Adolf Eichmann (1906 – 1962) war ein überzeugter Nationalsozialist. Als SS-Obersturmbannführer leitete er ab Dezember 1939 das Referat IV B 4, das sogenannte "Judenreferat", im Reichssicherheitshauptamt in Berlin. In dieser Abteilung der Geheimen Staatssicherheitsplizei (Gestapo) wurde die Deportationen von mehreren Millionen Juden in die Konzentrations- und Vernichtungslager koordiniert und organisiert. Eichmann war somit verantwortlich für den Massenmord an den Juden Europas.
Nach dem Zweiten Weltkrieg gelang ihm im Jahr 1950 die Flucht nach Argentinien. Dort wurde 1960 vom israelischen Geheimdienst aufgespürt, nach Israel entführt und vor Gericht gestellt. Vor 60 Jahren, am 11. April 1961, begann in Jerusalem der Prozess gegen den NS-Kriegsverbrecher.
Eichmann-Prozess als großer Wendepunkt
Die Philosophin Bettina Stangneth hat sich intensiv mit Eichmann auseinandergesetzt. Im Dlf-Interview bewertete sie den Prozess gegen ihn als "ganz großen Wendepunkt in der Auseinandersetzung mit diesen Menschheitsverbrechen". Zu dieser Zeit habe es gerade mal 15 Publikationen zu diesem Tema gegeben. Die Forschung zum Holocaust sei erst mit dem Eichmann-Prozess gestartet.
Stangneth hat umfangreiches Quellenmaterial aus Eichmanns Zeit in Argentinien gesichtet und bewertet. Er habe in dieser Zeit nicht mit seiner Vergangenheit und seiner "Karriere eines Massenmörders" abgeschlossen, so die Philosophin. Diese habe ihm vielmehr gefehlt. "Er möchte seinen Platz in der Geschichte haben. Er glaubt, er hätte dem deutschen Volk und der Welt einen riesengroßen Dienst erwiesen, indem er sich an diesem Mord an den Juden beteiligt hat und dafür möchte er anerkannt sein." Er habe sich daher schriftlich und durch Tonbandaufnahmen mit seiner Vergangenheit auseinandergesetzt. Mehr als sechs Monate lang habe er sich an Wochenenden mit Gleichgesinnten getroffen und stundenlang über den Nationalsozialismus gesprochen.
Eichmanns eigene Vorstellung von Moral
Die Wortwahl dieser Gespräche sei unerträglich, so Stangneth. Besonders schockiert sei sie darüber gewesen, dass sich Eichmann intensiv Gedanken über die Moral gemacht habe. "Dann erzählt er uns, warum unsere Moral, wie wir sie mit Kant und mit ähnlichen denken, dumm ist. Und warum seine Moral, die Herrenmenschen-Moral besser ist und dass wir immer verlieren werden, wenn wir es zu tun haben mit einem wie ihm", so Stangneth. Eichmann habe von der "normalen" Moral nicht viel gehalten, weil sie ihm Dinge verbieten und ihn damit schwächen würde. "Nazis waren davon überzeugt, dass diese Bremse, die das Gewissen ist, schädlich ist, weil sie einen dummerweise vom Morden abhält." Zwar habe Eichmann geäußert, ein schlechtes Gewissen zu haben. Aber dieses galt der Tatsache, "nur" sechs Millionen Juden in den Tod geschickt zu haben und nicht zehn.
Im Prozess gegen ihn habe Eichmann ein ganz anderes Bild von sich gezeichnet. Da er selbst zuvor geplant hatte, nach Deutschland zurückzukehren und sich zu stellen, habe er sich gut auf ein Gerichtsverfahren vorbereitet. "Er hat sich entschieden für diese Rolle des Bürokraten, der nie nachgedacht hat, was er tut und der tut, was man ihm sagt", so Stangneth. Durch die intensive Vorbereitung sei er sehr überzeugend aufgetreten. "Dieser Eichmann hatte einen, sicher nicht zufällig, zu großen Anzug an und eine dicke Hornbrille auf und er wusste, wie man fahrig in Papier herumblättert und wie man dumm tut." Alle Beobachter des Prozesses, und auch die Publizistin Hannah Arendt, hätten dieses Bild angenommen und Eichmann als Befehlsempfänger und "Rädchen im Getriebe" wahrgenommen.
Empathie und Mord
In Wahrheit aber sei Eichmann reflektiert gewesen, so die Philisophin: "Eichmann ist der Beweis dafür, dass es ein Denken gibt, das als Denken böse ist. Eichmann zeigt uns, dass man reflektiert sein kann und trotzdem morden. Er zeigt uns, dass man emphatisch sein kann und diese Empathie nutzen kann, um Menschen zu belügen. Seine größte Lüge ist vermutlich, so viele Menschen in ihren eigenen Tod gelogen zu haben."