Ginge es Jakob Augstein nur darum, zu erklären, warum wir uns – seiner Meinung nach - entscheiden müssen zwischen Demokratie und Kapitalismus, dann wäre sein neues Buch höchstens halb so dick geworden. Und höchstens halb so interessant, weil wenig Neues darin stünde. Denn seine Ausgangsthese,
... der Kapitalismus ist so lange gewachsen, dass er mit der Demokratie kaum noch zu vereinbaren ist"
findet sich bereits in Regalmetern kapitalismuskritischer Literatur, die in den vergangenen Jahren erschienen ist, in der ein oder anderen Variante wieder. Der Herausgeber der linken Wochenzeitung "Der Freitag" ist nicht der erste, der die begrenzte Handlungsfähigkeit oder – wahlweise – den begrenzten Handlungswillen der Politik gegenüber den Märkten bemängelt. Und er ist sicher nicht der Letzte, der der These nachgeht, dass die Eurokrise jenen Eliten in die Hand spielt, denen die langwierigen demokratischen Prozesse lästig geworden sind. Dazu gehört für Augstein übrigens auch die Bundesregierung unter Kanzlerin Angela Merkel. Die bei der Rettung maroder Banken und von der Pleite bedrohten Staaten das Parlament nicht – oder erst so spät eingebunden hat, dass die Abgeordneten kaum noch Zeit hatten, sich angemessen intensiv mit den Details zu befassen – und zu hinterfragen, ob der Kurs der Regierung wirklich alternativlos war.
"Die Demokratie ist infrage gestellt. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sich der Kult der Märkte die Demokratie selbst zum Ziel nimmt. In der Krise kam dieser Moment. Warum musste sich der Bundestag sein Recht zur Mitsprache am Euro-Rettungsschirm vor dem Bundesverfassungsgericht erstreiten? Warum schlug dem griechischen Premier Empörung entgegen, als er seinem gezeichneten Volk in einer Volksabstimmung die demokratische Würde zurückgeben wollte? Weil man auf den Märkten ohne demokratisches Gezänk seinen Geschäften nachgehen möchte."
Man kann diese Ansicht teilen oder nicht. Man kann sich darüber aufregen, dass Augstein seine Argumente oft in zu viel Pathos ertränkt, dass sein Politikerbild kaum klischeehafter sein könnte, dass er sich dem Spannungsverhältnis zwischen Markt und Demokratie eher feuilletonistisch als wissenschaftlich nähert. Oder dass er dazu neigt, die Einführung einer Finanztransaktionssteuer zum Gradmesser zu machen für die Bereitschaft der Politik, sich den Märkten entgegenzustellen, obwohl diese Abgabe wahrscheinlich eher einen symbolischen als einen finanziellen Nutzen oder eine wirklich steuernde Funktion hätte. Geschenkt! Denn das eigentlich Interessante an diesem Buch sind die Passagen, die sich nicht mit dem Thema des Untertitels aufhalten. Mit der Erklärung des "Warum". Die Spannung steckt im Titel: Sabotage! Denn eigentlich dienen die länglichen Aufzählungen der Ungerechtigkeiten und Verfehlungen von Politik und Wirtschaft lediglich dazu, das zu umkleiden, worum es dem Autor wirklich geht:
"Die Möglichkeit des Souveräns, also des Volkes, Handlungsfreiheit zurückzugewinnen, und sich nicht Verantwortung abnehmen zu lassen"
Verantwortung zeigen. Wenn dazu die wirtschaftlichen und politischen Eliten nicht mehr fähig sind - oder willens -, dann ist es an den Bürgern. Dafür, ist Augstein überzeugt, reicht es nicht, alle vier Jahre ein Kreuzchen zu machen. Nötig sei, meint er, voller Körpereinsatz.
"Wir befinden uns am Anfang des digitalen Zeitalters. Darüber reden wir in ganz vielen Zusammenhängen, das bezieht sich auch auf die Politik. Wir haben die Entstehung der Piratenpartei erlebt, die die Digitalisierung der Politik vorantreiben wollen. Das sind alles sehr spannende Ideen, aber ich glaube, die Politik braucht den Körper, die Politik braucht die Präsenz, auch die Einsatzbereitschaft von Menschen, auf die Straße zu gehen für das, was ihnen wichtig ist. Das dürfen wir nicht verlernen."
Nun meint Augstein nicht nur jene Demonstranten, die in Stuttgart gegen den neuen Bahnhof demonstriert haben. Was ihm vorschwebt, ist mehr: ziviler Ungehorsam. Der kalkulierte Regelbruch, den er mit dem Chronisten der 68er und Experten für soziale Bewegungen, Wolfgang Kraushaar, in einem eingeschobenen Interviewblock diskutiert. Dieses Zwischenspiel, wie Augstein es nennt, eines von zweien übrigens, ist eine der interessantesten Passagen des Buches, weil Kraushaar ganz klar Stellung bezieht. Augstein hingegen vollführt einen Eiertanz. Denn einerseits beginnt er sein Buch mit der – wie er sagt – durchaus realistischen Anleitung zum Bau eines Farbbeutels. Dann erklärt er:
"Wer würde öffentlich zu Gewalt aufrufen? Er würde sich strafbar machen, nach Gesetz und nach öffentlicher Meinung."
Nur um ein paar Zeilen weiter zu schreiben:
"Aber wer die Gewalt verdammt, sollte sich auch darüber klar werden, was er damit aufgibt, wo eigentlich die Gewalt beginnt, wer sie ausübt und wer ihr Opfer wird."
Schnell gewinnt man beim Lesen den Eindruck, der Autor würde gerne sagen: "Geht auf die Straße und macht, was nötig ist!" Tut er aber nicht.
"Ich bin kein politischer Aktivist. Ich bin auch kein politischer Philosoph. Und ich bin auch überhaupt kein Politiker, sondern ich bin Journalist und beobachte die politische Bewegungen in unserem Land und den Zustand unserer demokratischen Kultur."
In dieser Aussage verbirgt sich das Kernproblem des Buches. Anders als etwa Stephan Hessels Essay "Empört euch", das Augstein mehrmals erwähnt, weckt dieses Buch beim Lesen nicht das Bedürfnis, sich zu engagieren, was Augstein ja sicherlich bezwecken möchte. Es weckt eher Unmut, weil der Autor seine Haltung zum Thema nicht klar formuliert, sondern sich aus der Affäre zieht, indem er sich schlicht zum Beobachter erklärt. Kann sich der Autor eines solchen Buches der Antwort auf die Frage, ab wann ist Gewalt gerechtfertigt als politisches Mittel, entziehen, indem er sagt:
"Das muss ich nicht entscheiden. Da reden Sie mit dem Falschen. Ich bin kein Gesetzgeber, ich bin kein Politiker und kein Aktivist."
Müsste er nicht den letzten Schritt gehen, sich wirklich positionieren und sich seiner Verantwortung stellen? Die Gründe, sich über das Buch zu ärgern sind vielfältig, lesenswert ist es dennoch. Gerade in einem Wahljahr ist es keine schlechte Grundlage, um sich selbst zu prüfen, wie weit man selbst bereit wäre, zu gehen im Engagement für die Demokratie.
Buchinfos:
Jakob Augstein: "Sabotage - Warum wir uns zwischen Demokratie und Kapitalismus entscheiden müssen", Carl Hanser Verlag, 304 Seiten, 18,90 Euro, ISBN: 978-3-446-24443-6
... der Kapitalismus ist so lange gewachsen, dass er mit der Demokratie kaum noch zu vereinbaren ist"
findet sich bereits in Regalmetern kapitalismuskritischer Literatur, die in den vergangenen Jahren erschienen ist, in der ein oder anderen Variante wieder. Der Herausgeber der linken Wochenzeitung "Der Freitag" ist nicht der erste, der die begrenzte Handlungsfähigkeit oder – wahlweise – den begrenzten Handlungswillen der Politik gegenüber den Märkten bemängelt. Und er ist sicher nicht der Letzte, der der These nachgeht, dass die Eurokrise jenen Eliten in die Hand spielt, denen die langwierigen demokratischen Prozesse lästig geworden sind. Dazu gehört für Augstein übrigens auch die Bundesregierung unter Kanzlerin Angela Merkel. Die bei der Rettung maroder Banken und von der Pleite bedrohten Staaten das Parlament nicht – oder erst so spät eingebunden hat, dass die Abgeordneten kaum noch Zeit hatten, sich angemessen intensiv mit den Details zu befassen – und zu hinterfragen, ob der Kurs der Regierung wirklich alternativlos war.
"Die Demokratie ist infrage gestellt. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sich der Kult der Märkte die Demokratie selbst zum Ziel nimmt. In der Krise kam dieser Moment. Warum musste sich der Bundestag sein Recht zur Mitsprache am Euro-Rettungsschirm vor dem Bundesverfassungsgericht erstreiten? Warum schlug dem griechischen Premier Empörung entgegen, als er seinem gezeichneten Volk in einer Volksabstimmung die demokratische Würde zurückgeben wollte? Weil man auf den Märkten ohne demokratisches Gezänk seinen Geschäften nachgehen möchte."
Man kann diese Ansicht teilen oder nicht. Man kann sich darüber aufregen, dass Augstein seine Argumente oft in zu viel Pathos ertränkt, dass sein Politikerbild kaum klischeehafter sein könnte, dass er sich dem Spannungsverhältnis zwischen Markt und Demokratie eher feuilletonistisch als wissenschaftlich nähert. Oder dass er dazu neigt, die Einführung einer Finanztransaktionssteuer zum Gradmesser zu machen für die Bereitschaft der Politik, sich den Märkten entgegenzustellen, obwohl diese Abgabe wahrscheinlich eher einen symbolischen als einen finanziellen Nutzen oder eine wirklich steuernde Funktion hätte. Geschenkt! Denn das eigentlich Interessante an diesem Buch sind die Passagen, die sich nicht mit dem Thema des Untertitels aufhalten. Mit der Erklärung des "Warum". Die Spannung steckt im Titel: Sabotage! Denn eigentlich dienen die länglichen Aufzählungen der Ungerechtigkeiten und Verfehlungen von Politik und Wirtschaft lediglich dazu, das zu umkleiden, worum es dem Autor wirklich geht:
"Die Möglichkeit des Souveräns, also des Volkes, Handlungsfreiheit zurückzugewinnen, und sich nicht Verantwortung abnehmen zu lassen"
Verantwortung zeigen. Wenn dazu die wirtschaftlichen und politischen Eliten nicht mehr fähig sind - oder willens -, dann ist es an den Bürgern. Dafür, ist Augstein überzeugt, reicht es nicht, alle vier Jahre ein Kreuzchen zu machen. Nötig sei, meint er, voller Körpereinsatz.
"Wir befinden uns am Anfang des digitalen Zeitalters. Darüber reden wir in ganz vielen Zusammenhängen, das bezieht sich auch auf die Politik. Wir haben die Entstehung der Piratenpartei erlebt, die die Digitalisierung der Politik vorantreiben wollen. Das sind alles sehr spannende Ideen, aber ich glaube, die Politik braucht den Körper, die Politik braucht die Präsenz, auch die Einsatzbereitschaft von Menschen, auf die Straße zu gehen für das, was ihnen wichtig ist. Das dürfen wir nicht verlernen."
Nun meint Augstein nicht nur jene Demonstranten, die in Stuttgart gegen den neuen Bahnhof demonstriert haben. Was ihm vorschwebt, ist mehr: ziviler Ungehorsam. Der kalkulierte Regelbruch, den er mit dem Chronisten der 68er und Experten für soziale Bewegungen, Wolfgang Kraushaar, in einem eingeschobenen Interviewblock diskutiert. Dieses Zwischenspiel, wie Augstein es nennt, eines von zweien übrigens, ist eine der interessantesten Passagen des Buches, weil Kraushaar ganz klar Stellung bezieht. Augstein hingegen vollführt einen Eiertanz. Denn einerseits beginnt er sein Buch mit der – wie er sagt – durchaus realistischen Anleitung zum Bau eines Farbbeutels. Dann erklärt er:
"Wer würde öffentlich zu Gewalt aufrufen? Er würde sich strafbar machen, nach Gesetz und nach öffentlicher Meinung."
Nur um ein paar Zeilen weiter zu schreiben:
"Aber wer die Gewalt verdammt, sollte sich auch darüber klar werden, was er damit aufgibt, wo eigentlich die Gewalt beginnt, wer sie ausübt und wer ihr Opfer wird."
Schnell gewinnt man beim Lesen den Eindruck, der Autor würde gerne sagen: "Geht auf die Straße und macht, was nötig ist!" Tut er aber nicht.
"Ich bin kein politischer Aktivist. Ich bin auch kein politischer Philosoph. Und ich bin auch überhaupt kein Politiker, sondern ich bin Journalist und beobachte die politische Bewegungen in unserem Land und den Zustand unserer demokratischen Kultur."
In dieser Aussage verbirgt sich das Kernproblem des Buches. Anders als etwa Stephan Hessels Essay "Empört euch", das Augstein mehrmals erwähnt, weckt dieses Buch beim Lesen nicht das Bedürfnis, sich zu engagieren, was Augstein ja sicherlich bezwecken möchte. Es weckt eher Unmut, weil der Autor seine Haltung zum Thema nicht klar formuliert, sondern sich aus der Affäre zieht, indem er sich schlicht zum Beobachter erklärt. Kann sich der Autor eines solchen Buches der Antwort auf die Frage, ab wann ist Gewalt gerechtfertigt als politisches Mittel, entziehen, indem er sagt:
"Das muss ich nicht entscheiden. Da reden Sie mit dem Falschen. Ich bin kein Gesetzgeber, ich bin kein Politiker und kein Aktivist."
Müsste er nicht den letzten Schritt gehen, sich wirklich positionieren und sich seiner Verantwortung stellen? Die Gründe, sich über das Buch zu ärgern sind vielfältig, lesenswert ist es dennoch. Gerade in einem Wahljahr ist es keine schlechte Grundlage, um sich selbst zu prüfen, wie weit man selbst bereit wäre, zu gehen im Engagement für die Demokratie.
Buchinfos:
Jakob Augstein: "Sabotage - Warum wir uns zwischen Demokratie und Kapitalismus entscheiden müssen", Carl Hanser Verlag, 304 Seiten, 18,90 Euro, ISBN: 978-3-446-24443-6