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Ehrlichkeit spart Geld

Die neun Millionen Einwohner Boliviens leben im ärmsten Land Südamerikas. Doch eigentlich ist das mit einer Fläche dreimal so groß wie Deutschland, potentiell reich. Unter der neuen Regierung von Evo Morales hat sich in Bolivien viel verändert. Dazu gehören auch die Ansätze einer wirksamen Korruptionsbekämpfung. Thomas Kruchem berichtet.

09.06.2007
    Aroma Dos - ein Dorf 80 Kilometer nördlich der bolivianischen Tiefland-Metropole Santa Cruz. Lehmhütten, umgeben von Zuckerrohr und Bananenstauden; Hühner, Enten, ein fettes, in der Mittagssonne dösendes Schwein. "Wir Bürger von Aroma Dos bekämpfen mit Präsident Evo die Korruption", sagt der Bauer Aquilino Carceres. - Aroma Dos, 150 Familien, ist seit 1995 Teil des Municipios, des Landkreises Saavedra. 2004, berichtet Aquilino, stand die Sanierung der Wasserversorgung an.

    " Unser alter Wasserturm reichte nicht mehr aus für das Dorf; und wir ließen uns von der Kreisverwaltung einen neuen genehmigen. Als dann jedoch die Arbeiter der beauftragten Firma mit dem Bau des Turms begannen, wurde ich als alter Maurer gleich skeptisch. Für die Betonträger verwandten sie viel zu wenig Stahlelemente, die sie überdies nicht richtig zusammen schnürten; außerdem enthielt der Beton zu wenig Zement. Schon nach dem Bau der zweiten Ständeretage stand denn auch der Turm schief; als dann die Plattform für den Wasserbehälter angebracht wurde, brach er zusammen."

    Empört über den korruptionsschwangeren Pfusch am Bau wandten sich Aquilino und seine Nachbarn an das so genannte Bürgerkontrollkomitee von Saavedra. Und unabhängige Experten erstellten ein Gutachten, dessen Ergebnisse die Verwaltung zwangen, den kompletten Turm noch einmal zu bauen. - Staatlich anerkannte Bürgerkontrollkomitees, die der notorisch korrupten Verwaltung auf die Finger schauen, haben Boliviens Bürger vor zwölf Jahren durchgesetzt - erklärt Adriana Montero, Mitarbeiterin der lokalen Caritas. Um Komitee-Mitglieder für ihre Arbeit zu qualifizieren, hat Adriana hat die Organisation BIBOSI gegründet. Nötige Gutachten finanziert das deutsche katholische Hilfswerk "Misereor" - was sich in Aroma Dos gleich zweimal als nützliche Investition erwies.

    " Der zweite Fall betraf die Erweiterung der Schule von Aroma Dos. Dafür wurde, wie unser Kontrollgutachten zeigt, der Bau von fünf Klassenräumen abgerechnet; gebaut wurden aber nur drei. Darüber hinaus waren die Preise auch für die tatsächlich gebauten Räume überhöht; und eine von den Dorfbewohnern erbrachte finanzielle Eigenleistung wurde in der Abrechnung einfach unterschlagen."

    Widerwillig ersetzte die Kreisverwaltung auch diesen Schaden. Strafrechtlich verfolgt wurde allerdings niemand. - Korruption: Produkt historisch gewachsener Machtstrukturen in unterentwickelten Ländern. In Bolivien etwa gibt es zwar gute Gesetze und Behördenkonzepte; tatsächlich jedoch steht dies bürokratische Regelwerk in groteskem Gegensatz zu vorhandenen finanziellen wie personellen Ressourcen und zur sozialen Realität; es gleicht Potemkin'schen Fassaden, hinter denen in Wirklichkeit persönliche Beziehungen zählen: Geschäfte regeln traditionell Minister und Unternehmer beim Abendessen; der Diebstahl öffentlicher Gelder gilt als Kavaliersdelikt; auf öffentliche Leistungen glaubt die lange unterdrückte Bevölkerung keinen Anspruch zu haben, sondern sieht darin eine Gnade des zuständigen Bürokraten, mit dem man sich gut zu stellen, den man also zu schmieren hat. "Das ist Teil unserer Kultur", war stets die achselzuckende Haltung der Bolivianer - die jedoch zunehmend energischer Kritik breiter Bevölkerungskreise an der Korruption weicht. Folgerichtig hat auch Präsident Evo Morales den Kampf gegen die Korruption ganz oben auf seine Agenda gesetzt. Demonstrativ hat der Präsident sein eigenes Monatseinkommen auf 1.500 Dollar begrenzt; Bürgerkontrollkomitees will er auch auf nationaler Ebene einführen; die Verwaltung übt Transparenz bei Ausschreibungen - zum Beispiel im Hochland-Departamento Oruro.

    "Bitte geben Sie Ihr Angebot ab", lautet die Ansage in der Messehalle der Stadt Oruro. "In 20 Minuten werden die Urnen geschlossen." - Eine Halle, in der sich die Menschen förmlich auf die Füße treten - und dies, obwohl keinerlei Waren angeboten werden; stattdessen der Bedarf an Waren. Das Sozialamt, zum Beispiel, präsentiert, anhand von Mustern, seinen Bedarf an Speiseöl, Mais und Wolldecken; die Sportbehörde zeigt Trikots, von denen es tausend Stück braucht; das Amt für öffentliche Sicherheit Taschenlampen, die Tourismusbehörde hochwertige Plakate. Und vor jedem Stand steht ein großer Pappkarton als Urne für die Angebote. "Dies ist eine 'feria inversa', eine umgekehrte Messe", erklärt Patricia Jaldin Jalassa, Verwaltungschefin des Präfekten von Oruro.

    " Wir veranstalten diese Messe, um unsere Ausschreibungen möglichst transparent zu gestalten und nicht unnötig viel Zeit zwischen Abgabe und Öffnung der Angebote verstreichen zu lassen. Sämtliche Abteilungen der Präfektur präsentieren auf dieser Messe ihren Ausrüstungsbedarf. Der Umsatz dürfte bei 20 Millionen Bolivianos, zwei Millionen Euros, liegen."

    Enrique Ortiz, Manager der "umgekehrten Messe" von Oruro, schaut ein wenig hektisch auf die Uhr.

    " In wenigen Minuten, um Punkt zwölf Uhr, werden die Urnen geschlossen und wenig später die Umschläge mit den Angeboten geöffnet. Wir prüfen dann kurz, ob die Anbieter in der erforderlichen Qualität liefern können und erteilen dann noch heute dem billigsten Anbieter den Zuschlag. Etwas, was sonst mehrere Wochen dauert, erledigen wir so in vier Tagen. - Ein weiterer Vorteil dieser transparenten Ausschreibungspraxis ist, dass tatsächlich alle potentiellen Anbieter davon erfahren und am Wettbewerb teilnehmen können. In der Konsequenz spart die Präfektur eine Menge Geld, das sie in vielerlei Projekte investieren kann."

    Es ist zwölf Uhr; Polizisten schließen die Türen der Halle; niemand kommt mehr von draußen herein - mag er auch noch so sehr mit seinen, zu spät gebrachten, Unterlagen wedeln. - Maria Choquwe, Herstellerin kleiner Pumpen für Tiefbrunnen, hat sich derweil ganz entspannt auf einer Bank niedergelassen.

    " Als Kleinunternehmerin finde ich eine solche Messe einfach super. Früher hatte ich doch gar keine Chance, an Ausschreibungen teilzunehmen, weil die stets unter der Hand abgewickelt wurden. Jetzt dagegen kann ich zeigen, dass auch ich gute Produkte liefern und Verträge einhalten kann. Schon bei der ersten Messe dieser Art 2006 habe ich einen Auftrag ergattert. 30 Tage hatte ich Zeit, 250 Handpumpen zu liefern; und am 28. Tag habe ich geliefert."

    Solche Erfolge einer Maria Choquwe und die Erfolge von Bürgerkomitees gegenüber korrupten Bürokraten üben offensichtlich einen Sog aus auf die Bolivianer, sich zu engagieren - politisch wie wirtschaftlich. Damit zunehmende Partizipation stärkt die Zivilgesellschaft, schafft demokratische politische Kultur und raubt so der Korruption den Nährboden.