesehen. Am Endpunkt steht dann eben der Tod, und er zeigt ja manchmal diese deformierten, leidenden Körper, diese Märtyrerkörper, in denen er sich auch oft selbst sieht, also, ich glaube das das heute bei uns auch noch sehr starke Empfindungen erregt. Und gleichzeitig wirken seine Werke eben heute auch noch wahnsinnig modern."
Der Existenzialist, nicht der Erotomane
Die Exponate, allesamt hochkarätige Leihgaben, stammen aus dem Leopold-Museum in Wien. Die Schweinfurter Ausstellung im Gedenkjahr- Schiele starb 1918 mit nur achtundzwanzig Jahren an der Spanischen Grippe - ist aber ausdrücklich keine Retrospektive. Sie konzentriert sich, indem sie die sonst übliche Fokussierung auf Schiele als Erotomanen weitgehend vernachlässigt, ganz auf den Existenzialisten Schiele. Einen Maler, der das eigene Ich immer wieder als Spiegel benutzt, um die zusehends nervöser werdende Grundstimmung zu Beginn des 20. Jahrhunderts einzufangen. Er erprobt zugleich die Freiheit des Ich und provoziert sie bis in ihre Extreme.
"Ich glaube, warum Schiele auch heute noch so interessant ist für viele, eben gerade, weil er so stark um das Ich kreist. Und wir leben, glaube ich, immer noch in einer Gesellschaft, wo das Ich immer noch weiter an Bedeutung gewinnt. Das fängt in der Schiele-Zeit schon an, das weiß man eben auch aus Literatur, aus Berichten der Zeit, dass damals schon der Eindruck entstand und heute vielleicht noch mehr. Also wie viele kreisen in ihren Instagram- oder Facebook-Accounts oder Internetauftritten eben nur noch um die eigene Person, wobei Schiele da doch eben einen Schritt weiter geht und es auf das allgemeine Befinden oder allgemeine Existenzängste Nöte und so weiter bezieht."
Ein Raum widmet sich dem Thema Selbstporträt und Selbstinszenierung, ein anderer den verstörenden Körpern und extremen Posen, wieder ein anderer der Natur als Spiegel des Ich. Das Bild "Herbstbaum in bewegter Luft" wirkt beinahe abstrakt, die Bildfläche wie zersplittert, fragmentiert, so, wie auch Freud die mehrfache Gespaltenheit des Ich analysierte.
Symptomatisch in diesem Zusammenhang ist auch das Bild "Die grüne Hand" von 1910. Die blasse Bleistiftzeichnung formuliert die Konturen eines Körpers und mittendrin, schwebend, wie ein Fremdkörper, eine grüne verkrümmte Hand. Schiele hatte sich zu diesem Zeitpunkt mit Rainer Maria Rilkes Roman "Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge" beschäftigt. Darin spielt gleichfalls eine Hand, die ein Eigenleben bekommt, eine Rolle.
Es geht auch um Religion und Krieg
Die viele Hintergründe erhellende, kluge Ausstellung versäumt nicht, auf Schieles zahllose Malexperimente hinzuweisen. Bei der Aktstudie von 1908 etwa hat der Künstler sich porträtiert, indem er neben einem auf dem Boden liegenden Spiegel stand. Er klettert auf Leitern, um seine Modelle aus ungewöhnlicher Perspektive zu malen. Den Figuren verwehrt er zudem oft jeglichen Halt. Dem befreundeten Kunstkritiker Arthur Roessler nimmt er im Bild den Stuhl, auf dem er Modell saß. Die Figur scheint so durch den Raum zu fliegen.
Daneben beschäftigt sich die Ausstellung auch mit Schieles Verhältnis zur Religion und widmet ein Kapitel dem Ersten Weltkrieg. Schiele malte russische Kriegsgefangene und gab jedem dabei einen Namen. Als wolle er sagen, das Ich ist zwar verloren in dieser Welt, es besitzt aber Würde.