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Ehemalige Zwangsarbeiter

Zwischen sieben und elf Millionen Menschen aus der Sowjetunion wurden im Zweiten Weltkrieg in Deutschland zur Arbeit gezwungen. Nur rund zwei Millionen überlebten und kehrten zurück in die Sowjetunion. Viele der heute alten Leute leben in großer Armut und isoliert.

Von Mareike Aden |
    Der 87 Jahre alte Kusmin Tinkow weiß, wo er suchen muss: Seit Jahren liegt das Dokument des Roten Kreuzes in der Schublade seines Schreibtisches. Es bestätigt ihm das Recht auf Entschädigungszahlungen aus Deutschland. Die waren für den alten Mann eine wichtige Geste des deutschen Staates. Auf Russisch und auf Deutsch steht auf dem Papier, dass Kusmin Tinkow Zwangsarbeiter war. Er musste in Bremen und Cottbus Flugzeuge montieren, dann in Dortmund im Schacht arbeiten - drei lange Jahre.

    "Die Zeit in Deutschland war sehr schwer, ich war ja noch ein Schuljunge. Immer musste ich arbeiten, arbeiten. Und zu essen gab es nichts."

    Kusmin Tinkow überlebte. Aber nach dem Krieg durfte er nicht zurück zu den Eltern nach Kursk, im heutigen Russland. Mit anderen ehemaligen Zwangsarbeiten wurde er von der eigenen Staatsführung gezwungen, in der Stadt Elektrostahl bei Moskau in einer der vielen Fabriken zu arbeiten.

    "Wir wurden wie Staatsfeinde behandelt, denn wir hatten ja für die Faschisten gearbeitet. Ich musste wieder arbeiten und zu heiraten, das haben sie mir viele Jahre nicht erlaubt. Bis heute sieht man, dass ich Zwangsarbeiter war an einem Code in meinem Pass. Meine Brüder, die in der Roten Armee waren, kriegen 20.000 Rubel Rente - und ich nur 10.000 Rubel und die Lebensmittelpreise steigen täglich."

    10.000 Rubel - das sind knapp 250 Euro. Das reicht dem Witwer Tinkow, dessen einziger Sohn vor Jahren in einem Unfall starb, gerade zum Überleben.

    Ordner mit handgeschriebenen Erinnerungen und Dankesbriefen von Zwangsarbeitern stehen im Moskauer Büro von Elizaveta Dschirikowa, Leiterin der staatsunabhängigen Stiftung Sostradanie - übersetzt "Mitgefühl". Zunächst unterstützte Sostradanie Opfer des Stalin-Regimes. Als die deutsche, staatliche Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" vor zehn Jahren in Russland Partner suchte, weitete Sostradanie die Arbeit auf ehemalige Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge aus. Auch wenn die meisten Zwangsarbeiter, anders als viele der heimkehrenden Kriegsgefangenen, nicht gleich weiter in den Gulag geschickt wurden, sind auch sie Opfer der Stalin-Diktatur, sagt Dschirikowa.

    "Alle, die für das faschistische Deutschland arbeiten mussten, galten als Volksverräter. Sie hatten auch lange nach Kriegsende kein Recht, in Moskau zu leben und bekamen nicht einmal einen Pass. Sie standen unter Geheimdienstbeobachtung und galten als hoffnungslose Fälle. Ich frage mich immer: Was hat die Sowjetführung nur in diesen Menschen gesehen, dass sie sie in ein solches Dasein gezwungen hat?"

    Aber auch im heutigen Russland hat die Lage der ehemaligen Zwangsarbeiter alles andere als Priorität: Kürzlich berichtete das staatsunabhängige Nachrichtenmagazin "Russkii Newsweek", dass die russische Regierung den staatseigenen, russischen Ableger der deutschen Zwangsarbeiterstiftung "Versöhnung und Verständigung" bald schließen werde. Vor allem wolle man nicht für die laufenden Kosten aufkommen, so "Newsweek". Die Stiftung habe allein 2010 umgerechnet 130.000 Euro Mietschulden für das Moskauer Büro angehäuft.

    Deren ursprüngliche Aufgabe war es, die Entschädigungszahlungen aus Deutschland zu verteilen. Seit Ende der Auszahlungen im Jahr 2005 hat sie - ebenfalls aus Deutschland finanzierte - Hilfsprojekte für Zwangsarbeiter koordiniert und sei damit ein wichtiger soziale Treffpunkt geworden, sagt Jens Siegert, Leiter des Moskauer Büros der Heinrich Böll-Stiftung.

    "Dieses ethische Moment, diesen Leuten, die lange gelitten haben, die jetzt alle relativ alt sind, viele von ihnen krank, das letzte Stück soziales Leben zu nehmen, das kann ich nicht verstehen. Man muss ja nur rechnen wie viele ehemalige Zwangsarbeiter es noch gibt und wie alt sie sind. Das heißt: Das ist keine Aufgabe für die Ewigkeit."

    Die Projekte künftig über russische Nichtregierungsorganisationen wie Memorial fortzusetzen, käme bei der russischen Regierung nicht gut an, befürchtet Siegert. Denn bisher liefen alle Programme auf zwischenstaatlicher Ebene ab.

    In Deutschland stauen sich unterdessen schon 300.000 Euro - eigentlich bestimmt für russische Opfer des Nationalsozialismus. Aber wegen des unklaren Status der russischen Partnerstiftung "Versöhnung und Verständigung" kann das Geld derzeit nicht nach Russland geschickt werden.