Jörg Münchenberg: Die Bundeskanzlerin auf schwieriger Mission in Washington. Zuerst war in dieser Woche der französische Präsident Emmanuel Macron da: Viel Glanz, schöne Bilder. Inhaltlich aber zeigte sich Macron anschließend eher ernüchtert. Der US-Präsident, so Macron, stehe dem Iran-Abkommen weiter skeptisch gegenüber. – Nun wird es Merkel auf ihre Art versuchen: nüchtern, pragmatisch. Allerdings sind gerade einmal zweieinhalb Stunden im Weißen Haus veranschlagt. Es bleibt also nicht viel Zeit.
Am Telefon ist nun der frühere US-Botschafter in Berlin, John Kornblum. Herr Kornblum, einen schönen guten Morgen.
John C. Kornblum: Guten Morgen!
Münchenberg: Herr Kornblum, würden Sie denn sagen, das ist für die Kanzlerin heute ein Empfang zweiter Klasse?
Kornblum: Nein, überhaupt nicht. Frau Merkel ist immerhin Kanzlerin seit über zwölf Jahren. Sie hat viele, viele Besuche im Weißen Haus gemacht. Herr Macron kam in seinem Amt als erster Staatsbesuch und hat eine andere Art von Empfang bekommen. Aber die Art und die Methode von Frau Merkel ist, stetig dabei zu sein, stetig pragmatisch und stetig sachlich zu sein, und ich glaube, dieser Besuch entspricht genau diesen Zielen.
Münchenberg: Trotzdem sagt doch Symbolik auch was aus über die gegenseitigen Beziehungen. Sie würden also nicht sagen, dieser Kurzbesuch ist Ausdruck davon, dass es gerade auch um die deutsch-US-amerikanischen Beziehungen derzeit nicht zum Besten steht?
Kornblum: Das kann ich nicht sagen. Ich habe den Besuch nicht ausgearbeitet. Ich weiß nicht. Vielleicht hat Frau Merkel das auch so vorgeschlagen. – Ich fand es sehr interessant, wie neidisch sogar die Deutschen waren, dass ein französischer Staatschef so empfangen wurde. Ich dachte, man sei Europa und man ist glücklich, wenn Europa auch Einfluss in Amerika hat. Aber man sieht, dass Europa immer noch eine Konglomeration von Ländern ist und immer noch kein einheitliches Gebilde ist.
Aber nichts desto trotz ist es sehr wichtig, dass Frau Merkel auch ohne Vorbedingungen kommt. Ich fand es etwas überraschend, dass die Bundesregierung hier schon gesagt hat, sie erwarten keine Fortschritte. Das tut man nur sehr selten, wenn man solche Missionen macht. Wobei der Handelsminister und auch der Kramer gestern gesagt haben, dass keine Entscheidung gefallen ist und dass man das sehr genau überlegen wird.
"Ich hoffe, dass man offen und sachlich miteinander redet"
Münchenberg: Sie sprechen die Strafzölle an. Die sind ja bislang ausgesetzt, könnten aber am 1. Mai jetzt doch fällig werden. Deutschland, Sie haben es gesagt, hat da eher tiefgestapelt, hat gesagt, wir werden da wohl kaum was erreichen. Ist das nicht trotzdem ein Stück weit notwendiger Realismus, den Deutschland da vorgibt? Oder ist das dann doch vielleicht politische Taktik?
Kornblum: Wollen wir mal sehen! Ich hoffe, dass es politische Taktik ist. Ich meine, die Bundeskanzlerin ist eine sehr wichtige und auch sehr überzeugende Persönlichkeit, und man soll einfach nicht sagen, dass sie keinen Einfluss haben wird. Ich nehme an, dass das so gesagt worden ist, weil man selber nicht glaubte, dass man was erreichen würde, und man wollte zu viele Hoffnungen nicht haben. Aber ich hoffe mindestens, dass man offen und sachlich miteinander redet und dass im Endeffekt durch Macron und auch durch Merkel Trump und seine Leute wissen, worum es sich hier handelt und wie gefährlich es sein würde, einen solchen Schritt Richtung Europa vorzunehmen.
Münchenberg: Nun hieß es ja gestern von amerikanischer Seite, wir könnten euch (den Europäern) bei den Strafzöllen ja doch ein Stück weit entgegenkommen, wenn ihr Zugeständnisse macht. Also alles ein Deal, ein Geschäft, auf das sich jetzt die Europäer einlassen müssen?
Kornblum: Na ja. Das ist die Methode von Trump. Trump denkt nicht strategisch und nicht systematisch, sondern er denkt immer an Deals. Ich glaube, wir haben inzwischen jetzt etwas über ein Jahr, seitdem er im Amt ist. Seine Außenpolitik wird sehr oft durch die innenpolitische Lage bestimmt. Das ist in jeder Regierung so, aber er ist noch viel mehr. Im Moment ist er ziemlich unter Druck aus verschiedenen Gründen, die wir alle kennen. Deshalb: Er muss aus seiner Sicht wahrscheinlich Stärke zeigen. Gerade da sagt er: Wenn er einen Deal haben kann, wenn er schon ein paar Zugeständnisse gewonnen hat, dann kann er sagen, er hat gewonnen.
Münchenberg: Man könnte das ja auch ein bisschen dramatischer formulieren und sagen, das ist glatte Erpressung. Sollen sich die Europäer auf so einen Politikstil einlassen?
Kornblum: Ein solches Wort würde ich nicht benutzen. Die internationale Politik ist immer ein Geben und Nehmen. Internationale Politik ist immer eine Sache, wo man vielleicht etwas wetten muss, um was zu gewinnen. Erpressung ist wirklich ein viel zu starkes Wort.
Münchenberg: Würden Sie Pokern sagen?
Kornblum: Ein bisschen Pokern könnte es sein. Aber wie gesagt: Ich würde es anders sagen. Man kann fast seine innenpolitische Psychologie ablesen, wenn man sieht, wie unnachgiebig oder wie flexibel er ist in der Außenpolitik. Macron hat einen schönen Empfang bekommen, teilweise weil Trump bestimmt meinte, dass durch Militärparaden und die Präsenz von Macron auch sein Image ein bisschen aufpoliert würde. Ein Arbeitsbesuch ist was anderes und da sind eher die sachlichen Fragen wichtiger.
Münchenberg: Bleiben wir noch mal ganz kurz bei diesen drohenden Strafzöllen. Die Europäer haben ja schon angekündigt, wenn die kommen sollten, dann werden sie Gegenmaßnahmen ergreifen, auch Strafzölle verhängen gegen die Amerikaner. Ist das die richtige Strategie? Kann man mit so einer Strategie Donald Trump beeindrucken?
Kornblum: Ja – ich glaube, ja. Ich persönlich würde es auch tun. Ich würde es nur nicht sehr emotionell tun und nicht von Handelskrieg reden und so was, sondern ich würde, wenn das angebracht ist, das machen, wie die Chinesen das gemacht haben. Die haben einige Bereiche ausgesucht, die für die amerikanische Wirtschaft und vielleicht für Trump politisch sehr empfindlich sind, um zu zeigen, dass er auch einen Preis bezahlen muss, wenn er so was tut.
"Es ist nicht so, als ob Trump frei handeln kann"
Münchenberg: Trotzdem besteht doch die Gefahr eines Handelskrieges, die Gefahr nämlich, dass man sich gegenseitig hochschaukelt, dass auf eine Strafmaßnahme die nächste folgen könnte. Sehen Sie die Gefahr, dass Donald Trump tatsächlich so auf mögliche Sanktionen der Europäer antworten könnte?
Kornblum: Könnte sein. Nur man muss nicht vergessen, dass fast die ganze amerikanische Industrie ihm schon gesagt hat, dass sie diese Politik nicht unterstützen, dass die ganze amerikanische verarbeitende Industrie gesagt hat, wie sehr das ihr auch schaden würde. Es ist nicht so, als ob er frei handeln kann. Und wenn er jetzt ein paar Zölle – es sind, glaube ich, nur zwei Sachen, die im Moment betroffen sind – tut, dann ist das die eine Sache, und die amerikanische Industrie wird auch ziemlich dadurch beeinträchtigt, wenn zum Beispiel Aluminium oder so teurer wird. Es ist nicht so, als ob er das jetzt freiwillig entscheidet und sagt, was er will. Er lebt in einem sehr komplizierten Land, wie Europa auch sehr kompliziert ist. Und der Unterschied zwischen ein paar Strafzöllen und einem Handelskrieg ist doch sehr groß.
Münchenberg: Herr Kornblum, ein zweites wichtiges Thema ist der Iran-Deal, höchst umstritten. Trump sieht ihn äußerst kritisch. Das hat auch Macron nach seinem Besuch bestätigt. Glauben Sie, da könnte die Bundeskanzlerin vielleicht mehr erreichen, oder ist letztlich davon auszugehen, dass die Amerikaner die Sanktionen gegen den Iran verhängen werden?
Kornblum: Hier würde ich etwas optimistischer sein. Dieses Abkommen ist auch in Washington sehr umstritten. Im Wahlkampf vor anderthalb Jahren hat Trump gesagt, er würde das sofort kündigen. Jetzt ist es anderthalb Jahre später und er hat es noch nicht getan. Ich glaube, wenn Frau Merkel die richtigen Argumente bringt und zeigt, wie schwierig es sein würde, wenn Iran wieder sein Atompotenzial entwickeln könnte, dann könnte sie vielleicht Wirkung haben.
Anders herum: Es gibt in Amerika eine nicht unwichtige Gruppe, die auf das Verhalten von Iran nicht unbedingt in der Atomfrage, sondern im Terrorismus in Syrien, gegenüber Israel etc. schauen. Die sagen, dieses Land ist sowieso gefährlich und wir sollten ihm nicht irgendwie einen Vorteil geben, solange sie auch diesen Terrorismus unterstützen.
"Stimme von Merkel immer noch sehr wichtig in Amerika"
Münchenberg: Nun war ja – noch mal zu dem Iran-Abkommen – Macron nach seinem Treffen mit dem US-Präsidenten eher pessimistisch. Jetzt sagen Sie, Frau Merkel könnte da doch vielleicht etwas erreichen. Ist es dann das Doppelpack, das hier wirkt, oder hat die Kanzlerin vielleicht doch etwas mehr Einfluss auf den US-Präsidenten?
Kornblum: Das kann man nicht wissen. Aber ich würde sagen, wenn er das zweimal innerhalb einer Woche ganz klar hört und wenn die Kanzlerin wieder auf ihrer sehr sachlichen Art die Argumente auslegt - Es gibt natürlich andere Menschen. Es gibt auch den Verteidigungsminister, der ein sehr sachlicher Mensch ist. Und die Frage ist, man hat wieder gelernt bei Trump: Man muss die Argumente sammeln sozusagen, in der Lage zu sein, ihn zu überzeugen. Ich glaube, die Stimme von Frau Merkel ist immer noch sehr, sehr wichtig in Amerika.
Münchenberg: Aber wird am Ende nicht so jemand wie der nationale Sicherheitsberater John Bolton, der ja ein bekannter Hardliner ist, den Ausschlag geben, der ja offen auch für einen Regime-Wechsel beim Iran wirbt?
Kornblum: Das kann man nicht wissen. Im Moment ist Bolton sehr ruhig gewesen. Er hat kaum was in der Öffentlichkeit gesagt. Aber was er intern macht, weiß ich natürlich nicht. Es kann sein, aber es kann auch nicht sein. Das ist das Problem mit dieser Administration, dass man von einem Tag auf den anderen nicht ganz genau weiß, wer das Sagen hat und wohin die Richtung geht.
Münchenberg: Herr Kornblum, noch eine Frage. Würden Sie denn sagen, der US-Präsident interessiert sich für die Belange der Europäer, oder getreu dem Motto, America first, letztlich ist ihm das völlig egal?
Kornblum: Na ja, er interessiert sich für seine politische Position und sein Image. Und wenn Europa diese Administration beeinflussen will, dann muss man das immer in Kauf nehmen und immer verstehen, was es im Moment ist, was genau ihn bewegt. Sachliche Analysen von Handel oder Iran sind wahrscheinlich sehr selten die Sachen, die ihn am meisten bewegen.
Münchenberg: Aber diese massive Reisediplomatie war ein kluger Schachzug der Europäer?
Kornblum: Ich finde, ja. Ich würde lieber sehen, dass noch mehr Europäer kommen. Wie gesagt: um die Meinung von dieser Administration zu beeinflussen, muss man immer präsent sein. Ich finde es deshalb sehr gut, dass beide zur gleichen Zeit kommen, oder fast zur gleichen Zeit, und ich würde es wie gesagt begrüßen, wenn es noch mehr europäische Besuche geben würde.
Münchenberg: Heute Morgen hier im Deutschlandfunk John Kornblum, früherer US-Botschafter in Berlin. Herr Kornblum, besten Dank für das Gespräch.
Kornblum: Ich bedanke mich.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.