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Ehrenamt im Sport
Erfüllende Ausbeutung?

Ob Übungsleitende, Vorsitzende oder Volunteers an der Strecke – deutsche Vereine bauen auf ehrenamtliches Engagement. Doch die Bereitschaft, sich zu engagieren, sinkt. Was kann können Vereine und Verbände dagegen tun?

Von Sabine Lerche |
firo : 22.06.2022, FuÃball,, Saison 2021/2022, Amateur Fussball letztes Training bekommt ein Trikot als Geschenk GEschenk Ehrenamt , Kreisliga , JugendfuÃball , Soziales , Breitensport , DJK SF Dülmen , Amateursport Ehrenamtler , Werner Feugmann (73 Jahren) tritt , nach 36 , Jahren , im Ehrenamt , als Trainer , der U6 , bei , der , DJK Dülmen , zurück , Abschied ,
Nach 36 Jahren als ehrenamtlicher Trainer der U6 bei der DJK Dülmen war am 22. Juni 2022 Schluss. Zum Abschied bekam Werner Feugmann, 73, von seinen Minikickern ein Trikot geschenkt. (picture alliance / firo Sportphoto / firo Sportphoto / Jürgen Fromme)
„So stundenmäßig würde ich schon schätzen: Wenn ich mit den sechs Stunden Training hinkomme, dann gehen da locker noch mal drei Stunden die Woche so für Planung etc. drauf. Sind schon also um die neun bis zehn Stunden die Woche.“
Katharina Fleck ist Trainerin für Aerobic-Turnen in Riesa – ehrenamtlich und das schon seit zwölf Jahren. Die Aerobic-Turnabteilung ist mit 30 Mitgliedern recht klein, das Leistungsniveau aber mit internationalen Starts hoch.
Zweimal die Woche fährt Fleck zum Training in die Halle: „Aus meiner Sicht kann ich sagen, es ist die meiste Zeit nicht zu viel. Ich weiß aber so aus dem Freundeskreis und auch mein Freund, dass die teilweise schon manchmal sagen, dass es sehr viel ist, die dann schon sehr erstaunt sind manchmal, dass ich das so viele Jahre so durchziehe.“
Insgesamt engagieren sich laut Deutschen Olympischen Sportbund mehr als acht Millionen Menschen in Deutschland ehrenamtlich in einem Sportverein. Viele wie Katharina Fleck als Übungsleitende, als Kampfrichter*innen oder im Helferteam bei Wettkämpfen und Turnieren.

Engagement wird mehr an Projekte gebunden

Auch Ämter wie Vorsitzende oder Schatzmeister gehören dazu. Das freiwillige und unentgeltliche Engagement ist das Gerüst der Vereine, erklärt Sportpädagoge Detlef Kuhlmann. Die Art des Engagements ändere sich aber:

Das neue Ehrenamt, was mehr mit dem Projektbegriff verbunden wird. Das hört sich jetzt sehr theoretisch an. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Berlin-Marathon mit einem Weltrekord, und dort waren über 7000 ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter engagiert. Nein, die nannte man ganz anders: Das waren Volunteers, also Freiwillige. Und das war jetzt das Tagesprojekt Berlin-Marathon. Diese Menschen haben nur an dem Sonntag an der Strecke gestanden, Wasserbecher gereicht oder sonst was, weil sie auch Teil dieses weltweiten Events waren.

Auch Eltern, die sich engagieren, wollen ein Teil von dem sein, was ihren Kindern gerade Freude macht. Dennoch ist diese bereitwillige Unterstützung heute nicht mehr so häufig, hat Fleck festgestellt: „Ich glaube, dieses Engagement von den Eltern ist eher so ein Generationsding. Zumindest ist es mir so aufgefallen. Also das kann ich jetzt nach zwölf Jahren tatsächlich wirklich sagen, dass es halt vorher Eltern gab, die bei allem immer dabei waren. Da gab es nie irgendwie auch nur die Frage, ob die was machen. Und jetzt ist es halt teilweise schon so, dass man das Gefühl hat, man müsste ein bisschen betteln oder denen auch zeigen: Ohne dass du auch mal ein Auto bewegst, wo vier, fünf Kinder drinsitzen, die wir zum Wettkampf fahren, wird es nix.“

Von der Erfüllung zur Belastung

Manchen Eltern scheint wenig bewusst zu sein, wie viel Arbeit hinter einer Trainertätigkeit steckt. Ehrenamt kann auch zur Belastung werden - vor allem wenn sich keine Nachfolge für das eigene Amt findet oder es zur Lebensaufgabe wird, sagt Boris Rump, Referent für Ehrenamt und freiwilliges Engagement beim DOSB:
„Es kann natürlich so sein, dass so eine Tätigkeit wirklich zur großen Herausforderung wird und auch zur Belastung wird, weil der Umfang und die Aufgabenvielfalt zu groß werden. Und dann sind das natürlich Aufgaben und Herausforderungen, die man mit ins Bett nimmt abends und wo man vielleicht auch schlaflose Nächte hat für ein Amt oder für eine Tätigkeit, die man eigentlich freiwillig und aus Spaß und Freude macht.“
Aus Erfüllung kann also Selbstausbeutung werden, wenn das Umfeld nicht stimmt. Und aus dem aktuellen Sportentwicklungsbericht geht hervor, dass die Zahl der Ehrenamtlichen im Sport sinkt: Mehr als die Hälfte der 90.000 Vereine gibt an, dass die Bindung und Gewinnung von Ehrenamtlichen ein großes Problem darstellen, für 15 Prozent sei es sogar existenzbedrohend.
Vor allem leitende Funktionen sind immer schwieriger zu besetzen. Was kann man dagegen tun? Die Vereine müssten sich an die veränderten Ansprüche anpassen, schlägt Boris Rump vor:

Die Menschen und gerade auch junge Leute verbinden dort durchaus auch eine Persönlichkeitsentwicklung. Die wollen dort was lernen, auch lernen fürs Leben. Die wollen auch dort was mitnehmen, was sie auch im beruflichen Kontext einsetzen können, also auch einen Mehrwert. Der ist ja auch legitim, aber sie erwarten dann auch was an das Amt. Vielleicht sogar bis hin zu einer Qualifizierung oder aber auch Dinge, die sie wie gesagt, in anderen Bereichen mit reinnehmen können.

Ehrenamt bezahlen – eine Lösungsidee?
Eine andere Idee ist, die ehrenamtlichen Tätigkeiten besser zu bezahlen. Keine Option für Rump, denn, "diese Angebote, diese niedrigschwelligen, aber auch hochentwickelten Angebote zu einem niedrigen Preis, die würde es so ja gar nicht mehr geben können. Das würde sich so nicht mehr finanzieren lassen.“
Katharina Fleck glaubt, dass eine Bezahlung vor allem positive Effekte auf die Sportarten selbst und die sportlichen Erfolge hätte. Dennoch: Der Grund für das Engagement liege in der Leidenschaft zum Sport und der Arbeit mit den Athlet*innen.
Untermauert wird diese Einschätzung durch den Sportentwicklungsbericht: Zwar sind viele Ehrenamtliche unzufrieden mit der finanziellen Wertschätzung. Gleichzeitig spielt Geld als Motiv, eine Tätigkeit zu übernehmen, praktisch keine Rolle. Wichtig sind stattdessen Spaß und ein generelles Interesse, sich zu engagieren. Dies könnte man nutzen, um eine neue Zielgruppe zu erschließen, sagt Sportwissenschaftler Detlef Kuhlmann.

Wertschätzung muss offensichtlich sein

„Es kommen jetzt die geburtenstarken Jahrgänge in eine neue Lebensphase, nämlich den Ruhestand. Und ich habe die Hoffnung, dass sich viele davon jetzt auch neu orientieren und möglicherweise im Ehrenamt landen im Sport oder auch in anderen kulturellen Bereichen, weil sie sich noch so fit fühlen, weil sie vielleicht auch Enkelkinder haben, die auch engagiert sind. Also da ist eine große Ressource, wenn man so will, für die Vereine vorhanden.“
Wertschätzung müsse sich auch nicht materiell äußern, aber sie sollte offensichtlich sein, so Kuhlmann. Katharina Fleck wusste bisher nichts von den Vorteilen für Ehrenamtliche, wie der Ehrenamtskarte, in ihrer Region und hat auch kaum Infos dazu gefunden: „Es wäre schon eine größere Wertschätzung, wenn man da vielleicht nicht davon ausgeht, dass die Ehrenamtler selbst nach ihren Vorteilen suchen, sondern wenn man dann konkret wirklich dieses Angebot auch viel öffentlicher darlegt.“