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Eigenschaften des Erdmantels
Friedhof der Plattentektonik

Der Aufbau der Erde ist sehr komplex: Erdkruste, Erdmantel und Erdkern - und alles noch einmal aufgeteilt in oben und unten, innen und außen. Im Wissenschaftsmagazin "Science" erschienen dieser Tage gleich zwei Aufsätze, die an der gängigen Sicht der Geophysiker über die Tiefen unseres Planeten rütteln.

Von Dagmar Röhrlich |
    Symbolbild Erde, beleuchteter Globus
    Die Temperaturen im unteren Erdmantel könnten niedriger sein als bislang angenommen. (picture alliance / dpa - Caroline Seidel)
    Er ist unerreichbar, der untere Erdmantel: Er beginnt 670 Kilometer unter unseren Füßen und reicht 2900 Kilometer weit hinab, grenzt an den Erdkern. Was die Geophysiker wissen, stammt meist aus der Analyse von Erdbebenwellen. Erst seit wenigen Jahren lassen sich im Labor die Bedingungen im Erdmantel simulieren, erklärt Denis Andrault von der Université Blaise Pascal in Clermont-Ferrand:
    "Wir haben experimentell die Bedingungen an der Grenze Erdmantel/Erdkern nachgestellt. Dazu brachten wir an der European Synchrotron Radiation Facility in Grenoble mikroskopisch kleine Proben mit Diamanthochdruckpresse und Laser auf die entsprechenden Temperaturen und Drücke. Die Veränderungen beobachteten wir mit einem extrem hellen Röntgenstrahl. So können wir recht gut nachvollziehen, was passiert."
    Die Geophysiker interessierten sich für eine rätselhafte Zone im tiefen Erdmantel. Dort zeigen aus Erdbebendaten gewonnene Bilder steile, block- und bandartige Strukturen:
    "Diese Zone ist 200 bis 300 Kilometer mächtig und sitzt direkt auf dem Erdkern. Sie ist wirklich bizarr. Was passiert, wissen wir nicht genau. Dabei ist diese Region wohl sehr wichtig für die Dynamik der Erde: Sie wird vom extrem heißen Erdkern aufgeheizt, und das ist ein wichtiger Motor der Plattentektonik, mit der die Erde ihre Hitze nach außen abführt."
    In dieser bizarren Zone werden Erdbebenwellen sehr langsam, was dafür spricht, dass Schmelzen existieren. Einige Theorien gehen davon aus, dass dort die Gesteine des Erdmantels selbst aufschmelzen. Andere nehmen einen Recyclingprozess an: Der betrifft den ehemaligen Meeresboden, den einst die Plattentektonik nach Dutzenden Millionen Jahren an der Oberfläche an sogenannten Subduktionszonen ins Erdinnere sinken ließ:
    "Wir wollten sehen, was mit dieser ehemaligen Meereskruste geschieht, wenn sie bis an die Grenze zum Erdkern absinkt. Sie bestehen aus Basalt, und wir wollten wissen, ob dieser Basalt schmilzt und sich mit dem Mantel mischt - oder ob er in einer Art "Friedhof" erhalten bleibt. Unsere Experimente zeigen, dass der Basalt an der Grenze zum Erdkern tatsächlich schmilzt und im umgebenden Mantelmaterial aufgeht. In dieser bizarren Zone wird also ehemalige Meereskruste recycelt."
    Temperaturen im unteren Erdmantel eventuell niedriger als gedacht
    Das Ganze laufe in einer Art Brei ab, in dem Geschmolzenes sofort mit dem Mantelgestein reagiert und Festes nachgeschmolzen wird. Das Recycling verändere die chemische Zusammensetzung des unteren Erdmantels, so Denis Andrault. Dass der zudem aus ganz anderen Mineralen bestehen könnte als gedacht, erklärt die Geophysikerin Li Zhang vom Center for High Pressure Science and Technology in Shanghai. Sie ist Autorin der zweiten Studie, und ihre Experimente drehten sich um die Minerale, die den Erdmantel aufbauen:
    "Bislang sind wir davon ausgegangen, dass der untere Mantel aus einem Mineral namens Perowskit besteht - genauer, aus einer Form des Perowskits, die neben Calcium, Titan und Sauerstoff auch Eisen enthält. Wir konnten experimentell zeigen, dass diese Variante im unteren Erdmantel nicht stabil ist. Vielmehr verliert sie unter den herrschenden Druck- und Temperaturverhältnissen ihr Eisen, und das reagiert mit der Umgebung. Zurück bleibt ein eisenfreier Perowskit und eine neue, eisenreiche Mineralphase, die wir bislang noch nicht kannten."
    Spiegeln die Laborergebnisse die Realität wieder, wären die Folgen weitreichend: So könnten beispielsweise die Temperaturen im unteren Erdmantel niedriger sein als gedacht:
    "Das wäre ein wichtiges Ergebnis: Dieser Bereich macht volumenmäßig mehr als die Hälfte unseres Planeten aus und er wäre vollkommen anders zusammengesetzt als angenommen."
    Dann existiere dort unten etwas, von dessen Existenz wir nichts geahnt hätten, fügt Li Zhang an.