Lore Maria Peschel-Gutzeit im Porträt
Lore Maria Peschel-Gutzeit war seit den 1970er-Jahren eine der einflussreichsten Juristinnen und Rechtspolitikerinnen in Deutschland. Als Vorsitzende des Deutschen Juristinnenbundes sowie als Justizsenatorin in Hamburg und Berlin war sie eine Vorkämpferin für Frauenrechte und für die bessere Vereinbarkeit für Familie und Berufstätigkeit.
Geboren 1932 in Hamburg, machte die Tochter eines Wehrmachtsgenerals und einer Lehrerin als eine der ersten Frauen zunächst als Richterin Karriere. Nach dem frühen Tod ihres ersten Ehemannes und der Scheidung vom Vater ihrer drei Kinder war sie zudem alleinerziehende Mutter. In einer von Männern dominierten Berufswelt setzte sie sich mit einer Mischung aus Selbstbewusstsein, Gestaltungswillen und Kompromissbereitschaft durch.
In ihrem Auftritt pflegt Peschel-Gutzeit einen betont konservativen Stil. In der Freizeit begeisterte sie sich als Hobby-Rallyefahrerin für hohes Tempo in unwegsamem Gelände. Politisch fand sie ihre Heimat in der SPD. Auf die Lage der eigenen Partei und die politische Gegenwart in Deutschland blickt Peschel-Gutzeit mit Sorge. Bis heute arbeitet sie als Rechtsanwältin in Berlin.
Geboren 1932 in Hamburg, machte die Tochter eines Wehrmachtsgenerals und einer Lehrerin als eine der ersten Frauen zunächst als Richterin Karriere. Nach dem frühen Tod ihres ersten Ehemannes und der Scheidung vom Vater ihrer drei Kinder war sie zudem alleinerziehende Mutter. In einer von Männern dominierten Berufswelt setzte sie sich mit einer Mischung aus Selbstbewusstsein, Gestaltungswillen und Kompromissbereitschaft durch.
In ihrem Auftritt pflegt Peschel-Gutzeit einen betont konservativen Stil. In der Freizeit begeisterte sie sich als Hobby-Rallyefahrerin für hohes Tempo in unwegsamem Gelände. Politisch fand sie ihre Heimat in der SPD. Auf die Lage der eigenen Partei und die politische Gegenwart in Deutschland blickt Peschel-Gutzeit mit Sorge. Bis heute arbeitet sie als Rechtsanwältin in Berlin.
Jurastudium samt Naziliteratur
Stephan Detjen: Frau Peschel-Gutzeit, wir treffen uns hier in Ihrer Anwaltskanzlei in Berlin am Kurfürstendamm an dem Tag, nach dem uns die Nachrichten des Anschlags in Hanau erreicht haben. Das ist ein Thema, das in dieser Zeit nicht nur die Nachrichten beherrscht, sondern auch fast alle Gespräche, jedenfalls die, die ich führe, beruflich, privat, überlagert. Deshalb will ich das auch an dieser Stelle, an diesem Freitagmittag aufgreifen. Wie haben Sie das wahrgenommen und wie nehmen Sie im Augenblick die Reaktionen, auch die Diskussionen, die öffentliche Reaktion auf dieses Ereignis wahr?
Lore Peschel-Gutzeit: Ja, da muss man ja unterscheiden. Also ich war, das kann ja auch gar nicht anders sein, entsetzt und ganz sprachlos und fassungslos, als ich diese Nachricht hörte. Das ist die erste Reaktion. Und ich glaube, das wird mehr oder weniger jedem Menschen so gehen, wenn am hellerlichten Tage Menschen, die sich nicht kennen und die zufällig aufeinandertreffen, in der Weise aufeinandertreffen, dass einer den anderen umbringt, das ist also wirklich ganz, ganz grauenhaft und ein ganz schlimmes Zeichen für unsere Republik.
Detjen: Ja, und das ist ja die Frage, das ist jetzt nicht einfach ein Verbrechen, sondern das fällt in eine Zeit, in der wir eine Gesellschaft, tja, wie würden Sie es beschreiben, unter Druck, in extremen Spannungen, in einem Umbruch erleben. Und die Frage ist ja: Wie fügt sich dieses Ereignis und auch die Reaktionen darauf, die wir erleben, da ein in diese Situation?
Peschel-Gutzeit: Ich glaube, es fügt sich noch nicht. Es sind viele noch reaktionslos, außer, dass sie entsetzt sind, weil man es noch nicht wirklich einordnen kann. Aber mir ist deutlich geworden: Es ist ja keine neue Entwicklung. Es ist vielleicht eine neue Dimension, das kann schon sein. Aber zunächst mal: Als die Bundesrepublik gegründet wurde, hatten wir ja rechtsextreme Parteien durchaus im Bundestag. Das wissen viele nicht mehr, aber am Anfang, die NPD und die waren alle drin, oder DP, wie sie hieß. Damals hat man gesagt, um Gottes Willen, die braune Pest, die ist noch nicht erledigt durch die Kapitulation. Und dann hat sich das so allmählich erledigt.
Detjen: Hat man das, wenn ich gerade fragen darf, hat man das gesagt? Oder wie hat sich dieser Satz, diese Lehre eigentlich durchgesetzt, den wir lernen ja auch, die waren in vielen Teilen viel integrierter, als man sich das heute gerne wahrhaben machen will?
Peschel-Gutzeit: Das stimmt, aber genau das haben wir zum Beispiel als Juristen … Ich habe 1951 Abitur gemacht, also sehr früh Abitur gemacht und studiert, sofort angefangen, Jura zu studieren. Und da wurde uns schon gesagt in der Vorlesung – und auch deutlich –, dass Altnazis ganz bekannte Kommentatoren sind, alle Bücher, die wir in die Hand nahmen, das waren Altnazis. Also das war alles noch im Bewusstsein, man wusste, solche Leute sitzen im Bundestag, man wusste, die sind überall in der Gesellschaft noch vorhanden. Aber das hat sich dann im Laufe der Zeit etwas gegeben, und zwar sicherlich nicht von selbst, sondern oft auf biologische Weise, dass diese Menschen eben einfach nicht mehr am Leben sind und neue sind zunächst nicht nachgekommen.
Detjen: Aber wenn ich mit Blick auf die Justiz, diese Welt eben der Juristen, in die Sie da eingetreten sind, fragen darf: Sie sagen, man wusste das. Wusste man das wirklich, hat man es akzeptiert? Es ist ja eigentlich so, dass wir zum Teil erst heute auch mit Erschrecken sehen und lernen, wie gerade die Justiz, die Richterschaft – zuletzt haben wir die Akten über das Bundesjustizministerium in Bonn, die Akten Rosenburg kennengelernt, …
Peschel-Gutzeit: Die Akten Rosenburg, ja.
Detjen: Und eigentlich, jedenfalls für mich gilt das, mit Erschrecken gesehen, wie lange sich da die Nationalsozialisten, die alten Nazis in der Breite des Ministeriums gehalten haben, auch unter sozialdemokratischen Justizministern. Die Spitze war ausgetauscht, drunter war noch sozusagen die braune Substanz vorhanden.
"Ich will selbst wissen, was ist wo geregelt"
Peschel-Gutzeit: Ja, ja. Also ich habe es gewusst. Nun hat es eben auch damit zu tun, dass ich doch sehr bald nach Ende des Nazireiches angefangen habe, Jura zu studieren, und Jura habe ich studiert ganz bewusst, weil – als 1945 wir zum ersten Mal erfuhren von den Konzentrationslagern und so weiter – ich mir geschworen habe: Ich werde mich in meinem ganzen Leben nicht mehr so hinter das Licht führen lassen. Das war der wirkliche Beweggrund, warum ich Jura studiert habe, weil ich mir gesagt habe, ich will selbst wissen, was ist wo geregelt, warum ist es so geregelt und so weiter, sodass ich mich also auch schon vom ersten Semester an damit beschäftigt habe. Ich habe dann später, viel später als Senatorin herausgegeben, weil es interessanterweise nicht mehr am Markt war, den Nürnberger Prozess bezogen auf die Juristen. Nürnberger Prozess, weiß jeder, das waren die Oberbonzen, aber dass auch die einzelnen Berufe ja sozusagen rankamen in Nürnberg, war schon weniger bekannt, und das Juristenurteil war überhaupt nicht mehr bekannt, es existierte nur noch in einer englischen Fassung. Und dann habe ich gesagt, so seht ihr aus, und dann haben wir für eine Übersetzung gesorgt und ich habe ein Vorwort und ein Nachwort geschrieben und wir haben es herausgegeben, damit man sieht: Wer ist alles damals in der Justiz tätig gewesen und wie ist er – das waren ja alles Männer – abgeurteilt worden und was ist aus ihm geworden?
Detjen: Und trotzdem blieb ja die Erkenntnis, dass gerade die Justiz …
Peschel-Gutzeit: Ja, und zum Beispiel "Die Glocke" und so, das alles, das war uns wirklich bekannt.
Detjen: Klar, aber die Justiz, die Richterschaft war weitgehend von Kontinuitäten beherrscht, das ist ja dann erst viel später. Ingo Müller etwa, "Schreckliche Juristen", dieses Buch, …
Peschel-Gutzeit: Ja, Ingo Müller ist ja insoweit auch eine Ausnahme.
Detjen: Die das dann aufgearbeitet haben.
Peschel-Gutzeit: Also das kennzeichnet ja die ganze Justiz, aber da ich selbst sehr lange der Justiz angehört habe, kann ich das auch erklären. Die Richterinnen und Richter sind ja verpflichtet, das geltende Recht anzuwenden, auch wenn es ihnen nicht gefällt. Und darin liegt ein großer Konservativismus. Und wenn mir das nicht gefällt – das ist mir ja mehr als einmal so gegangen –, dann muss ich etwas unternehmen, damit das Gesetz geändert wird. Auch das habe ich ja mehrfach gemacht. Aber das kann ich nicht als Richterin machen. Das muss ich dann außerhalb machen, über politische Parteien, über Vereine, was weiß ich was, aber jedenfalls nicht als Richterin. Und insofern ist es nicht verwunderlich, dass Richter und Richterinnen normalerweise eher konservativ sind, weil sie gezwungen sind, das geltende Recht anzuwenden.
Detjen: Wir können da vielleicht noch mal drüber sprechen, wie sich auch Richterschaft sozial verändert hat. Aber lassen Sie uns noch mal zurückgehen in diese Nachkriegsjahre. Sie haben die Kriegsjahre ja auch noch als Jugendliche ganz bewusst miterlebt. Was war das für eine Atmosphäre, was war das für ein Elternhaus, das Sie da geprägt hat? Ihr Vater war Panzergeneral, ist ja auch erst ein paar Jahre nach dem Krieg zurückgekommen.
Ein konservativer Vater und eine freiheitliche Mutter
Peschel-Gutzeit: Mein Vater war General der Panzer, das war ein konservativer Mann, gar keine Frage. Aber er hatte das Recht zur Inkonsequenz. Zum Beispiel sagte er manchmal, nicht zu meiner Freude und auch nicht zur Freude meiner Schwester: Also Mädchen gehören ja mit 16 eingestampft – kleine Pause –, aber meine Tochter soll Bundesrichterin werden. Also er konnte sich selbst da auch auf den Arm nehmen. Er konnte mit der Emanzipation der Geschlechter nicht furchtbar viel anfangen. Das kann man vielleicht auch nicht, wenn man General der Panzer ist, ich glaube das nicht. Unsere Mutter war völlig anders, und die gab ihm ja auch Paroli, aber wirklich. Und da beide Skorpione gewesen sind, ein Tag Unterschied in den Geburtstagen, war es natürlich köstlich für uns Kinder, das mitzuerleben, denn unsere Mutter konnte wirklich argumentieren und sagte dann also auch mit aller Freundlichkeit: Hans, was du sagst, stimmt alles nicht. Also sie war ein sehr freiheitlicher Geist. Sie war wohl im Wesentlichen FDP-Wählerin, das glaube ich wohl, wir sprachen manchmal drüber, natürlich nicht dauernd, aber doch manchmal.
Vater war sicherlich CDU-Wähler, er war auch tätig für die Adenauer-Stiftung, hat Vorträge gehalten. Und unsere Mutter auch: Unsere Mutter gab ja Staatsbürgerkunde – sie war Lehrerin – als Unterrichtsfach, und machte in der Volkshochschule sehr viele Kurse für Erwachsene: Einführung in die Demokratie. Also ein ganz bewusster Mensch, unsere Mutter, sodass wir Kinder, ob wir wollten oder nicht, das alles mitkriegten. Und da mich das immer sehr interessiert hat, auch Geschichte sehr interessiert hat, war das ein dauernder … Ja, es war zumindest eine dauernde Unterhaltung über alle möglichen Themen. Und unsere Mutter hat zum Beispiel uns sehr früh erzählt, noch während des Krieges, dass sie schon vor 1933 in die NSDAP eingetreten war, weil sie überzeugt war von dem, was Hitler sagte, und schon 1934 hatte sie einen Prozess vor dem Parteigericht und flog aus der Partei, weil sie den Mund nicht halten konnte. Und das alles erzählte sie uns und sagte, ihr müsst immer den Mund aufmachen, das hilft alles nichts.
Detjen: Die Kindheit, Jugend spielt sich in Hamburg ab, und Sie sind dann zum Studium nach Freiburg gegangen.
Peschel-Gutzeit: Ja.
Detjen: Das war eine Juristenfakultät geprägt davon, dass die Juristen da mit den Nationalökonomen zusammen waren, Walter Eucken, Franz Böhm, also die Vordenker der sozialen Marktwirtschaft waren da wichtige Figuren. Welche Figuren haben Sie da geprägt? Frauen können es kaum gewesen sein, es gab keine.
Peschel-Gutzeit: Ich habe Franz Böhm erlebt.
Detjen: Böhm, ja.
Peschel-Gutzeit: Böhm kam rein und sagte, es gibt zwei Erbrechtler, der eine bin ich, der andere fällt mir gerade nicht ein. Wunderbar, ein ganz eingebildeter Mann, aber der natürlich was konnte.
Detjen: Frauen als Vorbilder gab es nicht.
Peschel-Gutzeit: Überhaupt nicht, weit und breit keine.
Detjen: Professorinnen wahrscheinlich gar nicht. Im Hörsaal kannten Sie auch die Situation, die einzige oder eine von gan z wenigen zu sein, oder?
Peschel-Gutzeit: In meinem Semester gab es etwa 200 Leute, es war durchaus voll, und ungefähr vier Frauen. Und ich habe so schöne Geschichten erlebt, die muss man erzählen, weil man es sonst nicht glaubt. In der ersten Reihe saß eine Kollegin, eine Kommilitonin, die schon weiter war als ich im Studium, und der Professor, Professor Raab, Römisch-Rechtler, gab ihr einen Fall und sagte, den wollen Sie bitte lösen. Ihr fiel überhaupt nichts ein. Nun wissen wir alle, ich habe 20 Jahre geprüft, ich weiß es also genau: Wenn ich die erste Frage nicht kann, kann ich die sechste und siebte auch nicht, denn dann setzt eine Blockade ein, das kriege ich dann nicht hin. So war das bei ihr auch. Er schoss sofort eine zweite Frage hinterher, sie wusste sie nicht, die dritte wusste sie auch nicht, saß da mit hochrotem Kopf, und er sagte zu ihr mit einem sehr schiefen Lächeln: Welches Semester sind Sie eigentlich? Und sie sagte wahrheitsgemäß, fünftes Semester, was ja schon eine ganze Menge war, denn ich habe nach sechs Semestern Examen gemacht. Dann sagte er zu ihr, vor allen: Na, da haben Sie ja schon viel Geld ausgegeben, um an einen Mann zu kommen. Und keine Hand rührte sich, kein Gezische, kein Geschurre, nichts, sondern alle nahmen das als selbstverständlich hin. Das war die Atmosphäre für Mädchen an der Universität 1951.
"Ich trinke doch morgens um zehn keinen Alkohol"
Detjen: Machen wir einen zeitlichen Sprung, Sie wurden dann Richterin, gingen zurück nach Hamburg und da war die Atmosphäre ja nicht wesentlich anders.
Peschel-Gutzeit: So ist es.
Detjen: Sie haben eine Autobiografie geschrieben, eine Szene ist mir in Erinnerung geblieben, die Richterin Lore Maria Peschel-Gutzeit will in eine andere Kammer, will sich mit einem anderen Themengebiet beschäftigen.
Peschel-Gutzeit: Pressekammer.
Detjen: Die Pressekammer. Und der Präsidialrichter, der da für Personalfragen zuständig ist, sagt Ihnen: Der Vorsitzende der Pressekammer nimmt keine Frauen.
Peschel-Gutzeit: So ist es.
Detjen: Da hätten wahrscheinlich junge Richterinnen heute schon zur Dienstbeschwerde gegriffen oder geklagt.
Peschel-Gutzeit: Zum Personalrat, zum Richterrat gehen, ja.
Detjen: Für Sie ist das ganz anders gelaufen.
Peschel-Gutzeit: Na, es gab gar keinen Richterrat, aber ich hätte es auch gar nicht gewusst. Der hat zu mir gesagt: Das können Sie vergessen, Herr Engelschall nimmt keine Frauen. Und da habe ich mir gesagt: Da schauen wir doch mal. Und da bin ich hingelatscht zu ihm, und er kannte mich nicht, ich kannte ihn nicht. Ich habe angeklopft und habe gesagt, Herr Engelschall, ich höre, Sie hätten so gern eine Frau in Ihrer Kammer. Ihnen kann geholfen werden. Und da war der so platt, der war richtig sprachlos. Und als er sich wieder gefasst hatte, bellte er so ein bisschen rum und sagte: Nehmen Sie Platz! Dachte ich, ja. Nehmen Sie einen Sherry! Um Gottes Willen, habe ich gedacht, es ist morgens um zehn, ich trinke doch morgens um zehn keinen Alkohol. Aber ich sagte wohlerzogen: Sehr gern. Und damit war das Gespräch eröffnet.
Detjen: Also Sie haben sozusagen wohlerzogen reagiert, haben sich auf das Spiel eingelassen, haben den Sherry getrunken, sozusagen die Prüfung bestanden.
Peschel-Gutzeit: Na, er hat mir gesagt, Sie wissen aber, dass ich keine Frauen nehme? Und da habe ich gesagt, nein, woher soll ich das wissen? Aber wenn es denn so ist, erklären Sie doch mal, warum. So, da hatte er den Ball in seinem Tor. Und dann stotterte er rum und sagte, Frauen können schwanger werden. Dann habe ich gesagt, das ist wohl wahr, ich habe zwei Kinder, aber was hat das mit der Pressekammer zu tun?
Detjen: Ich fand es interessant, diese Strategie, mit der Sie den Job dann am Ende bekommen haben. Er hat Sie ja genommen.
Peschel-Gutzeit: Ja.
Detjen: Sie haben ihn rumgekriegt.
Peschel-Gutzeit: Ja.
Detjen: Aber Sie schreiben in der Erinnerung auch: Ich wollte keine Kriegserklärung. Sie wollten sich das nicht kriegerisch erstreiten.
Peschel-Gutzeit: Nein, bestimmt nicht.
Detjen:Warum?
Konflikte durch Verhandlung lösen
Peschel-Gutzeit: Nein. Also ich bin der festen Überzeugung, dass man die allermeisten Konflikte, auch übrigens nicht nur innerhalb der Familie oder im Beruf, durch Verhandlung lösen kann. Aber da muss man sich was einfallen lassen. Und ich habe mir gedacht, wenn es heißt, er nimmt keine Frauen, dann muss es ja Gründe geben, die er nennt. Entweder sagt er, die haben Familie und die kommen nicht aus dem Knick, oder die sind zu dumm, kann man sich ja alles vorstellen. Ich wollte ihn ein bisschen rauskitzeln, mal so hören: Was ist eigentlich seine Begründung? Er hatte keine. Und da er ein intelligenter Mensch war, merkte er das natürlich sehr schnell, dass er gar keine hatte. Und da blieb ihm nicht viel anderes übrig, als zu sagen: Wir können es ja mal versuchen.
Detjen: Andere Frauen einer späteren Generation dann auch, Alice Schwarzer zum Beispiel, mit der Sie auch zusammengearbeitet haben, Sie haben sie juristisch beraten, die haben dann den Krieg erklärt, die haben den Kampf des Feminismus aufgenommen. Und Sie sagen, Sie haben sich nie als Feministin verstanden, oder diesen Begriff jedenfalls, sind auf Distanz zu diesen Begriffen gegangen, Feminismus, Emanzipation.
Peschel-Gutzeit: Na, ich habe zu Alice Schwarzer, mit der ich ja befreundet bin, immer gesagt: Wir haben ähnliche Ziele, aber ganz unterschiedliche Mittel der Durchsetzung. Du gehst auf die Straße und rührst die Trommel, das muss es auch geben, das weiß ich wohl, und ich argumentiere.
Detjen: Sie nehmen Sie heute, wenn Sie heute jungen Frauen begegnen, die ja auch schon wieder sich als eine neue Generation von Feministinnen verstehen, sich ja auch mit Alice Schwarzer, mit der ersten, zweiten Generation von Feministinnen ganz kritisch auseinandersetzen, wie nehmen Sie die heute wahr, wenn Sie ihnen auch als Anwältin im beruflichen Umfeld begegnen?
Männer und Frauen sind unterschiedlich
Peschel-Gutzeit: Also ich kann natürlich aus meiner Natur nicht heraus. Ich werde immer, würde auch immer versuchen, auch solche Konflikte, wie Sie sie eben andeuten, argumentativ zu lösen. Ich bin der festen Überzeugung, meistens sind es ja Männer, die Frauen im Wege stehen, dass Männer sehr gerecht denken, nicht, weil sie so gute Menschen sind, sondern die werden anders sozialisiert als Frauen. Männer, also Jungs, gehen ja ganz früh in Vereine, zum Beispiel Sportvereine, und dort muss man fair handeln. Also der Begriff der Fairness wird Jungs sehr früh vermittelt. Und wenn man sie da packt und sagt, das kann doch nicht dein Ernst oder Ihr Ernst sein, oder zum Beispiel sagt, Sie haben selbst Töchter, Sie wollen ja, dass Ihre Töchter was werden – das sind Dinge, die überzeugen sofort. Ich hatte mal einen Staatsanwalt, der hat gesagt, ich habe noch nie was für Frauen getan und will das auch weiterhin nicht tun, aber bei Ihnen mache ich eine Ausnahme, Sie könnten meine Tochter sein. Und da habe ich gesagt, notfalls würde ich auch das machen. Ja.
Detjen: Sie schreiben – auch das ist ein Satz, der mir aufgefallen ist in Ihrem Buch –, Sie schreiben: Männer und Frauen sind unterschiedlich.
Peschel-Gutzeit: Ja.
Detjen: Jetzt haben Sie eben auch Unterschiede auf soziale Prägungen zurückgeführt. Wie sehen Sie da das Verhältnis? Was ist an den Unterschieden gegeben, was ist soziale Prägung? Wo sind Männer und Frauen unterschiedlich, wo werden sie unterschiedlich gemacht und wo sind die Unterschiede dann entsprechend auch veränderbar?
Peschel-Gutzeit: Na, das ist ja fast eine philosophische Frage, also ich kann die auch nicht vollständig beantworten, aber man kann so was an Beispielen gut klarmachen. Ich bin inzwischen aufgrund meines langen Lebens und meiner vielen Erfahrung fest davon überzeugt, dass Männer besser mit Technik umgehen können zum Beispiel. Natürlich gibt es auch Frauen, die das können, aber Männer haben einen Sensus für Technik, wo Frauen sich immer erst mal selbst in die Kniekehlen treten müssen, um überhaupt mal eine Lampe anzufassen oder so etwas.
Detjen: Sie waren Rallye-Fahrerin, Frau Peschel-Gutzeit!
Peschel-Gutzeit: Richtig.
Detjen: Sie haben das widerlegt.
Peschel-Gutzeit: Ich spreche ja auch nicht von mir, ich spreche ja generell von den Unterschieden der Geschlechter. Das ist zum Beispiel etwas, was ich Männern ganz neidlos lasse. Sie sind einfach besser darin. Warum sollen wir uns abquälen, wenn sie das können? Andere Dinge werden ihnen anerzogen, und da bin ich bei einem Thema, das nicht schön ist und das ist auch hier nicht gerne haben möchte. Wer erzieht denn Kinder? Es sind Frauen. Es sind fast ausschließlich Frauen. Ich will nichts gegen Väter sagen, ich weiß, dass die berufstätig sind, dass die wenig zu Hause sind, das ist alles nicht das Thema, sondern wer erzieht die Kinder für ihre Stellung in der Gesellschaft? Und das sind die Mütter. Das ist ihnen zugewiesen von der Gesellschaft, diese Funktion.
Die Mütter haben sich das nicht ausgesucht, aber einer muss es machen. So, und ein Junge wird anders erzogen bis heute als ein Mädchen, bis heute. Ich habe meine Kinder versucht, wirklich für das Leben vorzubereiten und habe zum Beispiel meinen Töchtern gesagt: Wenn euer Bruder sich einigermaßen anständig benimmt und keine silbernen Löffel klaut, dann wird die Gesellschaft ihn aufnehmen. Die Männer werden zur Seite treten und sagen, du darfst mitspielen, wenn er so weit ist. Auf euch hat kein Mensch gewartet. Niemand tritt für euch zur Seite. Das müsst ihr selbst hinkriegen. Also dieser Unterschied in der Werthaltung der Gesellschaft, der ist so eklatant und der gilt bis heute. Bis heute werden Mädchen anders erzogen als Jungs, nicht nur, dass sie in rosa sind und Jungs in blau, schon das ist ja zum Verrücktwerden, sondern ein Mädchen soll lieb sein und es will geliebt werden. Frauen wollen bis heute geliebt werden. Sie gehen nicht in den offenen Kampf. Wenn sie jetzt hier eine Stelle nicht bekommen, sagen sie, na, das war vielleicht auch gar nichts für mich, ich habe gar nicht gewusst, dass ich das nicht kann. Das macht ein Mann nicht. Ich habe als Senatorin immer wieder erlebt: Am Morgen um halb acht, wenn ich meinen Dienst begann, steckte einer der bediensteten Beamten den Kopf durch die Tür und sagte, ich wollte nur fragen, haben Sie auch an mich gedacht bei der nächsten Beförderung? Ich sagte wahrheitsmäß: Ich denke immer an Sie. Es ist nie in den elf Jahren, nie eine Frau gekommen und hat gefragt: Denken Sie auch an mich?
Detjen: Jetzt muss ich hinzufügen, Lore Maria Peschel-Gutzeit sitzt mir in einem schönen strahlenden rosa Blazer gegenüber. Frau Peschel-Gutzeit, Sie haben in Ihrer beruflichen Laufbahn als Juristin, als Anwältin, dann als Justizsenatorin in Hamburg, in Berlin viel getan für die Durchsetzung von Frauenrechten, für die Veränderung Ihres Rechtssystems. Eines der Mittel, das Sie sich benutzt haben, noch bevor Sie in die Politik gegangen sind, war die Organisation von Frauen, der Deutsche Juristinnenbund, ein Zusammenschluss von Frauen in der Welt der Justiz, der Anwaltschaft. Welche Bedeutung hatte dieses Netzwerk für Sie?
Die Lex Peschel-Gutzeit
Peschel-Gutzeit: Das hat eine ganz große Bedeutung und hat es auch bis heute, obwohl ich da nun nicht mehr groß aktiv tätig bin. Inzwischen bin ich ja in einem Lebensalter angekommen, wo ich dauernd irgendwo Ehrenpräsidentin werde, was ja immer nur zeigt, dass man nicht mehr ganz jung ist. Also ich habe ja, das haben Sie eben angedeutet, als ersten großen Schritt auch für meine eigene Bewusstmachung erreichen können die Einführung von Teilzeitarbeit und Familienurlaub im Beamtenrecht.
Detjen: Das ist verbunden mit Ihrem Namen, das heißt bis heute die Lex Peschel-Gutzeit.
Peschel-Gutzeit: Ja, genau, das ist die Lex Peschel, ja. Und das ist ja auch in Ordnung, denn ich habe es wirklich mehr oder weniger zunächst allein gemacht. Dann habe ich den Juristinnenbund dafür interessiert und habe gesagt, eine Person allein kann das nicht, aber ein Bund kann so was. Dann habe ich das selbst formuliert, diesen Gesetzentwurf, mit Begründung, und dann bin ich losgezogen, habe Vorträge gehalten, ich weiß nicht was alles, bin zu Frau Scheffler ans Bundesverfassungsgericht gefahren, die mich nämlich anrief und sagte, Frau Kollegin, kommen Sie doch bitte mal nach Karlsruhe. Ich fuhr also nach Karslruhe und sie sagte, was Sie da vorhaben, das geht nicht, das ist verfassungswidrig. Da habe ich gesagt, Frau Scheffler, das sehe ich ganz anders. Ich habe mich natürlich mit der Verfassung beschäftigt. Nein, sagte sie, und außerdem sägen Sie den Ast ab, auf dem wir alle, wir Frauen, sitzen, das können Sie nicht machen. Und da habe ich gesagt, im Gegenteil, ich bin überzeugt davon, dass ich viele, viele neue Frauen auf diese Äste befördere, wenn ich ihnen die Möglichkeit der Teilzeitarbeit gebe. Also ich habe mich da wirklich wacker durchgehauen. Wenn man eine der obersten Frauen gegen sich hat, das ist schon schwierig.
Detjen: Erna Scheffler, Verfassungsrichterin.
Peschel-Gutzeit: Ja, genau.
Detjen: Eines der wenigen weiblichen Mitglieder des parlamentarischen Rats gewesen, ja.
Peschel-Gutzeit: Genau. Aber wir haben es geschafft. Ich habe dann natürlich auch den Bundesinnenminister überzeugen müssen, denn der ist ja zuständig fürs Beamtenrecht. Und dann hat eben, das beschreibe ich ja auch in meinem Buch, eine Juristin, also ein Mitglied unseres Bundes, die Bundestagsabgeordnete, war eine FDP-Frau, hat diesen Vorschlag übernommen als eigenen, hat auch gesagt, dass er kommt vom Juristinnenbund und hat …
Detjen: Wer war das?
Peschel-Gutzeit:Das war Frau Diemer-Nicolaus, und hat es aus der Mitte des Hauses eingebracht, was ja die ganzen Ausschussarbeiten etwas erleichtert, nämlich verkürzt. Und man hat mir damals gesagt, vergessen Sie es, auch in Hamburg am Landgericht, also jetzt ist endgültig Schluss, wenn Sie das durchsetzen, dann können Sie Ihre eigene Karriere vergessen. Und wir haben es durchgesetzt und es ist relativ schnell …1966 ist es eingebracht, 1968 in Kraft getreten. Das ist gar nicht zu vergleichen.
Detjen: Sie haben als erstes eine FDP-Politikerin erwähnt. Mir fiel, als ich angefangen habe, mich als junger Jurist und Journalist mit rechtspolitischen Fragen zu beschäftigen, so Mitte der 90er-Jahre, auf, dass es da ganz besonders zur SPD eine Gruppe von starken, eindrucksvollen Rechtspolitikerinnen gehörte, das war Jutta Limbach, das war Margot von Renesse, da gehörten Sie dazu, dann jüngere Generationen, dann Däubler-Gmelin.
Peschel-Gutzeit: Also die sind ja aber alle SPD.
Detjen: Ja, eben, ich sage, das war auffällig bei der SPD. Deshalb meine Frage: Welche Rolle haben die für Sie gespielt? Wo hatten Sie da besondere Näheverhältnisse? Mit wem haben Sie da besonders zusammengearbeitet?
Peschel-Gutzeit: Ich war damals ja … Ich gehörte keiner Partei an. Ich habe das alles aus gesellschaftspolitischen Notwendigkeiten gemacht, habe ich mich so eingesetzt. Ich bin in die SPD erst 1988 eingetreten, nachdem ich auch Senatspräsidentin geworden war. Ich habe gesagt, jetzt kannst du eintreten, jetzt heißt es nicht mehr, du wirst etwas im Beruf, weil du in der richtigen Partei bist.
Detjen: Also Senatspräsidentin am Gericht, muss man sagen.
Peschel-Gutzeit: Ja. Und ich kann wirklich nur sagen, das war auch aus meiner Sicht die richtige Entscheidung. Ich wollte nämlich nicht, dass Menschen bei mir vor Gericht, vor den Schranken des Gerichts erscheinen und sagen, hier wirst du nicht, weil du in der falschen Partei bist.
Fortschritt wird gemacht – eine Senatorin findet Verbündete
Detjen: 1991, glaube ich, wurden Sie Senatorin für Justiz.
Peschel-Gutzeit: Richtig, in Hamburg, ja.
Detjen: Bei Voscherau im Senat.
Peschel-Gutzeit: Voscherau, ja.
Detjen: Und das war dann noch mal eine ganz neue Erfahrung, nämlich Exekutive, Regieren.
Peschel-Gutzeit: Ja, genau.
Detjen: Was für Lebenserfahrungen und Berufserfahrungen kamen da dazu?
Peschel-Gutzeit: Also da muss ich eine kleine Geschichte erzählen, weil so läuft das Leben, zumindest, wenn man eine Frau ist. Ich saß zu Hause morgens, war früh aufgestanden, Telefon ging ganz früh – mein Kinderarzt war dran und sagt, du, ich gratuliere dir zur Senatorin. Ich sage, wovon sprichst du? Sagt er, guck mal ins Abendblatt, auf Seite eins steht, Peschel-Gutzeit wird Justizsenatorin. Ich sage, Herbert, mach keine Scherze, ich lege auf, ich rase runter zum Briefkasten und da steht wirklich das Abendblatt drin und es steht auf Seite eins. Mit mir hatte kein Mensch gesprochen.
Aber an die Presse war es gegeben. So was macht man mit einem Mann nicht. Aber bei einer Frau sagte man sich, die wird es schon machen. Und dann lag dabei ein Brief aus dem Rathaus mit rotem Umschlag, und darin stand: Der erste Bürgermeister bittet Sie zu einer Besprechung um 13 Uhr. PS. Ein anderer Termin steht nicht zur Verfügung. Ich habe gesagt: Das sind ja vielleicht Methoden! Und dann bin ich da zwar hingegangen, und dann hat Voscherau mir ganz länglich, er sprach ja lang und gern und gut, erklärt, was das für ein Posten sei, der Justizsenatorposten. Davon hatte ich ja selbst eine Vorstellung, ich wusste ja, was bei uns alles durchgelaufen war. Ich war ja lange genug Richterin. Und als er nicht aufhörte, habe ich ihn unterbrochen und habe gesagt, Herr Bürgermeister, ich würde gern von Ihnen hören, wenn das alles ein so furchtbarer Posten ist, vor dem man auch eher flieht, als dass man da bleibt, warum um alles in der Welt haben Sie es a) an die Presse gegeben und b) mich hierher geholt? Denn Sie wollen mich ja ganz offensichtlich abhalten davon. Und daraufhin sagt er: Nein, das haben Sie missverstanden.
Grundgesetz Artikel 3 - Gleichberechtigung von Mann und Frau
Artikel 3 Abs.2: "Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.
Artikel 3 Abs.2: "Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.
Detjen: Und Sie haben es dann gerne gemacht?
Peschel-Gutzeit: Ich habe es sehr gern gemacht. Am Anfang dachte ich, das kann ja nur schiefgehen, weil ich das wirklich nicht gelernt habe, ich habe keine Exekutive gelernt. Und das sah dann so aus, dass ich zum Beispiel die Akten bearbeitete, die auf dem Ablagebock lagen, und am nächsten Tag lagen sie alle wieder da, und ich sagte, und was soll das denn? Ja, Sie müssen draußen auf dem Aktendeckel abzeichnen. Um Gottes Willen, so was weiß ich doch nicht. Aber das lernt man ja alles sehr schnell. Und ich habe das deswegen auch wirklich mit Überzeugung gemacht, weil mir klar geworden war, meine diversen gesellschaftspolitischen Kritiken und Ansätze, die ich ja hatte und die ich bis heute habe, die setze ich ja als Richterin nicht durch, sondern da brauche ich politische Schubkraft, und die habe ich natürlich als Senatorin, zumindest über den Bundesrat. Ich liebe ja den Bundesrat. Ich habe zehn Jahre dem Rechtsausschuss des Bundesrates vorgesessen, da läuft ja alles über den Tisch, und das ist ein wunderbares Instrument. Und wenn man dann ein paar Bundesgenossen findet, was mir immer wieder gelungen ist, und dann geht das kleine Land Berlin oder das kleine Land Hamburg voran und sorgt zum Beispiel dafür, dass die Korruptionsvorschriften deutlich verschärft werden, weil das große Bayern mitgegangen ist, dann ist das richtig ein gutes Gefühl.
Detjen: Wir sprechen jetzt über die 90er-Jahre. 1991 wurden Sie Justizsenatorin in Hamburg, dann nach einem Regierungswechsel 1994, glaube ich, dann hier in Berlin.
Peschel-Gutzeit: 1994 nach Berlin. Ich habe in Berlin gerade …
Detjen: Später kam dann noch mal Hamburg, da sprechen wir vielleicht gleich noch mal drüber.
Peschel-Gutzeit: Ja, ich bin zurückgerufen nach Hamburg.
Detjen: Aber wenn wir auf diese 90er-Jahre schauen, und es geht dann auch schon in meinen eigenen Erfahrungshorizont rein, war das eine Phase, wo Justizrechtspolitik, man muss wahrscheinlich sagen, immer noch eine Politik mit einem hohen gesellschaftlichen Gestaltungsanspruch war.
Peschel-Gutzeit: Ja.
Detjen: Die großen Justizreformen, auch Strafvollzugsreformen waren ja schon vorbei, das war Ende der 70er-Jahre.
Peschel-Gutzeit: Das war früher, ja.
Detjen: Aber immer noch Rechtspolitik, da waren auch sehr starke prägende Figuren, auch bei der CDU, wenn man sich den Rechtsausschuss des Bundestages damals anschaut, Röttgen, Altmaier, Hermann Gröhe, da waren die jungen Talente. Mein Eindruck ist: Das ist heute anders.
Peschel-Gutzeit: Na, es wird schon auch jetzt noch sehr viel gemacht, aber insgesamt ist doch die Politik nicht mehr geprägt von überragenden Persönlichkeiten. Das kann man wirklich nicht sagen. Also ich denke auch an die Zeit der Koalition zwischen SPD und FDP, da haben wir die großen bürgerlichen Reformen durchgesetzt wie zum Beispiel das Eherechtsreformgesetz, 1977 in Kraft getreten, 1980 das Reformgesetz über die elterliche Sorge, also all diese Bereiche sind ja reformiert worden innerhalb relativ kurzer Zeit. Und da hatten wir zum Beispiel einen Justizminister Jahn, der sehr viel gemacht hat, sehr viel gemacht hat auf diesem Gebiet. Und heute können Sie lange suchen, wo Sie mal wirklich jemanden finden als herausragende Figur, etwa auf dem Gebiet des Justizministers. Wen ich ja sehr geschätzt habe, wirklich sehr geschätzt habe, bis heute schätze, war Frau Leutheusser-Schnarrenberger, und zwar deswegen, weil sie ein außerordentlich couragierter Mensch ist. Sie ist nach meiner Kenntnis die einzige Ministerin und auch Minister, die je zurückgetreten ist, weil ihr eine Entscheidung oder eine Entwicklung in der Regierung nicht gepasst hat, und zwar war das die Einführung des Lauschangriffs. Da ist sie zurückgetreten. Und das fand ich ganz großartig.
Detjen: Prägende, sehr prägnante, polarisierende auch Rechtspolitikerin der SPD war Herta Däubler-Gmelin.
Peschel-Gutzeit: Herta Däubler, ja.
Detjen: Gerhard Schröder hat das eigentlich genervt, dieser Gestaltungsdrang.
Peschel-Gutzeit: Ja. Schröder war …
Detjen: Das war irgendwie unser Eindruck. Er hat dann ihren politischen, erzwungenen Rückzug, glaube ich, gerne angenommen. Seitdem, hat man den Eindruck, ist dieses Ministerium auch eher ruhiggestellt worden, heißt ja auch heute gar nicht mehr Justizministerium, ist Justiz und Verbraucherschutz – kann man sich vielleicht noch besser profilieren im Bereich des Verbraucherschutzes.
Peschel-Gutzeit: Ja, ja, das ist das, was ich sage oder was ich vorhin sagte, ich glaube, es gibt in vielen oder auf vielen Gebieten keine herausragenden, kantigen Persönlichkeiten mehr, die das dann auch durchsetzen, sondern die sind alle oder viele jedenfalls sehr weichgespült und rundgewaschen.
Zwischen Hamburg und Berlin, und zwischen West und Ost
Detjen: Dann kommen wir ja auch in die Phase, wo Sie dann hier in Berlin in besonderer Weise mit den Fragen der Wiedervereinigung, …
Peschel-Gutzeit: Richtig.
Detjen: Auch der Aufarbeitung des SED-Unrechts beschäftigt waren.
Peschel-Gutzeit: Des SED-Unrechts, ja.
Detjen: Wenn wir darüber heute sprechen im Rückblick, dann ist damit ja auch die Frage verbunden: Was ist in den damals neuen Ländern geleistet worden, was ist geschafft worden, was ist aber möglicherweise auch nicht geschafft worden? Wo liegen damals Ursachen für die Brüche, die wir heute sehen, für die Vertrauensabrisse? Aus Ihrer Erfahrung, auch aus der Rückschau heraus: Finden Sie da Erklärungen für dieses Gefühl, das sich jetzt noch mal so Bahn bricht, dass man kolonisiert worden ist, dass der Westen einem ein System übergestülpt hat, …
Peschel-Gutzeit: Ich weiß das nicht.
Detjen: Im Bereich der Justiz dann verbunden mit dem Begriff Siegerjustiz?
Zur AfD: "Wieso gehen all die Unzufriedenen da hin?"
Peschel-Gutzeit: Genau. Als mir das entgegengehalten wurde, da war ich empört, da habe ich gesagt, Kinder, ihr wisst nicht, wovon ihr redet. Die Siegerjustiz hat einen ganz anderen Zusammenhang. Und das war echte Siegerjustiz, denn die Alliierten haben diese Gerichte eingerichtet, auch nach ihren Methoden haben sie verhandelt. Und ich habe manchmal etwas entnervt gesagt: Ich weiß genau, dass ich nicht in den neuen Bundesländern einmarschiert bin, ich weiß es einfach. Also wo soll denn die Siegerjustiz herkommen? Man hat uns gar nicht gefragt, niemand von uns ist gefragt worden, ob wir die östlichen Teile dazuhaben wollen, so wenig, wie man sie gefragt hat, ob sie zu den westlichen Teilen wollen. Das hat sich, wie wir alle wissen, politisch ergeben, und es heißt: damit nun irgendwie auskommen. Und dann uns aber zu sagen, wir waren die Sieger, das geht zu weit. Also da habe ich wirklich auch immer wieder Kontra gegeben. Nur, Ihre Frage ist ja anders gemeint: Wir gucken uns die AfD an und fragen uns, wieso gehen all die Unzufriedenen da hin? Wenn ich die Antwort wüsste, wäre ich nobelpreisverdächtig.
Die kann ich Ihnen nicht geben. Ich mache mir natürlich meine Gedanken, und da ich aus dem Osten viele kenne und auch sehr schätze, … Aso zum Beispiel – ich will nicht abschweifen, ich will nur erklären, warum –, ich finde zum Beispiel die Haltung sehr vieler Frauen aus dem Osten ganz vorbildlich, die selbstverständlich sagen, ich erhalte mich selbst, ich bin für mein eigenes Leben verantwortlich, etwas, was sich im Westen keineswegs so rumgesprochen hat. Also ich habe durchaus viele Sympathien und kann auch vieles gutheißen. So meine ich doch, dass die allgemeine Unzufriedenheit, die scheinbar vorliegt, unbegründet ist und sicher damit zu tun hat, dass man auf sehr raue Weise vielen Bürgerinnen und Bürgern der DDR ihr bisher Geleistetes weggenommen hat. Das war zwar nicht das Ziel der Westler, aber es sah so aus. Ich kann mich an eine Szene im Abgeordnetenhaus erinnern, Landowsky sagte für die CDU, es ging um irgendein Thema aus West: Wir wollen keine Verostung der Stadt. Daraufhin erhob sich Christine Bergmann und sagte: Ich verbitte mir das. Auch wir haben eine Lebensleistung erbracht. Und das war in den 90er-Jahren. Also das ist genau der Punkt. Sie haben eine Lebensleistung erbracht, die sie nicht anerkannt fühlen, und sie sind auch nicht anerkannt worden, und zwar offenbar aus Unkenntnis. Wir denken nur an die Treuhand und ich weiß nicht was, die hier teilweise rumgeholzt hat, dass es nicht mehr schön war. Man hat aneinander vorbei geredet und vorbei gefühlt, und das wirkt sich jetzt aus, und so kommt es mir vor.
Detjen: Wenn wir in Ihre Berufsbiografie noch mal zurückkehren gab es dann noch mal einen Wechsel, einen überraschenden Wechsel eigentlich für viele damals, von Berlin zurück nach Hamburg. Warum?
Peschel-Gutzeit: Ja, ich wurde zurückgerufen, nachdem Hamburg gewählt hatte und es kam Rot-Grün dran, und ich bekam abends um zehn einen Anruf von dem neuen Bürgermeister Ortwin Runde, und Ortwin sagte: Wir möchten, dass du zurückkommst. Und dann habe ich gesagt, Ortwin, mach keine Scherze. Ich bin gern in Berlin und ich habe hier auch den einen oder anderen Erfolg, ich würde wirklich gern hierbleiben. Darauf sagt er: Was glaubst du, warum wir dich zurückholen? Aus eben diesen Gründen. Die Stadt fürchtet sich vor Rot-Grün, du weißt, Hamburg ist eine konservative Stadt, da brauchen wir jemanden wie dich. Und da kann man dann schlecht nein sagen.
Indiskrete Berliner und konservative Hamburger
Detjen: Wir sprechen jetzt, ich habe es am Anfang unseres Gesprächs erwähnt, vor der Bürgerschaftswahl in Hamburg. Wir können vielleicht ahnen, wie das ausgeht, wir wissen es nicht. Aber mal abstrakt gefragt an Sie, die diese Politik in Berlin, in Hamburg kennengelernt haben: Was ist der Unterschied?
Peschel-Gutzeit: Also ich fange mal mit Hamburg an. Hamburg ist eine konservative Stadt, da ich selbst Hamburgerin bin, kann ich das auch, ohne rot zu werden, sagen. Ich bin kein konservativer Mensch, aber ich weiß, dass insgesamt in Hamburg sehr viele Werte als erhaltenswert angesehen werden. Das ist eine Kaufmannsstadt. Und so sieht auch das politische Leben aus. Es ist kein Zufall, dass über 40 Jahre die SPD alleine regiert hat. Das konnte sie nur, wenn sie konservativ war, sonst hätte sie sich nicht zwei Jahre gehalten. Und ich habe oft gesagt in Hamburg, in Hamburg ist die SPD das, was in Bayern die CSU ist. Man ist in der Partei. Man war in der Partei. So bin ich ja auch dazu gekommen. Das alles gilt für Berlin natürlich überhaupt nicht. Berlin ist auch lange SPD-regiert gewesen und vor allen Dingen in turbulenten politischen Zeiten, gar keine Frage. Aber insgesamt tickt ja auch der Berliner ganz anders. Ich würde nie sagen, der Berliner ist konservativ, sondern der ist allem Neuen immer aufgeschlossen, alles muss er sofort wissen, und ich mag, muss ich dazu sagen, die Berliner sehr. Sie gefallen mir in ihrer Weltoffenheit, in ihrer Aufgeschlossenheit, in ihrer Selbstverständlichkeit, sie wissen alles, sie können alles, sie nehmen an allem teil.
Aber das hindert natürlich, dass ich über Generationen immer dieselbe Partei wähle, das kommt gar nicht vor. Nein, es kann ja jetzt was anderes wichtiges Neues sein, da muss ich ja dabei sein. Ich werde in Hamburg oft gefragt, wie hältst du denn die Berliner Schnauze aus? Und da kann ich nur sagen, nicht so gut, aber ich weiß, was dahinter steckt, es steckt nämlich sehr viel Herz dahinter. Und deshalb kann ich es dann auch ganz gut aushalten. Kleine Szene: Ich bin zwei Tage in Berlin gewesen, das heißt, ich war gerade eben übersiedelt, und das war ein sehr trauriges Wochenende, weil ich noch keinen Menschen kannte und dachte, das kann hier ja nur schiefgehen, ehrlich gesagt, ging also in ein kleines Blumengeschäft, um meine Seele zu erfrischen und ein paar Blumen zu kaufen. Zwei ältere Damen bedienten. Die eine stellt mir die Blumen zusammen und sagt zu mir in schönstem Berlinerisch, was ich natürlich bis heute nicht kann, nu, ham Se sich denn bei uns einjelebt? Und ich völlig platt, das macht man in Hamburg nicht, da spricht man niemanden an, den man nicht kennt.
Detjen: Viel zu persönliche Frage.
Peschel-Gutzeit: Genau.
Detjen: Indiskret.
Peschel-Gutzeit: Ich sagte etwas verblüfft, hm, ja, oh, vielen Dank für die Nachfrage, aber woher kennen Sie mich denn? Daraufhin die andere aus dem Hintergrund: Na ja, watt denn, glooben Sie, wir kieken nich fern? Das ist doch ganz typisch Berlin. Der Berliner weiß alles, der kann alles, der hat alles gesehen, natürlich, das ist die neue Senatorin. Also ich will damit sagen, dass Berlin aufgeregter ist, diversifizierter ist, könnte man auch sagen, dass Berlin sich nicht so schnell was vormachen lässt von einer Partei, die angeblich das Heil bringt, vor allen Dingen jetzt, da wir nicht mehr Frontstadt sind, sondern anfangen, relativ normal zu werden. Das gehört nach meiner Meinung zu der Berliner Eigenart dazu.
Detjen: Sie sprechen jetzt über eine Parteienlandschaft, die Sie mit geprägt haben, die Sie geprägt hat, aber die fundamental im Umbruch ist. Und deshalb am Ende dieses Gesprächs die Frage: Wie sehen Sie die Zukunft Ihrer eigenen Partei, der SPD, der CDU, die ja in einer ganz ähnlichen Führungskrise steckt? Haben diese Parteien, die dieses Land so lange geprägt haben, überhaupt noch eine Zukunft?
Peschel-Gutzeit: Da ich selbst der SPD angehöre, leide ich zunächst mal unter dieser Partei, weil ich es einfach richtig deprimierend finde, was aus der SPD geworden ist, wobei ich selbstverständlich keine Schuldzuweisungen vornehmen will. Ich will Ihnen erzählen, ich habe, als wir den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik, 3. Oktober, gefeiert haben, gesagt, die Parteien werden sich alle verändern, und zwar, es wird keine so bleiben, wie sie ist, und habe damals schon gesagt zu meiner Partei, es wird der Zeitpunkt kommen, wo wir uns mit den Linken, die hießen damals PDS, zusammentun müssen. Auf gar keinen Fall! So was kann nur ein Westdeutscher sagen. Westberliner würden so was nie sagen. Klar, und genauso wird es auch kommen. Und das hat, meine ich, zu tun damit, dass diese großen Parteien, CDU und SPD, ihre Alleinvertretungsberechtigung verloren haben. Die Bevölkerung ist eine ganz andere geworden. Sie ist vielleicht aufgeschlossener, sie ist vielleicht viel kritischer, sie stellt ganz andere Ansprüche und Anforderungen an das, was Parteien für sie tun können und müssen, sodass man nicht mehr dieselbe Situation hat wie 1990. Und das ist bei den Parteien nur zum Teil bisher angekommen. Also deswegen kann ich natürlich nicht sagen, die Parteien werden sich fangen. Ich wünsche, dass sie sich fangen, aber sie werden sich nur fangen, wenn sie zum Beispiel große Unvereinbarkeitsbeschlüsse nun begraben. Es haut einfach nicht mehr hin, 30, 40 Jahre später.
Detjen: Das war ein schönes Gespräch, vielen Dank, Frau Peschel-Gutzeit!
Peschel-Gutzeit: Danke Ihnen sehr. Na, Sie können auch nichts anderes sagen, stellen Sie sich mal vor, Sie würden zu Ihren Interviewpartnern sagen, das war vielleicht ein Mistgespräch!
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